Ingolstadt
Die heilige Halle der Polizei

Was hat es mit dem kirchenähnlichen Altbau auf dem Gelände des Präsidiums auf sich?

22.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:48 Uhr

Einstiger Sakralbau im Sicherheitsbereich: Das 298 Quadratmeter große Gebäude liegt hinter der Mauer des Polizeipräsidiums.

Ingolstadt (DK) So mancher hat sich vielleicht auf dem Weg zum Volksfestplatz über den Anblick gewundert: Da steht, hinter der Mauer des Polizeipräsidiums, ein solides Gebäude mit hohen Bogenfenstern, das stark an eine Kirche erinnert. Was da wohl drin ist? Hauptkommissar Wieland Radlmair hat den Schlüssel.

Die schwere Holztür ist oben ganz klassisch mit kleinen Spießen gegen tieffliegende Tauben gewappnet. Auch sonst ist der hohe Bau mit dem spitzwinkligen Satteldach nur bedingt auf anheimelnde Freundlichkeit getrimmt. Die meisten Fenster an den langgestreckten Seiten sind mit Ziegeln zugemauert worden. Licht dringt fast nur durch die zwei hohen Bogenfenster an den Stirnseiten. Die sind dafür relativ repräsentativ; im Vergleich zum Rest. Der helle Naturstein wirkt farblich ideal auf den Wall abgestimmt, der das Polizeipräsidium zwischen Harder- und Dreizehnerstraße umgibt. Dass das Gemäuer des rätselhaften Bauwerks neben der Einsatzzentrale und dem Funkturm des Präsidiums sehr dick sein muss, sieht man ihm schon von weitem an. Was hat es mit dem Klotz, der irgendwie an eine Kirche erinnert, auf sich?

Einmal mehr kennt der Historiker Kurt Scheuerer die Antwort: Es war ursprünglich keine Kirche, sondern genau das Gegenteil: ein Kriegspulvermagazin, auch als Patronenhaus bezeichnet. Daher diese Solidität. Es gibt zwei davon. Das andere steht rund 400 Meter weiter an der Dreizehnerstraße.

Die Pulverkammern gehörten einst zur Friedenskaserne, die zwischen 1878 und 1880 erbaut wurde. In einem Flügel residiert seit 1982 die Polizei, das Finanzamt zog 1983 nebenan ein. Das Patronenhaus gegenüber der Euro-Sprachenschule dient bis heute als Kirche: Hier feiern die Russisch-Orthodoxe und die Ukrainisch-Orthodoxe Gemeinde ihre Gottesdienste. Und auch das einstige Pulvermagazin auf dem Polizeigelände hat den seltenen Wandel zur Kirche vollzogen.

Aber nur vorübergehend. Die Geschichte des Patronenhauses erzählt eine Menge über die Not der Nachkriegszeit. Noch Ende 1947 lebten in Ingolstadt über 6000 ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen, der UdSSR und anderen Staaten. Sie waren im Krieg von den deutschen Invasoren verschleppt worden und wollten (oder konnten) später nicht mehr in ihre Heimatländer zurück. Einige Hundert waren in der Friedenskaserne untergebracht. Die firmierte als Unterkunft der internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) der Vereinten Nationen. „Displaced Persons“ lautete die Bezeichnung der US-Militärregierung für die einstigen Zwangsarbeiter und politischen Flüchtlinge. Die Ingolstädter sprachen vom „Verschlepptenlager“.

Eines mit zwei gut befestigten Kirchen. Die Polen feierten ihre Messen im Patronenhaus an der Harderstraße. Rund 335 von ihnen lebten 1950 noch in der Friedenskaserne. Nach und nach fanden die Flüchtlinge eine neue Heimat. Die Kirche hatte ausgedient. Bis heute künden polnische Schriftzüge im Inneren von dieser Episode. Später richteten diverse Firmen hier ein Lager ein. 1992 erwarb die Polizei die Immobilie.

Und auch die nutzt sie als Lager. Ein Renommierbereich der bayerischen Polizei tut sich daher nicht gerade auf. Dutzende Fahrräder, alles Fundstücke, die auf ihre Versteigerung warten, parken im Dunkeln. Drum herum stapeln sich außer Dienst gestellte Möbel samt betagtem Büroinventar. „Das kommt bald alles auf den Sperrmüll“, berichtet Polizeihauptkommissar Wieland Radlmair. „Viele Räume werden gerade neu eingerichtet.“ Da biete sich der Bau mit dem acht Meter hohen Gewölbe als Zwischenlager gut an.

Radlmair hat recherchiert: Bei einer Gesamtfläche von 298 Quadratmetern geht ganz schön was hinein in die einstige Kirche. Das Grundstück, auf der sie steht, misst 1339 Quadratmeter. Die Polizei weiß nicht recht, was sie mit dem sperrigen Komplex anfangen soll, außer eben ausrangiertes Dienststellenzubehör darin zu lagern. „Abreißen geht natürlich nicht“, sagt Radlmair. „Denn das ist ein Denkmal.“

Und so bleibt die ehemalige Munitionsstätte und Kirche mit den zwei Meter dicken Mauern eine der am besten gesicherten Rumpelkammern Bayerns.