Ingolstadt
"Primark ist als Magnetbetrieb bekannt"

Ein Interview mit Patricia Horntasch, die sich mit den Folgen der Ansiedlung des Unternehmens befasst hat

22.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:05 Uhr

In ein paar Monaten wird Bayerns erste Primark-Filiale in der Ingolstädter Fußgängerzone eröffnen. Die gebürtige Neuburgerin Patricia Horntasch hat in ihrer Masterarbeit drei Szenarien für die Zeit nach dieser Ansiedlung entworfen. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Was passiert mit der Innenstadt, wenn Primark wie geplant im September seine erste bayerische Filiale in der Ludwigstraße eröffnet? Die Erwartungen sind hoch. Eine spürbare Belebung der City und natürlich auch florierende Geschäfte nicht nur bei Primark selbst, sondern auch bei anderen Innenstadtläden: Das sind die Effekte, auf die man setzt. Eine, die sich intensive Gedanken gemacht hat, wie die Primark-Filiale die Innenstadt auch langfristig verändern könnte, ist Patricia Horntasch (Foto).

Die 26-jährige Neuburgerin hat in ihrer Masterarbeit im Rahmen des Studiums der Stadt- und Regionalforschung an der Universität Bayreuth drei Szenarien entworfen. Horntasch ist seit knapp einem Jahr in der kaufmännische Projektsteuerung bei Uni Apart tätig, einem Unternehmen, das sich auf den Bau und die Vermietung von Studentenapartments spezialisiert hat.

Frau Horntasch, wie sind Sie auf das Thema Ihrer Masterarbeit gekommen?

Horntasch: Als im Jahr 2011 eine Primark-Filiale in Saarbrücken eröffnete, war ich erstaunt, wie viele junge Personen mit vollen braunen Papiertüren täglich in Trier, wo ich damals mein Bachelorstudium absolvierte, aus dem Zug stiegen. Schon damals war ich fasziniert, wie ein Einzelhändler es schaffen konnte, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene in das 100 Kilometer entfernte Saarbrücken zu locken. Nachdem ich dann las, dass Primark in Ingolstadt eröffnen wird, fragte ich mich, was dies wohl für Folgen für die Innenstadt haben wird.

 

Sie entwerfen in Ihrer Masterarbeit drei Szenarien.

Horntasch: Ja, im ersten Szenario wird Primark als Magnetbetrieb gesehen, der ausreichende Umsatz- und Kundenzahlen erzeugt und somit ein Alleinstellungsmerkmal in der Ingolstädter Innenstadt darstellt. Somit kann die Eröffnung der Primark-Filiale in den ehemaligen City-Arcaden als Wiederbelebung der Innenstadt erachtet werden. Es ist eine Aufwertung, die sich unter anderem durch die Ansiedlung bekannter Einzelhändler, einer gesteigerten Passantenfrequenz und dem Rückgang von Leerständen auszeichnet. Der Attraktivitätsgewinn bekräftigt die Innenstadt als Wohn- und Einzelhandelsstandort. Folgen sind beispielsweise höhere Mieten, die sich der meist inhabergeführte Einzelhandel und die in der Innenstadt wohnhaften Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen, so sie nicht Eigentümer der Immobilie sind, nicht leisten können und demzufolge weichen müssen.

 

Und das zweite Szenario?

Horntasch: Das stellt eine entgegensetzte Entwicklung dar. Hintergründe sind zum einen ein nachhaltiges Umdenken der Verbraucher angesichts der Skandale in der Bekleidungsindustrie, einer zunehmenden Smogbelastung in den Städten und Naturkatastrophen. Das wirkt sich sowohl auf den Einzelhandel als auch auf das Konsumverhalten aus. Des Weiteren steigt infolge eines wirtschaftlichen Aufschwungs das verfügbare Einkommen und ermöglicht es, dementsprechend hochpreisige und qualitätsorientierte Ware zu erwerben. Folgen sind eine Umstrukturierung der Einzelhandelslandschaft sowie Umsatzrückgang auf der Anbieterseite, die insbesondere den filialisierten Einzelhandel betreffen.

 

Was wäre noch möglich?

Horntasch: Im dritten Szenario nimmt Primark nach seiner Eröffnung zunächst eine frequenzbringende und bedeutsame Position im innerstädtischen Einzelhandel Ingolstadts ein. Als erste Filiale in Bayern stellt sie ein Alleinstellungsmerkmal dar. Hiervon können vorerst auch ein Teil der umliegenden Händler und die Innenstadt profitieren. Verlierer sind größere Filialisten mit einer ähnlichen Zielgruppe und der inhabergeführte Einzelhandel, der die ansteigenden Mieten und die neue Zielgruppe nicht bedienen kann. Jedoch werden diese Prozesse durch die Eröffnung einer Filiale in München 2018 und an weiteren Standorten in ganz Deutschland nach kurzer Zeit gestoppt.

 

Welche Variante halten sie für die wahrscheinlichste?

Horntasch: Ich persönlich erachte das dritte Szenario als am wahrscheinlichsten. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass die Innenstadt aufgrund des sich rund um Primark entwickelnden Angebotes sozusagen zu jung werden könnte für die ältere Bevölkerung.

 

Widerspricht das nicht den Erwartungen einer stetig älter werdenden Bevölkerung?

Horntasch: Nicht direkt, denn Ingolstadt weist eine durchaus junge Bevölkerung auf. Gründe hierfür sind die guten Bildungsmöglichkeiten, beispielsweise durch die THI, die guten beruflichen Chancen durch die großen Unternehmen in der Umgebung sowie die guten Verdienstmöglichkeiten. Und es ist weiterhin ein Zuwachs seitens der jungen Bevölkerung zu verzeichnen. Der demografische Wandel kann nicht aufgehalten werden, aber verlangsamt.

 

Wenn das so kommen sollte: Wo geht ihrer Meinung nach die ältere Generation zum Einkaufen hin? Und wohin zum Flanieren?

Horntasch: Dies ist eine der wichtigsten Fragen, die im Zusammenhang mit der Ansiedlung von Primark geklärt werden muss. Es gibt weiterhin alteingesessene Geschäfte in der Innenstadt, die die Bedürfnisse der älteren Kundschaft bedienen. Generell ist dafür zu sorgen, dass solche Geschäfte seitens der Stadtpolitik unterstützt werden. Dies sorgt für eine gute Durchmischung der Geschäftsstruktur und macht auch die Kunden glücklich, die nicht bei Primark einkaufen möchten.

 

Sie prognostizieren in zwei Szenarien eine Entwicklung hin zur Billig-Einkaufsmeile mit überteuerten Mieten. Bedeutet das, dass die Innenstadt zur Ramschzone verkommt und anspruchsvollere Produkte nur noch im Westpark oder im FOC angeboten werden?

Horntasch: Dies obliegt vor allem der Entscheidung der Stadtpolitik und noch viel mehr der Besitzer, die ihre Ladenflächen vermieten. Meines Erachtens ist es bedenklich, dass bereits jetzt zahlreiche qualitätsorientierte Marken ihre Ware nur noch im FOC oder Westpark anbieten und vor allem Einzelhändler aus dem Billigsegment einen Großteil der innerstädtischen Ladenflächen einnehmen.

 

Gesetzt den Fall, Primark zieht - wie in der dritten Variante - zunächst viele junge Menschen in die City, die aber ausbleiben, sobald Primark in der Nähe weitere Filialen eröffnet. Welche Entwicklung könnte die Innenstadt dann nehmen?

Horntasch: Es besteht die Gefahr, dass man zum jetzigen Ausgangspunkt zurückkehrt. Das heißt, die Mieten sind im mittleren Bereich, für eine Großstadt jedoch fast niedrig, die Anzahl und das Angebot der Geschäfte mittelmäßig. Es sind Leerstände vorhanden.

 

Was denken Sie persönlich über die Ansiedlung?

Horntasch: Betrachtet man den aktuellen Stand, so sind sich wahrscheinlich viele Ingolstädter und Einzelhändler einig, dass es eine Verbesserung geben muss. Wichtige Einzelhändler wie Wöhrl oder S. Oliver sind aus der Innenstadt in den Westpark abgewandert. Hinzu kommt ein Einbruch der Passantenfrequenz von knapp 20 Prozent in den letzten zwei Jahren. Hier herrscht Handlungsbedarf. Primark ist als Magnetbetrieb bekannt und konnte bereits in anderen deutschen Städten für einen Frequenzboom sorgen. Diesen auf Dauer mitzunehmen und sinnvoll einzusetzen wird die Herausforderung in den nächsten zehn Jahren sein. Hier sind die Einzelhändler, die Stadtpolitik, die Ladenbesitzer und die Kunden gefragt, den Aufschwung zu erhalten, ein gutes, abwechslungsreiches Angebot zu schaffen und die Ingolstädter Innenstadt als attraktive Einkaufsmeile wieder auf Dauer zu beleben.

 

Das Gespräch führte

Michael Schmatloch.