Ingolstadt
Mit Suren gegen Vorurteile

2000 Muslime folgen der Einladung von Milli Görüs zur Koran-Rezitation in die Saturn-Arena

27.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:07 Uhr

Stimmgewaltig: Hasan Sadiki aus dem Iran gehört zu den bekanntesten Koran-Rezitatoren der Welt. Er und seine Kollegen Ishak Daniz aus der Türkei und der Ägypter Ahmed Naina präsentierten in der Saturn-Arena ihre Kunst - Fotos: Rössle

Ingolstadt (DK) Fast könnte man meinen, der ERC müsse nach seinem Freitagspiel am Samstagabend gleich wieder ran. Der Parkplatz der Saturn-Arena ist gut gefüllt. Ungewöhnlich sind nur die Kennzeichen.

Die Gäste kommen aus ganz Bayern. Spätestens am Eingang wird klar, dass die Veranstaltung an diesem Abend mit Eishockey wenig gemein haben wird. An den beiden Glastüren, vor denen Grills dampfen, stehen Fatma und Sara. Die beiden 21-Jährigen passen auf, dass durch die rechte Tür nur Frauen gehen und die Männer den linken Eingang benutzen. „Es hält sich aber niemand dran“, sagt Sara und lacht. Die beiden jungen Frauen tragen schwarze Kleider und grüne Kopftücher. Sie sind Mitglieder bei Milli Görüs. Der Ingolstädter Ortsverein der Vereinigung hat zu dem Abend geladen. Auf dem Programm stehen Koran-Rezitationen. Das auswendige Vortragen aus dem heiligen Buch der Muslime gilt als Kunstform, und die Ingolstädter haben die Besten dieses Fachs eingeladen. Ziel ist es, „Klischees gegen den Islam abzubauen“, heißt es in der Ankündigung.
 
Die konservative Auslegung des islamischen Glaubens, die Milli Görüs vertritt, hat viele Kritiker. Sicher sitzen auch an diesem Abend Vertreter des Verfassungsschutzes im Publikum. Antisemitismus und eine Nähe zum gewaltbereiten Islamismus werden Milli Görüs immer wieder nachgesagt. Vor dem Abend in der Saturn-Arena wurde über mögliche Proteste spekuliert. Die bleiben allerdings aus. Nur ein Mal gibt es kurz Unruhe im Publikum. Ein Herr beschwert sich lautstark über den verspäteten Anfang der Veranstaltung.
 
Auf 3000 bis 4000 Besucher hatte der Ingolstädter Ortsverein gehofft. Gekommen sind etwa 2000. Getrennt in Männer und Frauen hören sie die Begrüßung der beiden Moderatoren Yasin Altintac und Idris Mete. Auch auf Deutsch fallen einige Worte. Das erste Grußwort spricht Emsal Altintac, der Gemeindeleiter von Milli Görüs in Ingolstadt. Außenstehenden bleibt die Rede auf Türkisch allerdings verschlossen.
 
Bürgermeister Sepp Mißlbeck ergreift das Wort für die Stadt Ingolstadt. Er mahnt, dass Integration auf gegenseitiges Verständnis angewiesen sei. „Dafür sollten wir uns alle einsetzen.“ Nach seiner Rede setzt er sich in die erste Reihe neben Schulamtsdirektor Anton Mang.

Über 20 Minuten dauert die Begrüßung von Mustafa Mullaoglu, vom Milli-Görüs-Dachverband. Er gestikuliert, spricht laut und engagiert. Immer wieder gibt es zustimmende Rufe aus dem Publikum. „Allahu Akbar – Gott ist groß.“ Nach der Rede scheinen Mißlbeck und Mang kurz unschlüssig, in den tosenden Applaus einzustimmen – schließlich wissen sie nicht, was gesagt wurde, eine Übersetzung bleibt aus.

Dann beginnt die eigentliche Veranstaltung. Den Anfang macht Hasan Sadiki aus dem Iran. Im Sprechgesang trägt er über eine halbe Stunde aus dem Koran vor. Im arabischen Original. Da die meisten Zuhörer türkischer Abstammung sind, wird der Text auf zwei Leinwänden auf Deutsch und Türkisch übersetzt. Nach Sadiki präsentieren Ishak Daniz aus der Türkei und der Ägypter Ahmed Naina ihre Kunst. Immer wieder gibt es begeisterte Zwischenrufe. Smartphones, Kameras und Tablet-PC werden in die Höhe gereckt.

In der Eingangshalle schlendern die 15-jährige Hale aus Kösching und ihre Mutter an den aufgebauten Ständen vorbei. Kleidung gibt es hier, Schmuck, Bücher, Kaffee und Kuchen. Ihr Kopftuch hat sie abgenommen. In der Halle trägt sie es, wie praktisch alle Frauen, die an diesem Abend gekommen sind. „Es gehört dazu“, findet Hale. Im Alltag verzichtet sie auf den Kopfschmuck, aber beim Gebet oder religiösen Veranstaltungen hält sie das Tuch für geboten. Sie ist hier auf Vorschlag ihrer Mutter. Alleine wäre sie wahrscheinlich nicht gekommen, aber jetzt findet sie es „schon ganz interessant“, sagt die junge Muslima. Nach einer kurzen Stärkung kommt das Kopftuch wieder zum Einsatz und die beiden gehen in die Halle zurück.