Ingolstadt
Kann die City vom Village lernen?

John Quinn von Value Retail zeigt bei einem Rundgang, was dazugehört, damit Shopping ein Erlebnis wird

17.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:59 Uhr
Über den Dächern von Ingolstadt Village: Vor 15 Jahren öffnete das Outlet-Center seine Pforten. John Quinn ist Deutschland-Direktor von Value Retail. Er bietet seine Zusammenarbeit und Unterstützung an, um die Innenstadt voranzubringen. −Foto: Eberl

Ingolstadt - Ziemlich unkonventionell - die jüngste Idee der SPD-Fraktion, einen Ableger von Ingolstadt Village in die Innenstadt zu holen, um mehr Besucher anzulocken und neues Leben in die Mitte zu bringen.

 

Das Nein von John T. Quinn kam postwendend, da musste der Chef von Value Retail Deutschland keine Sekunde überlegen. Er saß neulich mit am Runden Tisch, als wieder einmal über mögliche verkaufsoffene Sonntage in Ingolstadt diskutiert wurde, und kann rückblickend nur den Kopf schütteln, wie es dort ablief. Gerne würde Quinn die Stadt unterstützen mit seinem Knowhow, und er hätte viele Ideen, anstatt bloß in der Tourist-Info des Village Prospekte und Faltblätter auszulegen. Aber er sieht ein großes Manko: "Es fehlt die Zusammenarbeit. "

Um zu zeigen, wie im Village mit seinen über 100 Shops der Laden läuft und was die DNA von Value Retail ausmacht, gewährt der 59-jährige Manager unserer Zeitung einen Blick hinter die Kulissen: In einem schmucklosen Großraumbüro arbeiten etwa 50 Mitarbeiter. Das Retail-Team etwa betreut die Mieter und Marken. "Wir informieren zum Beispiel über Aktionen oder Trainings für Mitarbeiter", erklärt Christoph Holzmann, Senior Retail Manager. "Die Marken betreiben ihre Läden ja selber, aber wir generieren ein einheitliches Bild. "

Holzmann ist gewählter Beirat im Vorstand von IN-City, denn Value Retail ist Mitglied des Vereins. "So versuchen wir, in Kontakt zu bleiben", sagt er. "Ich kenne ja selber die ganzen Themen, zum Beispiel die Probleme mit den einheitlichen Öffnungszeiten, denn ich besaß 15 Jahre lang ein eigenes Modegeschäft in Altötting. IN-City hat viele gute Ideen, aber die Umsetzbarkeit ist das Problem. "

Das Retail-Development ist für den Ladenausbau zuständig. Die meisten Beschäftigten telefonieren, man hört englische Gesprächsfetzen. "Wir haben sehr hohe Standards und kontrollieren die Qualität auch", erklärt Quinn, und in dem Moment zeigt sich, dass der lässig-lockere Typ, der aus dem US-Bundesstaat Maine stammt und jetzt in der Nähe von Dachau lebt, ein knallharter Manager sein kann.

Quinn greift nach einer großen Vase mit langstieligen weißen Rosen und einer Flasche Champagner. Ein Begrüßungsgeschenk zur Eröffnung des neuen Woolrich-Shops. Isabelle Gaia, Retail-Direktorin der Marke, ist extra aus dem italienischen Bologna angereist und empfängt Quinn freudestrahlend. Sie bedankt sich für die Rosen, man spricht Englisch, und Quinn scherzt: "So we can raise the rent easier. " Dann können wir die Miete leichter erhöhen. Der Laden ist mit viel Holz und dem typischen Woolrich-Karo gestaltet. "Wir hatten schon in den ersten Stunden gute Resultate", freut sich Gaia. "Es ist schön, hier zu sein. "

 

Weiter geht es im Nieselregen zur zweiten Neueröffnung - ein klangvoller Namen: Stella McCartney, Beatle-Tochter und Modeschöpferin von Faire High Fashion. Viele ihrer Kreationen sind vegan. "Wir hatten vorher eine vierstündige Schulung auf Englisch", sagt Storeleiterin Stefanie Ostermeier, denn die Kundinnen, die hier kaufen, fragen gerne mal nach. Damenbekleidung ist noch nicht angekommen, aber niedliche Sachen für Kinder - darunter ein Jäckchen aus Kunstpelz für 125 Euro. Ziemlich fairer Outlet-Preis für so ein Luxus-Label.

Mittlerweile regnet es in Strömen, trotzdem herrscht im Village Hochbetrieb, und vor vielen Shops bilden sich Schlangen, weil wegen der Corona-Hygienebestimmungen immer nur eine gewisse Zahl von Kunden hineingelassen wird. Die Regel: eine Person auf zehn Quadratmetern. Quinn steuert auf einen versteckten Eingang zu, klingelt an der Tür, kurz darauf öffnet ein junger Mann in Livree.

Wir gelangen ins Allerheiligste des Village: "The Apartment". Eine Art First Class Lounge für besondere Gäste und VIPs. Beim Betreten verschlägt es einem schier den Atem vor so viel Interieur: In diesen Räumen durften sich zwei Innenarchitekten ohne Rücksicht aufs Geld austoben, bemerkt Quinn und lächelt süffisant. Gemütliche Sessel, Sofas, in denen man einsinkt, Tische in allen Farben und Formen, schwere, überlange Vorhänge, dicke, dezent gemusterte Teppiche, goldene Spiegel und Lampen, Vasen mit üppigen Blumenarrangements, ausgesuchte Kunstwerke, ein Kamin und eine gut bestückte Bar. Besonders angetan ist der Manager von einer wild gemusterten Urwald-Tapete: "Und welcher Affe bin jetzt ich? ", scherzt Quinn. Im Apartment laufen übrigens gerade Dreharbeiten mit Schauspielerin und Galileo-Moderatorin Funda Vanroy.

Ein bezauberndes Lächeln schenkt uns Khadija Schimmel, Hospitality Managerin, die hier jedem Gast jeden Wunsch von den Lippen abliest. Sie spricht mit einem charmanten französischen Akzent und führt uns in den großzügigen Fitting Room, in dem golden-gedämpftes Licht alle körperlichen Makel verschwinden lässt. An diesen Ort wird jene gut betuchte Kundschaft eingeladen, der Modemarken Wertschätzung zeigen wollen. Quinn: "Es hilft auch, wenn man Promi-Status hat. "

Der Manager erwartet an diesem Tag noch den bekannten Münchener Fotografen und Künstler Michael von Hassel, der Fotografien von seiner Nordkoreareise zeigen wird. Hassel nennt seine Art zu fotografieren hyperrealistisch. Ein Wort, das irgendwie auch zu diesem Besuch im Village passt. Hier geht es nicht nur um Einkaufen: "Wir bieten ein spezielles Erlebnis-Shopping. Die Leute wollen ihren Spaß haben. Die Atmosphäre ist wichtig", erklärt Quinn und formuliert es in seiner Muttersprache: "A day out. " Ein Tag außer der Reihe, raus aus dem Alltag.

 

Ist das auch der Weg für die Innenstadt? Die Einzelhändler versuchen schon seit Jahren, mit diversen Aktionen ein Shopping-Erlebnis zu bieten. Viele Kommentare von Besuchern oder DK-Lesern lassen jedoch erahnen, dass die Menschen genau dieses Gefühl im Herzen der Stadt vermissen. Was kann die Ingolstädter City vom Ingolstadt Village lernen?

John Quinn meint, Ingolstadt müsse sich einen Namen als Touristen-Destination machen. "Das Reinheitsgebot für Bier, Frankenstein - man tut nichts dafür. Dabei kennt jeder Chinese und jeder Araber Frankenstein. Und jeder Amerikaner kann das Wort Reinheitsgebot aussprechen. Und Fahrvergnügen. "

Anstatt ständig nur die Nachteile zu lamentieren, sollten die Ingolstädter die vielen Vorteile sehen: "Die Stadt ist eigentlich schön mit ihren Fassaden, es gibt gute Läden in allen Größen und genügend Parkplätze. Die Einzelhändler müssten sich nur noch um mehr Einkaufszeit kümmern. " Bis 22 Uhr oder an Sonntagen.

Beim abschließenden Mittagessen im Restaurant Indochine treffen wir Peter Fiegle, Nachfahre eines Herrenschneiders und Unternehmer mit reichlich Erfahrung in Industrie und Handel. Mit dem Stella-McCartney-Shop betreibt er nun drei Läden im Village: "Bevor ich als Einzelhändler auch nur ein Stück verkaufe, investiere ich Unsummen von Geld. Der Besitzer von Value Retail hat Visionen, hier wird mir bis zum Marketing-Support alles geboten. Und was bietet mir die Stadt Ingolstadt, damit ich einen Laden in der Innenstadt aufmache? Null. Nix. "

DK

 

Suzanne Schattenhofer