Ingolstadt
Kapitulation in letzter Minute

Der "Endkampf" blieb der Stadt Ingolstadt Ende April 1945 erspart - Übergänge über die Donau gesprengt

24.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:47 Uhr

Ingolstadt - Ingolstadt Ende April 1945: Nach einem Dutzend schwerer Luftangriffe im letzten Kriegsjahr gleichen weite Teile der Stadt einem Trümmerfeld, Infrastruktur und Eisenbahnlinien sind unterbrochen.

Tausende von Brand- und Sprengbomben sind auf die Stadt niedergegangen, weit über 600 Zivilisten wurden getötet, Tausende Menschen sind verwundet und obdachlos.

An ein normales Leben war unter diesen Umständen schon länger nicht mehr zu denken. "Damals war fast jeden Tag Fliegeralarm", erinnert sich Helmut Stephan an die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Der damals Neunjährige wohnte mit seiner Familie an der Kleiststraße. "Strom war nicht immer da", weiß er noch heute, "und das Wasser haben wir aus der Nachbarschaft aus einem Pumpbrunnen geholt und abgekocht. " In die Schule ging der Bub damals auch nicht mehr: Das Gebäude an der Becker-straße war zerstört worden, Unterricht sollte er erst wieder im Sommer erhalten.

Doch Helmut Stephan und die Stadt hatten noch Glück, der "Endkampf" blieb ihnen vor 75 Jahren erspart. Denn wegen der vermeintlichen "Alpenfestung" als letzte Zuflucht der Nazis erwarteten die US-Truppen auf ihrem Vormarsch Richtung Süden den Widerstand starker deutscher Verbände. Derweil war die Donau von der Wehrmacht zur natürlichen Verteidigungslinie erklärt worden, was zur Folge hatte, dass 100 Hitlerjungen und Volkssturmeinheiten nach Ingolstadt geschickt wurden. Die Stadt sei "unter allen Umständen zu halten", befohlen wurde ein "Kampf bis zur letzten Patrone", so der damalige Nazi-Jargon. Hier versuchte NS-Kreisleiter Georg Sponsel, ein übler Nazi, der 1947 wegen der Ermordung eines abgestürzten alliierten Piloten von den Amerikanern gehenkt wurde, den zerfallenden Parteiapparat aufrecht zu erhalten und die Verteidigung der Stadt zu organisieren - freilich ohne großen Erfolg. Auch wiederholte Androhungen von Exekutionen änderten daran nichts. Mehrmals kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem damaligen Oberbürgermeister Josef Listl.

Am 24. April wurde in Ingolstadt erstmals Panzeralarm gegeben, was freilich nicht stimmte. Während die Rettungskräfte noch die Brände der letzten Luftangriffe bekämpften, begannen die ersten Plünderungen und auch Exzesse durch die ausgebeuteten ausländischen Zwangsarbeiter, die in den nächsten Tagen noch weiter zunahmen und schließlich in der Brandstiftung des Hauptbahnhofs gipfelten.

Am 25. April trat dann der Ingolstädter Stab am Brückenkopf zu einer Lagebesprechung zusammen, wie der Ingolstädter Heimatforscher Hans Fegert in seinem Buch über die Luftangriffe auf Ingolstadt ausführlich schildert. Die SS wollte unbedingt die Donau verteidigen und dazu mitten in der Stadt an der Brücke in Stellung gehen. Diese Verteidigung hätte fatale Folgen gehabt und vermutlich die Zerstörung Ingolstadts bedeutet.

Doch gelang es Paul Weinzierl, seit Oktober 1944 Kampfkommandant, den zuständigen Divisionsgeneral von diesem Plan abzubringen und ihn stattdessen von einer Rundumverteidigung zu überzeugen: Rückzug nach Süden und Anschluss der Kampftruppen südlich der Autobahnbrücke und bei Haunwöhr an die Ingolstädter Kräfte. Er ließ es mehrmals auf Konfrontationen mit den Nazis und der SS ankommen und riskierte dabei auch sein Leben. Sein Plan, durch planmäßige Zersplitterung der eigenen Kräfte eine Verteidigung Ingolstadts hinfällig zu machen, ging letztendlich auf. Am Abend dieses 25. April begann schließlich der "Endkampf" um Ingolstadt. Teile der SS-Kampfdivision Nibelungen und die 352. Volksgrenadierdivision hatten sich zum Glück für die Stadt nach Süden abgesetzt, während bei Friedrichshofen erste US-Panzer gesichtet wurden und eine Artillerieeinheit bei Gerolfing begann, den Brückenkopf unter Beschuss zu nehmen. Daraufhin erteilte das deutsche Generalkommando den Befehl, die Donaubrücken zu sprengen. Im Morgengrauen des 26. April existierte in Ingolstadt kein Übergang über den Fluss mehr. Zeitzeugen zufolge wirkte die Stadt am Vormittag wie ausgestorben, auch das Feuer der Amerikaner hatte aufgehört.

Gegen Mittag waren weite Teile der Stadt nördlich der Donau in der Hand der US-Truppen. Die vom Stab im Brückenkopf abgeschnittene Kommandostelle Nord im Kavalier Spreti hatte bereits kapituliert, es gab keine Kampfhandlungen. Nach einem Fliegerangriff mit Nebelgranaten gelang den alliierten Streitkräften schließlich in Höhe der heutigen Glacisbrücke am Abend der Übergang über die Donau.

In der Nacht auf den 27. April errichteten die Amerikaner neben der zerstörten Eisenbahnbrücke einen Pontonübergang, größere Truppenkontingente konnten so übersetzen. Erst dann entdeckten sie, dass sich im Brückenkopf noch deutsche Einheiten aufhielten, die bis dahin völlig ruhig gewesen waren. Die US-Einheiten drohten mit der Zerstörung der Anlage und forderten eine Übergabe in den nächsten 20 Minuten. Die deutschen Truppen hissten schließlich die weiße Fahne und gingen am Morgen des 27. April in Kriegsgefangenschaft. Und die Alliierten meinten es ernst: Hätte die Stadt nicht kapituliert, wäre sie im Morgengrauen bei einem Luftangriff bombardiert worden.

DK

Bernhard Pehl