Ingolstadt
"Integration ist keine Einbahnstraße"

Migrationsrätin Cristina Seeger engagiert sich für ein gutes Miteinander und erwartet mehr von der Politik

23.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:56 Uhr
Cristina Seeger lebt seit 1991 in Ingolstadt. Sie leitet den Rumänischen Kulturverein und engagiert sich im Migrationsrat. −Foto: Silvester

Ingolstadt - Allein schon diese Sprache!

Drei Artikel, vier Fälle und jeder erfordert eine andere Wortendung. Mit dem Deutschen fremdelte Cristina Seeger zunächst, als sie 1991 aus Rumänien nach Ingolstadt zog, um dort einen Rumäniendeutschen zu heiraten.

Sie war damals 20. In ihrer Heimat hatte sie als Lehramtsanwärterin Rumänisch unterrichtet. "Das ist nicht so schwer wie das Deutsche" - das sie sich konsequent aneignete und längst perfekt beherrscht.

Als Lehrerin konnte sie nicht weiterarbeiten. "Meine Zeugnisse wurden nicht anerkannt. " Bei Bewerbungen für Firmen spürte sie Ressentiments, trotz ihres deutschen Nachnamens. "Mein nur mit C geschriebener rumänischer Vorname war natürlich verdächtig. " Cristina Seeger kam vor 30 Jahren "in ein fremdes Land, an einen Ort mit noch fremderen Menschen und einer fremden Sprache", erzählt sie. Lange her. "Damals waren viele Leute noch verhalten und verschlossen Fremden gegenüber. " Heute erlebe sie in Ingolstadt eine weitaus größere Aufgeschlossenheit für Migrantinnen und Migranten. "Ich bin dankbar, dass wir so offen geworden sind! "

Viele Migranten wünschen sich mehr Anerkennung

In Ingolstadt leben Menschen aus 125 Ländern. Dass die Bevölkerung zusammenfindet, ist für Seeger elementar in einer Stadt, in der 48 Prozent ihre Wurzeln im Ausland haben, davon allein 12000 Bürger in Rumänien. Es sei ein langwieriger Prozess, den Gegensatz "wir" und "die" zu überwinden. Zu einem guten Miteinander, in dem die Nationalität keine Rolle mehr spielt, müsse jeder etwas beitragen. Für Seeger steht fest: "Integration ist keine Einbahnstraße! Migranten wollen von der Stadtgesellschaft anerkannt werden. Es wird in Ingolstadt viel für Migranten gemacht, aber nicht mit ihnen. " So hilfreich Sprachkurse oder andere Angebote auch seien - "viele Migranten wollen ausdrücken: ,Wir gehören dazu! ' Sie wollen mitwirken. "

Wie sie es tut. Seeger engagiert sich im Migrationsrat der Stadt. Hier meldet sie sich couragiert zu Wort, wenn ihr etwas wichtig ist, etwa 2017 die Kritik an der Situation von Müttern und Kleinkindern in den Asylbewerberunterkünften. Außerdem ist Seeger, die in der Stadtverwaltung arbeitet, Vorsitzende des 70 Mitglieder zählenden Rumänischen Freundeskreises - einer von 27 internationalen Kulturvereinen in Ingolstadt. Jedes Jahr feiern sie (normalerweise) mit der ganzen Stadt im Klenzepark das ziemlich rauschende "Fest der Kulturen". Es erstaune sie immer wieder, was die Ehrenamtlichen dazu alles aufbieten, sagt Seeger. Die Vereine leisteten Enormes für das Zusammenleben. Und gleichwohl dafür, die Kultur der Herkunftsländer zu bewahren. Denn gelungene Integration dürfe niemals bedeuten, dass jemand seine Identität aufgibt oder verliert. Cristina Seeger trennt hier klar: "Rumänien ist meine Heimat und Ingolstadt ist mein Zuhause. "

Sie träumt von einem "Haus der Ingolstädter Kulturvereine", um das Miteinander weiter zu stärken. Damit könne die Stadt einen großen Beitrag für die Integration leisten. Diese sei, wie gesagt, keine Einbahnstraße. Deshalb wünscht sich Seeger auch, dass sich deutlich mehr eingewanderte Ingolstädter um die deutsche Staatsbürgerschaft bemühen; sie besitzt die deutsche und die rumänische. Eines fordert sie von allen: Gutes Deutsch zu lernen. Unbedingt. "Denn Integration geht nur über Sprache. " Sie bittet, die zahlreichen Angebote der Volkshochschule zu nutzen. "Die leisten tolle Arbeit! "

Wollen viele Politiker das Thema Migration umgehen?

Aus der Perspektive der Migrationsrätin fallen ihr mit Blick auf die Bundestagswahl am Sonntag zuerst nur zwei Wörter ein: "Ganz traurig. " Die Themen Migration und Flucht kämen in den Programmen der großen Parteien, wenn überhaupt, nur marginal vor, sagt sie. "Ich habe den Eindruck, die wollen das Thema vermeiden. " Weil es ein Reizthema sei, von dem nur die AfD profitiere. Es sei aber dringend erforderlich, sich entschlossen mit der Einwanderung zu beschäftigen. "Denn die Zahlen steigen, und viele Migranten haben Probleme. " Cristina Seeger wird sich weiter für sie einsetzen.

DK

Christian Silvester