Ingolstadt
"War schon ziemlich cool"

Nach dem Ende von Kindolstadt setzen sich die Kinder dafür ein, dass es im nächsten Jahr weitergeht

12.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:41 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Kindolstadt hat am Samstagnachmittag die Tore geschlossen. Die Resonanz ist überwältigend. Jetzt hoffen die Kinder, dass sie auch im nächsten Jahr wieder ihre eigene Stadt mit Leben erfüllen können. Dazu haben sie schon 2000 Unterschriften gesammelt.

Kurz vor Torschluss simulieren die Kinder noch schnell eine Hyperinflation. Sie stürmen den Kiosk und den Geheimen Laden, denn ihr Kindolstadt-Geld, der Ingolder, ist ab 14 Uhr nichts mehr wert. Dann endet dieses Spiel des Lebens. Also raus mit der Kohle! Marlene und Zahide geben hinter dem Verkaufstresen noch einmal alles. Kappen, Süßigkeiten, die letzten Samstagsausgaben des DONAUKURIER - die Regale leeren sich rapide. "In zwei Reihen anstellen!", rufen die jungen Helferinnen ins Getümmel. Die Kindolstädter bilden artig eine Schlange; auch solche lebensnahen Kompetenzen lernen sie hier. "Wir sind den Trubel schon gewohnt, weil wir seit dem ersten Tag hier sind", erzählt Marlene in einer kurzen Verschnaufpause. Aber es mache ja auch großen Spaß.

Die kleine Stadt im Exerzierhaus leert sich. Das Museum ist schon verlassen, ebenso die Universität. Hier hängt noch das Schild: "Dozenten verdienen 6 Ingolder." Eine Würstlsemmel kostet fünf Ingolder; ein akademikerfreundlicher Preis also. Im Kino ist aber so schnell noch nicht Schluss. Das Popcorn verbreitet anheimelnden Duft. Auf der Empore legt die Band K!dz of Rock los - ziemlich gut und sehr lässig. Die zwei Sänger haben den Stimmbruch zwar noch vor sich, aber sie schmettern Evergreens wie "Walk This Way" oder "I Love Rock'n'Roll" trotzdem mit der nötigen Härte.

Julia, zehn Jahre alt, hat noch fünf Ingolder und möchte davon Schokoriegel kaufen. "Und Blumen." Ein paar sind noch da. Draußen in der Gärtnerei pflücken die jungen Floristen die letzten Stiefmütterchen, um sie zu Geld zu machen. Lukas (11) will sich von seinem Restvermögen ein T-Shirt und einen DK kaufen, natürlich auch wegen des KLENZE-KURIERS, den die Kinderreporter gemeinsam mit der DK-Redakteurin Suzanne Schattenhofer gestaltet haben. Jeden Tag eine ganze Seite, die im DK-Lokalteil erschienen ist. Ihre gesammelten Werke hängen in der kleinen Redaktion an der Wand. Am Tisch sitzt die elfjährige Anna und ordnet die Listen mit den Unterschriften. Gut 2000 haben die Kinder bisher gesammelt, um damit ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen: Dass sie auch im nächsten Jahr wieder in ihrer eigenen Stadt Einzug halten und die Welt der Erwachsenen kennenlernen können. "Kindolstadt muss unbedingt weitergehen!", sagt die Gymnasiastin. "Denn es war so toll!"

Lukas hat an Kindolstadt am besten gefallen, "dass es hier so realistisch ist". Seinen Lieblingsjob fand der Elfjährige in der Bank, erzählt er. Da hat man ja bedenkliche Geschichten gehört und gelesen, aber die hält Lukas für übertrieben. "Das mit den Geldfälschern war gar nicht so schlimm. Ging eigentlich."

Der zwölfjährige Almir, der die Manchinger Realschule besucht, fand das Arbeitsamt am interessantesten. Das Zentrum der Macht, wenn man so will, denn hier wurden die begehrten Arbeitskarten verteilt. "Es war schön zu sehen, dass viele glücklich waren, wenn sie einen Job hatten. War schon ziemlich cool", sagt Almir.

Das findet auch Wilhelm Ostermeier, obgleich er es anders formuliert, denn er ist 69 Jahre alt. Der Rentner und mehrfache Opa hat in Kindolstadt den Rollstuhlverleih betreut, jeden Tag. Er packte mit an, weil er 30 Jahre lang im Stadttheater als Bühnentechniker gearbeitet hat und dem Haus immer noch sehr verbunden ist. Ostermeier hatte in der Kinderstadt "viele wunderschöne Erlebnisse, die mir wirklich ans Herz gegangen sind". Er tröstete weinende Kinder, die ihre Geschwister nicht mehr fanden, bekam von einem kleinen Mädchen Blumen geschenkt ("Weil du so nett bist, hat sie zu mir gesagt") und half einem Schüler nach einem unglücklichen Bankrott mit ein paar Ingoldern Startkapital finanziell wieder auf die Beine, erzählt er. Das Verhalten der Kinder - insgesamt haben an den zwölf Tagen 6000 mitgemacht - hat den 69-Jährigen tief beeindruckt: "Es war wirklich nie ein Kind aufsässig oder frech, höchstens mal sehr temperamentvoll. Sie sind alle wohlerzogen und sind immer solidarisch miteinander umgegangen. Die Kinder zeigen heute ja ein viel stärkeres Selbstbewusstsein als wir früher, und das ist auch gut so!" Ostermeier verlässt das Exerzierhaus mit Wehmut. "Kindolstadt hat mir eine neue Welt eröffnet!" Auch er hofft sehr, im nächsten Jahr zurückkehren zu können.

Der letzte junge Mann, der am Bankschalter Dienst tut, ist der zehnjährige Manuel. Er schaut dem Trubel gelassen zu. Der bevorstehende Wertverlust des Kindolstadt-Geldes besorgt ihn nicht. "Zum Schluss", sagt er, "gibt es eh alles gratis."

Das ist im echten Leben dann doch etwas anders.