Ingolstadt
"Die 28-Stunden-Woche geht gar nicht"

Zwischen Zustimmung und Skepsis Beobachter machen sich Gedanken zum Tarifkonflikt in der Metallindustrie

02.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr

Außensicht: Adolf Engel (von links), Olaf Langner und Steffi Kempe verfolgen den Dauerstreik bei Audi und die Lohnforderungen der IG Metall. - Fotos: Strisch / privat / Hauser

Ingolstadt (DK) Mit gemischten Gefühlen blickt Adolf Engel auf den Streik bei Audi und die Forderungen der IG Metall. Es sei immer erstrebenswert, dass Arbeitnehmer mehr Geld verdienen, sagt der Obermeister der Innung für Spengler-, Sanitär- und Heizungstechnik Ingolstadt.

Allerdings sei das Problem in der Metallindustrie längst nicht so virulent wie in anderen Branchen. "Wir haben einen Pflegenotstand. Da müssten die Löhne zuerst deutlich steigen", findet er. Man müsse zudem bedenken, dass es auch in der Industrie viele Arbeitnehmer gibt, die von einer Tariferhöhung nicht profitieren. Leiharbeiter, Kollegen mit Werkverträgen oder ohne Tarifverbindung arbeiteten oft das Gleiche wie andere, verdienten aber deutlich weniger. "Eigentlich müsste der, der das Gleiche macht wie sein Kollege, auch das Gleiche verdienen. Das steht ihm doch zu." Ein hoher Tarifabschluss werde Konzerne dazu motivieren, weitere Bereiche outzusourcen oder mehr Teile vorfertigen zu lassen - von Betrieben, die ihre Arbeiter eben nicht nach Tarif bezahlen.
Bei steigenden Tariflöhnen müssen auch kleinere und mittelständische Betriebe ihren Angestellten mehr bezahlen. "Und die müssen das dann an die Kunden weitergeben. Sie haben gar keine andere Möglichkeit", sagt Engel. Plötzlich müsse dann ein Auftraggeber, bei dem etwa eine größere Reparatur im Bad ansteht, "einen Monat arbeiten, um den Handwerker zu bezahlen". Stark steigende Löhne in der Industrie verschärfen außerdem das bereits bestehende Problem, dass viele Facharbeiter von Handwerksunternehmen zu Audi abwandern, weil dort deutlich höhere Löhne locken. "Wenn jemand nur nach dem Geld schaut, kann man ihn nicht halten", sagt Engel. Kleinere Firmen könnten dann höchstens mit einer familiären Atmosphäre oder einem kollegialen Umfeld punkten. Engel hofft deswegen auf eine "moderate Tariferhöhung" in der Metallbranche, betont aber auch: "Die 28-Stunden-Woche geht gar nicht. Wer soll das bezahlen"

Dass der Streikschwerpunkt der IG Metall auf der Autoindustrie liegt, erzürnt manchen, der das Gefühl hat, dass gerade in dieser Branche ohnehin schon gutes Geld verdient wird. Entsprechende Kommentare liest man nicht nur unter den Artikeln auf donaukurier.de. Auch in Sozialen Medien wird gegen das "asoziale und abgehobene" Auftreten gerade von Audi-Mitarbeitern polemisiert, die doch in vielen Bereichen - etwa bei der Suche nach Wohnungen und Kita-Plätzen - "bevorzugt behandelt würden". Gleichzeitig hätten außertariflich Beschäftigte in Zulieferbetrieben nichts von einer Lohnerhöhung und seien stattdessen mit steigenden Lebenshaltungskosten konfrontiert, die in Ingolstadt "alle an das Audi-Gehalt" angepasst seien.

Ähnliches beobachtet Olaf Langner, Unternehmer in Hundszell. "Extreme Lohnsteigerungen" hielten eine Spirale am Laufen, ist er überzeugt, von der am Ende niemand etwas habe. "Wenn ein Gutverdiener immer mehr Miete bezahlen muss, ist doch die Frage, ob er letztendlich wirklich ein Gewinner ist." Auch Langner sieht, dass der Segen einer Tariferhöhung nur die erreichen, die auch nach dem Taif bezahlt werden. Dabei steige die Zahl derer, die etwa in den Zulieferbetrieben viel weniger verdienen. "Hier entstehen Schichten. Die Schere geht immer weiter auseinander. Wo bleibt da die Gerechtigkeit" Langner beschäftigt in seinem Planungsbüro mit angeschlossener Produktion derzeit 22 Mitarbeiter. Mit den Gehältern, die etwa bei Audi bezahlt werden - "vor allem mit den extremen Gratifikationen"- könne er nicht konkurrieren. Engagierte Mitarbeiter zu finden, sei dennoch kein Problem, da die Kollegen das kreative Umfeld und die reizvollen Aufgaben schätzten, die sein Unternehmen bieten könne. "Für die Kollegen ist das Gewicht der Lohntüte zum Glück nicht alles."

Steffi Kempe, Geschäftsführerin von Verdi in Ingolstadt, hat in ihrem Job viel mit Menschen zu tun, die in Niedriglohnbranchen arbeiten. Sie kennt die Nöte von Zeitarbeitnehmern und Arbeitern mit Werks- und befristeten Verträgen. Trotzdem stehe sie "voll und ganz" hinter den Forderungen der IG Metall. Die Wirtschaft boomt und das müsse auch bei den Beschäftigten ankommen. Beim Anruf des DONAUKURIER war sie am Freitag gerade unterwegs zu den Streikenden, um eine Solidaritätsbekundung abzugeben.

Den Beschäftigten, die über geringe Bezahlung klagen oder in Zulieferbetrieben und anderen Firmen unter ungerechten Arbeitsverhältnissen leiden, rät sie, sich zu organisieren. "Das ist das A und O", betont sie. "Ab fünf Angestellten kann ein Betriebsrat gegründet werden." Da hätten einige Firmen noch einen "deutlichen Nachholbedarf". Das sei der erste Schritt, um Verbesserungen zu erzielen. Derzeit diskutiert Verdi, mit welchen Forderungen man im März in die Tarifverhandlungen gehen wird. "Noch ist das nicht entschieden, aber ich denke, das wird sich auch im Bereich der aktuellen Forderungen der IG Metall bewegen", ist sich Kempe sicher.