Ingolstadt
"Schuld waren am Ende immer wir"

Ein Sinto aus Ingolstadt berichtet über Ausgrenzung und Diskriminierung Ausstellung zur Situation in der NS-Zeit

08.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:06 Uhr

Robert Paskowski weiß, wie es ist, als Sinto in Ingolstadt zu leben. Der Vorsitzende des Sinti-Kultur- und Bildungsvereins Ingolstadt kann nicht nur von eigenen Erfahrungen berichten. Auf dem Bild sieht man ihn in der Ausstellung "Rassendiagnose: Zigeuner". - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Geschätzt 70.000 Sinti und Roma haben ihre Heimat in Deutschland. Sie sind deutsche Staatsbürger und seit 1995 politisch als nationale deutsche Minderheit anerkannt. In Ingolstadt leben derzeit noch etwa 50 Familien, vorwiegend den Sinti angehörend. Ihre genaue Zahl ist aber unbekannt.

Das sagt Roberto Paskowski, selbst Sinto und seit 1980 in der Schanz zu Hause. Der 60-jährige Vorsitzende des Sinti-Kultur- und Bildungsvereins Ingolstadt kennt Sinti und Roma, die seit Langem in der Schanz verwurzelt sind. Er weiß auch, dass viele von ihnen sich öffentlich nicht zu ihrer Herkunft bekennen möchten. Geschweige denn, sich zu Alltagserfahrungen als Angehörige einer in der NS-Zeit radikal verfolgten Minderheit äußern wollen (siehe weiterer Bericht). "Es gibt Ängste, sich zu erkennen zu geben. Und diese Ängste wurden über Jahrhunderte weitergegeben", sagt Paskowski, der als einziger für ein Gespräch bereitstand. Paskowski, dessen Vorfahren aus Ostpreußen stammen und der in Fürth geboren und aufgewachsen ist, kennt das Gefühl der Ausgegrenztheit, will sich aber nicht verstecken. "Ich gehe nach vorne, möchte wahrgenommen werden", sagt er.

Sinti und Roma leben seit 650 Jahren in Europa (siehe Kasten). Bis heute seien sie hier jedoch laut Angaben des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Diskriminierung, Verfolgung und sozialer Benachteiligung ausgesetzt. Paskowski hat das am eigenen Leib erfahren. Er kann sich noch gut an seine Schulzeit in den 1960er-Jahren erinnern. "Damals wurden wir geschlagen von Lehrern, die Altnazis waren, und von Kindern", erzählt er. "Ich habe zurückgeschlagen, denn gefallen lassen wollte ich mir nichts. Aber schuld waren am Ende immer wir."

Auch heute noch litten Kinder von Sinti und Roma an Schulen unter Ausgrenzung, so Paskowski. Ihm seien zudem Fälle von Diskriminierung in Ingolstadt bekannt, in denen Sinti und Roma keinen Campingplatz gefunden hätten und im Restaurant nicht bedient und aufgefordert worden seien, das Lokal wieder zu verlassen. Von der Wohnungssuche ganz zu schweigen: "Als Sinti in Ingolstadt eine Wohnung zu bekommen, ist schier unmöglich", so Paskowski. Er zitiert eine Studie, nach der 60 Prozent der Deutschen Sinti und Roma als Nachbarn ablehnen. Positiv wiederum seien seine Erfahrungen aus der Zeit, als er in einem Sportverband als Trainer und Kampfrichter aktiv war. "Damals war ich anerkannt", sagt er. In Ingolstadt würden Sinti und Roma zudem seit vielen Jahren als Gastgemeinde eine christliche Freikirche besuchen. "Das hat in der Einstellung dem anderen gegenüber eine gewaltige Veränderung zum Positiven bewirkt", so Paskowski. Voreingenommenheit gebe es nach wie vor in der öffentlichen Wahrnehmung: "Wir pflegen das Zusammengehörigkeitsgefühl und treten oft als Familiensippe auf, sei es bei Krankenhausbesuchen oder Geburtstagen. Da kommen viele Leute zusammen, und es kann auch mal laut werden." Ein Umstand, für den Außenstehende kein Verständnis aufbrächten.

Auch ein "institutioneller Rassismus" sei "immer noch real", sagt er. So sei vor etwa 20 Jahren - Paskowski war als selbständiger Kaufmann tätig - einmal in seinen Wohnwagen eingebrochen worden. "Ermittelt wurde aber gegen mich wegen des Verdachts auf Versicherungsbetrug." Die Ursachen für Ausgrenzung und Diskriminierung sieht Paskowski im Umgang mit der Minderheit schon vor dem Krieg. "Man wollte uns nicht auf die Beine helfen, uns keine Bildung zukommen lassen", sagt er. Ein anderes Problem sei die Verallgemeinerung, wenn jemand Negatives mit Sinti und Roma erlebt habe. "Da heißt es dann gleich, das sind halt Zigeuner", klagt er und meint damit das Vorurteil vom umherziehenden Volk, das stiehlt und hausiert. Dabei legten moderne Sinti und Roma-Familien heute Wert auf geregelte Arbeit und Bildung.

"Das geerbte Trauma" - so bezeichnet er die Situation. "Wir haben keine Lobby, kein Land und keinen Präsidenten, der Verantwortung für uns trägt. Mit unseren Problemen wurden wir immer allein gelassen." Er betont aber auch: "Wir sind Deutsche und tief verwurzelt, auch in der Ingolstädter Gesellschaft, und trotzdem immer irgendwie fremd." Mit dem Verein, den er vor drei Jahren gegründet hat, möchte Paskowski einen Beitrag für mehr Integration leisten. Auch durch öffentliche Präsenz.