Ingolstadt
Der Tag, da plötzlich vieles anders war

Der abgewählte OB dankt Stadtverwaltung und Bürgern, der künftige sitzt schon im Corona-Krisenstab

30.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:25 Uhr
Eingebunden im Krisenmodus: Am Tag nach seinem Wahlsieg stieß der designierte Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Scharpf gleich zu Amtsinhaber Christian Lösel (beide an der Stirnseite), um in der Führungsgruppe Katastrophenstab in Ingolstadt den Kampf gegen die Auswirkungen des Coronavirus mit aufzunehmen. −Foto: Betz/Stadt Ingolstadt

Ingolstadt - Er wusste, was nun mit Wucht auf ihn zukommt.

 

Christian Scharpf, gewählter neuer Oberbürgermeister der Stadt Ingolstadt, ging vor der Stichwahl davon aus, "dass es eigentlich klappen müsste", erzählte der Sozialdemokrat gestern. Er rechnete "schon mit 50 plus X Prozent". Aber nicht mit fast 60 Prozent. Sogar in Gerolfing und Zuchering lag Scharpf über dieser Marke. "Das ist bemerkenswert. " Ähnlich zurückhaltend beschreibt er den ersten Tag nach der Stichwahl: "Er war gut ausgefüllt. " Krise, Interviews, Krise, Runder Tisch mit der Ärzteschaft, Telefonate mit anderen Parteien, wieder Krise und noch ein paar Interviews.

Der Montag begann für den künftigen Oberbürgermeister mit dessen erster Teilnahme in der Führungsgruppe Katastrophenschutz. Dort saß er neben Christian Lösel, der am Sonntag mit 40,72 Prozent abgewählt wurde. Aber im Corona-Drama verändern sich die Relevanzen. Lösel wird bis zur Vereidigung seines Nachfolgers im Mai weiter als städtischer Krisenmanager den Kampf gegen die Pandemie organisieren. "Ich habe hohen Respekt vor dieser Aufgabe", sagte Scharpf. "Aber sie schreckt mich nicht ab. Es besteht eine komplexe Aufgabenstellung, doch sie ist machbar. Ich habe ein gutes Gefühl, denn ich sehe, dass in Ingolstadt alles am Laufen ist. So viel, dass ich es gar nicht aufzählen kann. Wir fangen nicht bei null an. " Von den dramatischen Zuständen in anderen Städten sei man noch weit entfernt, so Scharpf, "aber wir müssen uns darauf gefasst machen, was noch alles kommen könnte".

Im Krisenstab werde er nicht regelmäßig sitzen; zu viele Teilnehmer seien wegen der Infektionsprävention auch nicht gewollt. "Mein Schwerpunkt ist es jetzt, im Stadtrat eine neue Zusammenarbeit hinzubekommen", sagte der künftige OB.

Christian Lösel meldete sich gestern auf der Internetseite der Stadt Ingolstadt. Er wünsche seinem Nachfolger "alles Gute" und werde ihn "bereits ab heute nach Kräften bei der Einarbeitung unterstützen, damit er im Mai reibungslos das Amt übernehmen kann". Weiter schreibt der OB: "Ich danke allen Ingolstädter Bürgerinnen und Bürgern für die vergangenen sechs Jahre. Es waren sicher nicht immer einfache Jahre, aber für mich persönlich waren es auch sechs schöne Jahre. "

Diese Jahre seien allerdings auch "von Krisen und Unsicherheiten geprägt" gewesen. "Das wird sich mit der Corona-Krise auf absehbare Zeit leider auch nicht ändern. Christian Scharpf steht jetzt vor der großen Herausforderung, Ingolstadt durch diese bewegten Zeiten zu manövrieren. Ihm zur Seite steht hierbei eine herausragende Mannschaft in der Ingolstädter Stadtverwaltung. Ohne diese vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten wir die zahlreichen Projekte und Maßnahmen der vergangenen Jahre überhaupt nicht umsetzen können. Ein herzliches Dankeschön dafür! "

Nach einer kurzen Nacht sind Christian De Lapuente gestern "viele Gedanken durch den Kopf gegeistert", erzählte er. "In dieser Deutlichkeit habe ich das Ergebnis nicht erwartet. " Der Kreisvorsitzende der SPD und gewählte Stadtrat bereitet derzeit Videokonferenzen mit Vertretern aller Parteien außer der AfD vor. Ab heute, 13 Uhr, soll es im Stundentakt losgehen. De Lapuente weiß, "dass das eine Herausforderung wird" bei so vielen Parteien und Gruppen (mit der SPD und ohne die AfD sind es zehn), "weil die alle eigene Wünsche haben". Dennoch betont er: "Ich freue mich auf die Gespräche! "

Ein CSU-Mitglied habe den Sieg der SPD kommen sehen. Sagt er: Eckehard Gebauer, seit vielen Jahren Vorsitzender des BZA Nordost und bekennender Unterstützer des SPD-Kandidaten. Der Aufruf "Scharpf wählen" auf seiner Facebook-Seite sorgte wenig überraschend für Aufsehen. Gebauer beharrt auf seinem Standpunkt, wie er gestern auf Nachfrage bestätigte: "Ein Weiter so ist gefährlich! Ich gebe deshalb allen jungen Kollegen in der CSU den Rat: Ingolstadt muss sich völlig neu aufstellen - sonst erlebt die CSU das nächste Desaster. " Die Politik, sagt Gebauer, "muss für die Bürger da sein, nicht für Parteien und Institutionen", so wie in den Bezirksausschüssen, da gehe es ausschließlich um die Interessen der Bürger, nicht um die Interessen der Parteien oder der Industrie. "Die Bürger machen die Wahl - nicht Audi! "

Gebauer sieht keine Fehler im Wahlkampf der CSU. Aber: "Es standen die falschen Leute zur Wahl." Ein Beispiel: "Albert Wittmann, so gut er war in der Vergangenheit - da brauchen wir jemand Neues. " Er wiederholt seinen Appell: "Ingolstadt muss sich neu aufstellen. " Dazu gehöre nicht zuletzt, das große kulturell-historische Potenzial der Stadt endlich konsequent auszuschöpfen. "Flugtaxis interessieren doch niemanden. "

Unter den Parteien gibt es in den kommenden Wochen eine Menge zu klären. Es geht um nichts weniger als die Machtverteilung. Wer wird zum Beispiel zweiter und dritter Bürgermeister? Sie werden vom Stadtrat gewählt. Petra Kleine (Grüne) hat bereits ihren Anspruch angemeldet. An der künftigen Grünen-Fraktion mit ihren acht Mandaten dürfte kaum ein Weg vorbeiführen. Zudem stehen bald brisante Referentenwahlen an (siehe Seite 20).

Auch in den Fraktion gibt es Wichtiges zu regeln. Wer wird etwa Vorsitzender der SPD-Fraktion? Amtsinhaber Achim Werner hat Interesse weiterzumachen. Er wird heuer aber 68 Jahre alt. Das führt zu der Frage, ob Scharpfs Credo vom "politischen Neuanfang in Ingolstadt" auch für dessen Genossen gilt.

Der abgewählte Oberbürgermeister muss sich neu orientieren. Er wolle sein Stadtratsmandat annehmen, betonte Lösel. Welche Rolle er in der Reihe der CSU-Räte besetzen wird, ist eine ebenso interessante Frage wie die nach der Fraktionsführung. Der neue Stadtrat konstituiert sich Anfang Mai.

Der CSU-Kreisvorsitzende Alfred Grob berichtete gestern, dass morgen ein Gespräch mit der SPD ausgemacht sei. "Ich freue mich darauf. Wir setzen aber auch hohe Erwartungen in dieses Gespräch auf Augenhöhe. " Die CSU sei zu vertrauensvoller Zusammenarbeit bereit, es hänge aber sehr davon ab, "was uns die SPD anbietet". Da sagt Grob ganz deutlich: "Es ist wichtig, dass wir als stärkste Fraktion beteiligt werden. Es war jetzt oft von Wertschätzung die Rede, dazu gehört auch, wie man mit der stärksten Fraktion umgeht. " Die CSU-Fraktionsvorsitzende Patricia Klein sagte: "Zusammenarbeit ist jetzt ganz wichtig! Wir müssen im Stadtrat eine Ebene finden, damit in Ingolstadt was vorwärts geht. " Sie trage sehr gerne dazu bei.

DK

 

Christian Silvester