Ingolstadt
Königliche Waffenschmiede

31.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:08 Uhr

Industrie mitten in der Stadt: Als diese Luftaufnahme in den achtziger Jahren entstand, arbeiteten zwar noch Menschen in den riesigen Werkshallen der Gießerei, aber das Ende des Traditionsunternehmens begann sich bereits abzuzeichnen. - Fotos: Archiv Rieter/Maßl

Ingolstadt (DK) Gießereigelände – das ist seit 15 Jahren gleichbedeutend mit Plänen, Wettbewerben, Entwürfen, gescheiterten Ideen für eine Industriebrache. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass das Wort Gießerei über viele Jahrzehnte ein Symbol für sichere Arbeitsplätze in Ingolstadt war.

Vor genau 125 Jahren, am 1. April 1885, nahm die Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschossfabrik ihren Betrieb auf. "So weit bekannt, fand damals keine große Einweihungsfeier statt", sagt Erich Maßl, über viele Jahre als Ingenieur bei der Nachfolgefirma Schubert & Salzer beschäftigt und Autor des Buches "110 Jahre Ingolstädter Gießereigeschichte", auf das sich dieser Bericht unter anderem stützt.

Großer Industriestandort

Auch Stadtheimatpfleger Christian Dittmar ging vergangene Woche bei der DK-Führung zu alten Industriebauten näher auf die Ursprünge der Ingolstädter Waffenschmiede ein. Bereits 1883, so referierte er, wurde das Hauptlaboratorium München nach Ingolstadt verlegt, an die heutige Friedrich-Ebert-Straße. "Die alte Geschützgießerei machte zusammen mit der Geschossfabrik Ingolstadt nach Fertigstellung der Festung zum landesweit bedeutendsten Industriestandort und zum zentralen Waffenproduktionsplatz des jungen Königreichs Bayern."

Wie der Heimatpfleger weiter bemerkte, fielen die damaligen Berichte in der Presse aus Gründen der Geheimhaltung sehr bescheiden aus, "im Gegensatz zur heutigen, aktuellen Berichterstattung". Nach Angaben Dittmars waren in dem Rüstungsbetrieb die leitenden Stellen mit Offizieren besetzt, in der Fertigung arbeiteten in Friedenszeiten etwa 500 Männer. Doch diese Zahl schnellte im Ersten Weltkrieg nach oben. Auf dem Höhepunkt wurden im Jahr 1917 fast 860 000 Geschosse und 250 Geschütze hergestellt. Im Frühjahr 1918 fanden hier über 5700 Menschen Arbeit.

Wie Erich Maßl in seiner Gießereigeschichte schreibt, setzte die Ingolstädter Waffenschmiede im Lauf des Ersten Weltkriegs vermehrt Kriegsgefangene ein, meist Franzosen und Russen. Auch Frauen blieb diese Arbeit nicht erspart. "Gerade für Frauen bedeutete die harte, oft körperlich schwere und beim Umgang mit Sprengstoffen gefährliche Tätigkeit eine enorme Belastung." Hitze, Staub, Lärm in der Schmiede machten den Arbeiterinnen schwer zu schaffen. Laut Maßl stellten die Frauen im Kriegsjahr 1917 sogar mehr als die Hälfte der Belegschaft.

Die Arbeitsbedingungen müssen in der Tat während des Krieges kaum erträglich gewesen sein: Dreischichtbetrieb in der Gießerei, Zehnstundentag für Männer, acht Stunden für Frauen. "Auf Urlaub", schreibt Autor Maßl, "bestand kein genereller Anspruch. Bei mindestens zweijähriger Dienstzeit wurden vier Werktage, bei über zehnjähriger Dienstzeit sechs Werktage Urlaub gewährt, wobei der Samstag als normaler Werktag zählte.

Ebenfalls im Ersten Weltkrieg entstand auf dem Gelände der Gießerei ein Bauwerk, das bis heute ein markantes Wahrzeichen blieb: der Wasserturm. Da die Rüstungsproduktion auf Hochtouren lief, stieg damals der Wasserverbrauch immer weiter – zum Beispiel für die dampfbetriebenen Schmiedehämmer. 1917 wurde der 16 Meter hohe Turm in Betrieb genommen, der in zwei Betonbehältern 302 und 340 Kubikmeter Wasser fasste.

Oben auf der Plattform, schwärmt Maßl, bietet sich "ein überwältigender Rundblick auf das Panorama des Ingolstädter Umlandes". In jüngster Zeit gab es deswegen immer wieder Vorschläge, auf diesem Wasserturm ein Café mit Terrasse einzurichten.

Ständig neue Namen

1918 kam nicht nur das Ende des Krieges, sondern auch der Monarchie, der gewaltige Ingolstädter Rüstungsbetrieb hatte damit als Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschossfabrik ausgedient. Nachfolgerin wurde die Deutsche Werke AG. Baumwoll-Spinnereimaschinen statt Granaten und Kanonen, so lautete nun die Devise. Doch bald, 1925, mussten sich die Ingolstädter schon wieder an einen neuen Firmennamen gewöhnen, der für die Älteren bis zum heutigen Tag der gebräuchlichste geblieben ist: Despag oder Deutsche Spinnereimaschinen AG Ingolstadt. Auch als das Nazi-Regime Deutschland in einen neuen Krieg stürzte, wurde in der Gießerei "vorwiegend an der bisherigen Friedensfertigung festgehalten", berichtet Chronist Maßl. "Erst gegen Kriegsende wurde maximal die Hälfte der Produktion als Kriegsmaterial gefertigt." Grund: Die Ingolstädter Spinnereimaschinen gingen überwiegend in den Export und brachten reichlich Devisen.

Bis weit in die achtziger Jahre blieb Schubert & Salzer einer der größten Arbeitgeber in Ingolstadt, wenn auch das Ende sich langsam abzeichnete. Den letzten Tag, den 28. Juli 1995, schildert Erich Maßl so: "Gegen 17.10 Uhr schaltet der langjährige Schmelzer Hans Glück den Zehn-Tonnen-Elektroofen 5 ab. Die Gießerei ist tot."