Ingolstadt
Nur eine weiße Parkbank und eine Laterne

Generationenspielclub des Stadttheaters hat die faszinierende Szenen-Collage "Abendstille" geschaffen

16.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:59 Uhr

Urkomisch: Die beiden Damen (Nicole Titus, links, und Ulrike Fischer) wollen ihrer Internetbekanntschaft (Helmut Wamser) einen Witz erzählen – darüber bricht ein Streit aus - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Ein Sommerabend am Fluss. Und 17 Menschen, die sich hier begegnen, manche zufällig, andere bewusst.

Daraus haben Regisseur Falco Blome und die Akteure des Generationenspielclubs die faszinierende Theater-Collage „Abendstille“ geschaffen. Oder eher umgekehrt. Viele, teils ganz konträre Wünsche der Teilnehmer waren da, und um sie möglichst alle unter einen Hut zu bringen, entstand die Idee des verbindenden Ortes, an dem völlig unterschiedliche Personen miteinander in Aktion oder Beziehung treten, mitunter auch nur aneinander vorbei- oder davonlaufen. Wie die Joggerin (Uta Scheffel), die sich fragt: „Warum rennen immer alle mir nach“ Und dank der Antwort des einsamen Mannes („Weil Sie immer davonrennen) erkennt, dass sie eigentlich vor sich selbst davonläuft.

Da ist der Jungregisseur (Max Koltai) auf der Suche nach Anerkennung und positivem Feedback für seine Werke, die nicht nur von der Kritik zerrissen werden; eine stumme Frau (Elke Polley), die Spanierin (Michaela König), die keiner versteht, oder zwei Selbstmörderinnen, denen immer wieder etwas anderes einfällt, was noch zu erledigen wäre. Ein Arztbesuch oder ein Geschenk zum Todestag besorgen, sinniert die junge Ausreißerin (Ann-Kathrin Falkenthal). „Hummer, Seafood, Meeresfrüchte“, scheint ihr die ältere Lebensmüde (Siegrid Ullmann) vorzuschlagen, die plötzlich Hunger verspürt. Jede spricht für sich, doch natürlich hat Blome die Texte aufeinander abgestimmt und lässt aus dem Pingpong hinreißende Komik erwachsen, die die Tragik der Szene einerseits mildert, andererseits noch unterstreicht.

Urkomisch die Szene der beiden Frauen (Ulrike Fischer, Nicole Titus), die den Spaziergang am Flussufer nutzen wollen, ihrer Internetbekanntschaft einen Witz zu erzählen. Was den armen, zunehmend gequält dreinblickenden Mann (Helmut Wamser) zwingt, den Kopf wie ein Tennisturnierzuschauer zu wenden. Der Witz artet in Streit aus, denn „meine Freundin kann keine Witze erzählen – jedenfalls nicht richtig“. Eine Meinung, die beide Frauen teilen. Nur jeweils über die andere. Lustiger hätte kein fertig erzählter Witz sein können.

Auch die Szene zwischen Freier (Christian Mayerhofer) und Prostituierter (Melanie Rohling) nimmt ein tragikomisches Ende. Mathelehrer und ehemalige Einser-Schülerin erkennen sich erschrocken wieder. „Wollen Sie noch“, fragt sie schließlich. „Nein, heute nicht mehr.“ Der Satz kehrt regelmäßig wieder. Als mahnendes Symbol dafür, dass alles seine Zeit hat, sogar Selbstmord oder Hass auf diese Welt. Den zelebriert Brigitte Renner als hasserfüllte Alte. Eine Rolle, die sie sich gewünscht und teils selbst geschrieben hat, nachdem sie in früheren Projekten des Generationenspielclubs auf komische Figuren gebucht schien. Ihr „Bitte ertrag’ mich noch eine Weile“, gerichtet an ihre Begleiterin (Diana Schupp), geht unter die Haut. Das tut auch die Szene zwischen Zuhälter (richtig böse: Oliver Pittroff) und der Prostituierten. Sie dürfte neben der Pennerin (Ute Krug), die für jeden Verständnis und ein Schlückchen Schnaps bereithält, die Person mit den meisten Interaktionen sein. Relativ einsam bleiben dagegen Bianca Mayerhofer, die ihren Text selber schrieb, als Sternenzählerin und der Tänzer (Thomas Amberger), die lediglich von anderen bestaunt werden.

Bühnenbild und Requisiten sind beinahe Fehlanzeige. Nur eine einsame weiße Parkbank und eine Laterne sind am Fluss zu finden. Den markiert ein blauer Lichtstreifen, und er fließt und fließt. „Was sollte er auch sonst tun“, wie der Kommentar der hasserfüllten Alten lautet. Die Parkbank ist vielseitig nutzbar, zum Miteinander Reden oder Anschmollen, zum Herauf- oder Runterspringen, Draufstehen oder Kuscheln. Zügig wechseln die Szenen, gehen wunderbar fließend ineinander über. Darin liegt die große Kunst des Werkes, den schnellen, aber absolut glaubwürdigen Übergang zu schaffen, was dank des genial ausgewählten Ortes rundum gelingt. Eigentlich könnte es trotz relativer Textlastigkeit noch eine Stunde so weitergehen, doch nach gut 90 Minuten kommt die Abendstille, herbeigesungen von allen Akteuren gemeinsam.