Ingolstadt
Strafbefehl sorgt für Unverständnis

Anzeige gegen Neuburger Notarzt könnte auch in Ingolstadt Auswirkungen auf Rettungsfahrer haben

06.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:41 Uhr

Sollte es zu einer Verurteilung des Neuburger Notarztes kommen, betrifft das alle Fahrer von Blaulichtfahrzeugen. Wenn sie zu Notfällen eilen, müssten sie dann nämlich nicht nur um Menschenleben, sondern auch um ihren eigenen Führerschein bangen. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) April 2014: Ein zweijähriges Kind droht zu ersticken. Der Neuburger Notarzt Alexander Hatz eilt mit Blaulicht los. Ein Autofahrer zeigt ihn wegen Gefährdung des Straßenverkehrs an.

Hatz flattert ein Strafbefehl ins Haus. Der könnte weitreichende Konsequenzen für Rettungseinsätze haben. Auch in Ingolstadt. Sechs Monate Führerscheinentzug und 4500 Euro lautet der Strafbefehl gegen den Neuburger Arzt. Er hat Einspruch eingelegt, der Fall wird im April vor dem Neuburger Amtsgericht verhandelt. In Ingolstadt wird das Thema bei Rettungsdienst und Feuerwehr heftig diskutiert, wie der langjährige Rettungsassistent und Einsatzleiter Thomas Thöne bestätigt. „Manche Kollegen sagen: Gut, dann fahren wir mit Blaulicht nur noch 50 und kommen später.“ Dies könnte dazu führen, dass die Hilfsfristen nach dem bayerischen Rettungsdienstgesetz nicht mehr eingehalten werden können. Jeder an einer Straße liegende Einsatzort muss innerhalb von höchstens zwölf Minuten oder in dünn besiedelten Gebieten in bis zu 15 Minuten erreicht werden können. Schließlich geht es oft um Sekunden.

63 Notärzte sind in Ingolstadt im Schichtbetrieb tätig, alles Klinikumsärzte, deren Tätigkeit als Notarzt in ihre Arbeitszeit fällt. Von den sechs leitenden Notärzten einmal abgesehen, haben alle Notärzte einen teils ehrenamtlichen Fahrer vom Roten Kreuz bei ihren 200 bis 300 Einsätzen pro Jahr, erklärt Stephan Steger, leitender Notarzt und Oberarzt am Klinikum. „Ich kenne Doktor Hatz, er fährt seit 23 Jahren und hat ausgesprochene Routine.“ Der Strafbefehl treffe bei den Notärzten am Klinikum auf Unverständnis. Vielmehr würden sich andere Autofahrer teils haarsträubend verhalten, sobald sich ein Fahrzeug mit Blaulicht nähere, so Steger. „Wir rasen nicht wie Cowboys durch die Gegend.“

Es herrscht große Verunsicherung unter den oft ehrenamtlichen Fahrern. Ihren Führerschein wollen viele nicht riskieren. Er selbst sei auch lange Zeit Rettungsdienst gefahren, so Thöne. „Da hätte man mich auch öfter anzeigen können, weil man in Situationen kommt, in denen andere Fahrer mit Manövern reagieren, bei denen du dir nur an den Kopf fassen kannst.“

Diese Erfahrung hat auch Klaus Harbauer, Obmann beim Notarztverein Kösching, gemacht. „Man muss sich im Klaren sein, dass jemand, der zu einem Notfall fährt, Stress pur hat. Er muss dreifach mit Fehlern der anderen rechnen – das kann manchmal als Nötigung empfunden werden.“ Absicht zu unterstellen, hält er für weit hergeholt. Bei Einsatzfahrzeugen mit Blaulicht bekämen manche Autofahrer Panik und würden zum Beispiel in langgezogenen Rechtskurven stehen bleiben – „überholen Sie da mal links“, sagt Klaus Harbauer nur. Wieder andere hielten gar nicht mehr an, fügt Thomas Thöne hinzu. Die Verkehrsmoral gegenüber Einsatzkräften habe stark nachgelassen – „der eigene Egoismus“.

„Es ist klar, dass man als Fahrer mit Sonderrechten eine besondere Verantwortung hat, das wissen alle“, sagt Peter Springl, Vorsitzender der Freiwilligen Feuerwehr Ingolstadt. Auch er kenne den Neuburger Notarzt, um den es in der Debatte geht, und seine besonnene Art. „Es hat mich sehr gewundert, dass es ausgerechnet ihn erwischt.“ Man müsse als Fahrer immer die Dringlichkeit des Einsatzes mit abwägen. In diesem Fall ging es um ein Kinderleben, so Springl.

Sein Bruder Michael Springl, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Ingolstadt, hofft auf eine weise Entscheidung vor Gericht, denn sie könne richtungsweisend sein. Als selbstständiger Unternehmer kann er die Sorge der Fahrer von Blaulichtfahrzeugen verstehen, ihren Führerschein im Einsatz zu verlieren. „Das Ehrenamt muss ich nicht machen, meine Arbeit schon.“ Er verweist auf das Wegerecht, das in dem Fall angeordnet war, weil es um ein Menschenleben ging: Die anderen Fahrer müssen die Straße für das Einsatzfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn freimachen – er frage sich also, warum der andere auf der geraden Strecke nicht eh von selber zur Seite gefahren sei. Und: Niemand sei zu Schaden gekommen, das Leben des Mädchens konnte gerettet werden.

Thomas Thöne hofft auf eine Einstellung des Verfahrens, denn sonst wäre nicht auszuschließen, dass es bald nicht mehr genug ehrenamtliche Fahrer gebe. „Wenn es zu einer Verurteilung kommt, wird das bundesweit Signalwirkung haben“, sagt Klaus Harbauer. Die Ehrenamtlichen würden sich überlegen, ob sie ihre Tätigkeit weiterhin ausüben wollen, „wenn sie so behandelt werden“. Das Ganze könnte den Fortbestand des Rettungsdienstes gefährden. Er empfindet den Strafbefehl als „Schlag ins Gesicht derer, die freiwillig ihre Freizeit dafür opfern, anderen zu helfen“.