Ingolstadt
Grenzerfahrungen in Wettstetten

Irgendwie merkwürdig: Mitten im Wohngebiet der Nachbargemeinde gehören zwei Straßen zu Ingolstadt

15.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:07 Uhr

Der Grenzverlauf zwischen Wettstetten und Ingolstadt wurde vor über 40 Jahren festgelegt. Mittlerweile ist der Ort nördlich von Ingolstadt über diese Grenze hinausgewachsen. Mitten in Wettstetten befindet man sich deswegen jetzt in Ingolstadt. Die Grenze (blaue Linie) verläuft quer durch ein Wohngebiet. Quelle: Vermessungsamt

Ingolstadt/Wettstetten (DK) Eigentlich müsste mitten in Wettstetten ein Ortsschild „Ingolstadt“ stehen, denn die Grenze zum Stadtgebiet verläuft quer durch ein Wohnviertel der Gemeinde. In zwei Straßen leben hier Ingolstädter, die sich auch als Wettstettener fühlen.

Lena Fichtner wohnt in Ingolstadt. Einige ihrer besten Freunde, Henrik Morich zum Beispiel, wohnen in Wettstetten. Wenn die Neunjährige ihren Freund besuchen will, muss sie sich aber nicht von ihrer Mama kutschieren lassen oder kilometerweit durch Felder und Wiesen nach Norden fahren. Sie kann einfach aus der Haustüre gehen, zwei Grundstücke weiter marschieren, und schon ist sie in Wettstetten. Auf dem kurzen Weg durch das Wohngebiet kommt sie an einer Stelle vorbei, an der sich das Pflaster auf dem Gehsteig plötzlich verändert. Auf der einen Seite sind Platten verlegt, auf der anderen ist der Boden asphaltiert. Hier verläuft die Grenze zwischen Ingolstadt und Wettstetten, obwohl die Stadt doch eigentlich weit weg, schon fast hinter dem Horizont scheint.

Wie es zu der eigentümlichen Situation kam, kann Wettstettens Bürgermeister Gerd Risch erklären: Bei der Gebietsreform sind die Gemeindegrenzen festgelegt worden. Damals noch außerhalb der Wohnbebauung. Im Laufe der Jahre ist Wettstetten allerdings über die Grenze und damit auf Ingolstädter Stadtgebiet hinausgewachsen. „Die Ingolstädter haben einfach unseren Bebauungsplan weitergeführt“, sagt Risch. Und so gehören etwa in der Josef-Fleischmann-Straße die Hausnummern 1 bis 8 zu Wettstetten, die anderen zu Ingolstadt. Tatsächlich werden die betroffenen Straßenzüge im Ingolstädter Rathaus so behandelt, „als lägen sie mitten in der Ingolstädter Altstadt“, wie Stadtsprecher Michael Klarner sagt. Stellenweise wurde der Grenzverlauf in der Vergangenheit allerdings leicht abgeändert und den Grundstücken angepasst. In einem Fall wurde er Anfang der 1990er Jahre etwa um ein Haus herumgezogen. Bis dahin verlief die Gemeindegrenze zwischen Wohn- und Schlafzimmer.

Im Alltag merkt man von der eigentümlichen Grenzlage freilich nichts, sagt Lena, und ob die Kinder in der Nachbarschaft jetzt offiziell in dem einen oder dem anderen Ort wohnen, ist ihr ziemlich egal. Grundsätzlich fühlt sich Lena aber eher als Wettstettenerin. „Ich spiele auch mit Henrik in der E2-Jugend des SV Wettstetten Fußball“, erklärt sie. „Und wenn wir gegen die DJK Ingolstadt spielen, hoffe ich natürlich, dass wir gewinnen.“ Und mit „wir“ meint sie Wettstetten.

Auch die Erwachsenen im Grenzgebiet nehmen die kuriose Situation sportlich. „Die Sache ist eigentlich eine rein verwalterische Angelegenheit“, sagt Regine Morich. Mit einigen interessanten Auswirkungen allerdings. Silke Friedrichsen wohnt praktisch direkt auf der Grenze. Zeitweise kam bei ihr zweimal in der Woche die Müllabfuhr. Einmal die Ingolstädter, einmal die aus dem Kreis Eichstätt. „Vor allem in der Zeit, in der wir viele Windeln entsorgen mussten, war das gar nicht unpraktisch“, erzählt sie. Überhaupt florierte in dem Wohngebiet der Mülltourismus. Bis vor Kurzem wurde etwa der gelbe Sack auf der einen Seite alle zwei, auf der anderen nur alle vier Wochen abgeholt. Da wanderte immer mal wieder der eine oder andere Beutel über die Demarkationslinie. Im Winter türmen sich die Schneehaufen entlang des Grenzverlaufes, da die Winterdienste von beiden Seiten an der unsichtbaren Linie kehrtmachen.

Wenn es amtlich wird, wird es für die Wettstettener Ingolstädter manchmal etwas umständlich. Nicht nur, weil sie für Behördengänge ins weit entfernte Ingolstadt müssen, während die Nachbarn ins nahe Wettstettener Rathaus gehen können. Da Lena und die anderen Kinder südlich der Grenze in Wettstetten in die Schule gehen wollen, müssen die Eltern hier einen Gastschulantrag stellen. Im kommunalen Wettstettener Kindergarten werden sie erst aufgenommen, wenn alle Wettstettener Kinder versorgt sind, berichtet Nicole Fichtner.

In der Nachbarschaft erzählt man sich, dass es bei der Bebauung des Wohngebiets vor etlichen Jahren Überlegungen gegeben habe, die betroffenen Straßen Wettstetten zuzuschlagen. Allerdings wollten das einige der Bauherren nicht, die zu einem großen Teil aus Ingolstadt stammten. Angeblich sei ihnen die Vorstellung ein Gräuel gewesen, mit einem Eichstätter Auto-Kennzeichen durch die Gegend fahren zu müssen.