Ingolstadt
"Sakrileg" für Fortgeschrittene

Wie Werner Karl nach jahrelangem Rätseln die geheimnisvolle Inschrift "Ananizapta" im Feldkirchner Tor entschlüsselte

18.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:56 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Generationen von Gelehrten sind an dem Rätsel verzweifelt. Legionen von Intellektuellen gaben entnervt auf. Goethe hat es gewagt – und lag völlig daneben. Ebenso Joseph Hartmann, der anno 1907 eine Lösung präsentierte; leider die falsche. Trotzdem ist nach dem Professor in Ingolstadt später der Platz an der Oberrealschule benannt worden. Selbst Siegfried Hofmann, bester Kenner der Ingolstädter Stadtgeschichte, wusste keinen Rat. Aber dann kam Doktor Karl. Und zeigte es allen. Er hat das vielleicht größte Rätsel der Schanz gelöst.

Es begab sich vor 20 Jahren, als im Apian-Gymnasium eine Stadtführerin nach Werner Karl verlangte; der Studiendirektor für Geschichte und Latein hatte sich heimatkundlich stets sehr hervorgetan. Sie fragte, was die seltsame Inschrift „Ananizapta“ im Feldkirchner Stadttor aus dem Jahr 1373 bedeute. Dasselbe mysteriöse Wort, das auch das 1879 abgerissene Hardertor zierte. Anani – was? „Das klang wie Abrakadabra“, erzählt Karl. „Ich dachte mir, das haben wir gleich. Rufst den Dr. Hofmann im Stadtarchiv an, der weiß alles.“ Ananizapta. „Für ihn hat es sich angehört wie ,Anni zapft an’.“ Damit war dem Gelehrten freilich auch nicht geholfen. Also begann Karl, das Rätsel selbst zu lösen. Es kostete ihn Jahre. Viele Jahre. Beinahe fünf.

Seit einiger Zeit ist er Pensionär. Die Geschichte der Entschlüsselung hat er schon ein paarmal zum Besten gegeben. Wegen des neuen Interesses am Feldkirchner Tor, das seit den 1430er Jahren von den Schlossmauern umgeben ist und nun geöffnet werden soll, hatte Karl erneut zu einem Vortrag geladen. Seine Zuhörer füllten im Lokal des Golfclubs einen Saal. Auch das intellektuelle Potenzial der Karl’schen Erläuterungen war (dezent gesagt) überaus kompakt. Einiges erinnerte an Dan Browns „Sakrileg“ – nur diesmal für Fortgeschrittene.

Was heißt Ananizapta? Was wollten die Erbauer des Tors der Nachwelt damit sagen? Wollten sie überhaupt etwas sagen? „In der Zeit sind die Wahrzeichen der Stadt entstanden. Leute, die solche Werke schaffen, können doch nicht solchen Unsinn auf zwei Stadttore schreiben!“ Klassisches Latein schied aus, denn das kannte kein Z. Aber im Latein des Mittelalters gab es den Zabulus als Variation des Diabulus von noch furchterregenderem Klang. Der Leibhaftige! Er steckte in der Gravur, wie an einer angedeuteten Schlange zu erkennen ist, denn sie steht für den Teufel. Karl übersetzte Ananizapta daher mit „Gebannt sei der Teufel von diesem Tor!“.

Doch bald kamen ihm Zweifel. „Der Dr. Hofmann hatte auch Bedenken.“ So simpel war die Lösung nicht. „Um es mit Goethe zu sagen: Da stand ich nun am Feldkirchner Tor und war so klug als wie zuvor.“ Aber aufgeben? Nicht mit Doktor Karl! „Schließlich ist es das einzige Stadttor Europas, das diese rätselhafte Inschrift trägt.“

Ananizapta. Das magische Wort betörte ihn. Karl tauchte immer tiefer in diese mysteriöse Welt ein. Suchte auf Teufel komm raus, wenn man so will. Er drehte und wendete den Begriff, zählte Silben und Buchstaben, setzte sie in etlichen Variationen zueinander in Bezug, suchte nach weiteren Spuren des geheimnisvollen Wortes. Er fand sie in der Literatur seit dem 14. Jahrhundert, auf Amuletten, Ringen und der Betglocke des Ulmer Münsters, worauf Karl – jetzt fast rasend vor Forscherdrang – im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg binnen einer Woche die gesammelten Informationen zu 16 000 weiteren Glocken durchforstete, bis ihm das finale Licht aufging: Die mysteriöse Formel setzt sich mithilfe rhetorischer Stilmittel wie dem Chiasmus aus altphilologisch zu entschlüsselnden Abkürzungen zusammen, die wiederum auf Worte weisen, die sich in einem hochkomplexen Zeichensystem gegenseitig mit Sinn erfüllen. Irgendwie so. Die Paarung der Theologie mit der Geometrie gebar also dies seltsame Wort. Ananizapta. Heißt: „Verflucht sei der Teufel durch die Taufe des Johannes.“ Oder in der Langfassung: „Indem Jesus Christus von Johannes getauft worden ist und den Kreuzestod auf sich genommen hat, hat er den Tod überwunden.“

Ein Kreuzworträtsel für Teufelsaustreiber, um es mal simpel auszudrücken. Karl formulierte es freilich etwas komplexer. Doch den Zuhörern sei zum Trost gesagt: Auf diesem zweistündigen Parforceritt über das Feld der höheren Bildung wäre wohl selbst Goethe irgendwann abgestiegen, so gelehrt und teufelsbegeistert er auch war.