Ingolstadt
Liebesgeschichte mit Lebenshilfe

Carolin und Jürgen Heim lernten sich in den Werkstätten kennen und sind seit 2007 glücklich verheiratet

27.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:43 Uhr
In der Kirche St. Georg haben sich Carolin und Jürgen Heim im Jahr 2007 das Jawort gegeben. Sie sind glücklich verheiratet. Kennengelernt haben sie sich bei der Lebenshilfe. −Foto: Schattenhofer

Ingolstadt - Ein Leben ohne die Lebenshilfe - für das Ehepaar Heim nicht vorstellbar.

Die Lebenshilfe hat den beiden ein Dach überm Kopf und Arbeit gegeben. In den Werkstätten haben sie sich kennen und lieben gelernt. "Er hat immer ein bissl rübergeschielt zu mir", erinnert sie sich. Mit der Zeit entwickelte sich eine feste Beziehung. Im Mai 2007 haben die beiden geheiratet: Es war damals eine kleine Sensation, dass sich zwei behinderte Menschen das Jawort geben. "Ohne die Lebenshilfe wäre das alles nicht möglich gewesen", sagen sie. "Wenn du Hilfe brauchst, dann ist sie für dich da. "

Wir treffen Carolin und Jürgen Heim in Schamhaupten - in der kleinen Kirche St. Georg, wo sie damals getraut wurden. Diese Ehe würde bestimmt länger halten als manch andere zwischen Paaren ohne Behinderung, hatte Pfarrer Joseph Frey prophezeit. Er sollte Recht behalten.

Das Glück ist ihnen aber nicht in den Schoß gefallen. Beide hatten zuvor schon Erfahrungen mit Zweierbeziehungen gesammelt, Carolin Heim nicht nur die besten. "Ich hatte einen Ex-Freund, danach wollte ich keine Beziehung mehr. Dass ich mit Jürgen nochmal das Glück gefunden habe, hatte ich nicht geglaubt. Er hat mir Zeit gelassen, denn ich war ziemlich unten. Er hat mir geholfen und unsere Freundschaft aufgebaut. " Ihr Mann nickt: "Das kam bei mir vom Herzen. "

Damals lebten die beiden in
der Dr.-Wilhelm-Reissmüller-
Wohnstätte, nebeneinander in Zimmern, Wand an Wand. 2004 zogen sie in eine eigene Wohnung, weil sie sich näher sein wollten. Das Zusammenleben funktioniere immer besser, sagt Carolin Sieber, als der DONAUKURIER anlässlich des Valentinstags 2007 mit dem Paar über die bevorstehende Hochzeit sprach: "Früher war alles hektischer, da ist jeder nach der Arbeit, hopp, hopp, gleich auf sein Zimmer. Heute unternehmen wir mehr miteinander, gehen in die Stadt oder in unsere Stammkneipe. "

Dass der Heiratsantrag erst sechs Jahre nach der Verlobung kam, lag vor allem auch an Jürgen Heims Schüchternheit. Er befürchtete damals, sie könne nein sagen. Sie hingegen wartete, gab ihm Zeichen, wartete weiter, hatte schließlich die Nase voll vom vielen Warten und nahm die Sache selber in die Hand. "Ich hatte ihm vorher immer wieder Herzen gemalt", erzählt sie damals im Interview. "Das sollte eine Vorwarnung sein. " Jürgen Heim verlor die Fassung und brach in Tränen aus, als seine Liebste ihn fragte, ob er sie heiraten wolle. Sie hingegen blieb gelassen, ging aber auf Nummer sicher und schickte sogleich einen schriftlichen Heiratsantrag hinterher: "Ich halte es nicht mehr aus", hieß es darin: "Ich möchte endlich deine Frau werden. " Er machte brav sein Kreuzerl bei "Ja". Am 18. Mai 2007 wurden sie standesamtlich getraut, tags darauf kirchlich.

Ganz eng beieinander sitzen sie nun auf der Kirchenbank, kuscheln sich aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen. "Da vorne haben wir damals ja gesagt". Beide tragen, wie es sich gehört, einen Mund-Nasen-Schutz, was die Kommunikation etwas erschwert, denn Jürgen Heim ist Spastiker und für ungeübte Gesprächspartner schwer zu verstehen. Aber Carolin Heim ist sein Sprachrohr, so wie sie ihren gehbehinderten Mann beim Laufen stützt. "Ich würde den Jürgen nie im Stich lassen, denn ohne mich ist er aufgeschmissen", sagt die 50-Jährige. "Wir können beide nicht ohne einander leben. Auch wenn es manchmal rumst, wir sind immer füreinander da. " Wie in jeder Ehe kommt es auch bei den Heims manchmal zu Meinungsverschiedenheiten. "Aber wir sind immer offen und ehrlich", meint Jürgen Heim, "und entscheiden alles zusammen. " Seine Frau nickt: "Aber wir lassen uns Freiräume - das ist ganz wichtig, sonst geht die Ehe kaputt", sagt Carolin Heim. "Ich mag es nicht, wenn man immer nur zusammenpappt. Ich habe gerne mal eine Stunde, um mich zurückzuziehen. " Jürgen Heim schwingt sich dann aufs Fahrrad und macht eine kleine Tour. Oder er setzt sich an den Computer und spielt.

Das Ehepaar hat lange in den Lebenshilfe-Werkstätten in der Montage gearbeitet. Carolin Heim hörte 2016 auf: "Ich wollte mich auf den Haushalt konzentrieren. " Jürgen Heim ist heuer in Rente gegangen: Wegen Corona waren die Werkstätten zunächst geschlossen, später wollte der 54-Jährige nicht mehr dort arbeiten, weil er aufgrund seiner Erkrankungen Risikopatient ist.

Nun genießen beide ihr Rentnerleben. Wegen der Pandemie wohnen sie gerade bei Carolins Eltern in Schamhaupten. Sie genießt das ruhige Landleben, Jürgen Heim fühlt sich ein wenig eingeschränkt und freut sich schon auf die Rückkehr nach Ingolstadt. Das Ehepaar soll 2021 in eine neue Wohnung in der Romy-Schneider-Straße umziehen. "Die ist sogar behindertengerecht", sagt Carolin Heim. "Dort haben wir alles beieinander - vom Supermarkt bis zum Radlgeschäft. "

Mit dem Bau dieser neuen Wohnanlage im Süden Ingolstadts verfolgen die Lebenshilfe Werkstätten der Region 10 GmbH das Ziel, dem Bedarf an Wohn- und Arbeitsplätzen für Menschen mit einer Behinderung gerecht zu werden. Mit dem Neubau werden zusätzlich 28 Plätze für das ambulant betreute Wohnen in einzelnen Apartments entstehen, bei dem die Bewohner selbst Mieter sind. 24 Menschen werden mit Förderung des Bezirks Oberbayern in drei Gruppen rollstuhl- als auch behindertengerechte Wohnplätze vorfinden.

"Die Lage der neuen Wohnanlage unterstützt die Teilhabe der Bewohner am Leben in der Gesellschaft", sagt Gerhard Preisler, Vorsitzender der Lebenshilfe. In unmittelbarer Nähe gibt es Einkaufsmöglichkeiten, der Klenzepark lädt zu Spaziergängen ein, die Saturn-Arena und das Wonnemar sind nur wenige Meter entfernt. Auch die Busverbindungen sind gut.

Mit dem Umzug erfüllt sich ein großer Wunsch von Carolin und Jürgen Heim. Dem Eheglück steht damit auch künftig nichts im Wege. "Jetzt sind wir schon 13 Jahre verheiratet und haben es keine Minute bereut", meint die 50-Jährige. Ihr Ehemann nickt und schaut sie glücklich an.

DK

Suzanne Schattenhofer