Ingolstadt
Pionierarbeit für die Fabrik der Zukunft

Das Ingolstädter Start-up Arculus könnte die industrielle Fertigung grundlegend revolutionieren

08.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:59 Uhr

Foto: Stefan Eberl

Ingolstadt (DK) An diesem Start-up führte wohl kein Weg vorbei: Wenn ein junges Ingolstädter Unternehmen zukunftsweisend unterwegs ist, dann die Technologieschmiede Arculus. Dort ist man dabei, industrielle Fertigung mit digitalen Mitteln zu revolutionieren. Der Gründerpreis war da praktisch zwingende Anerkennung.

Schon bevor die Juroren des regionalen Wettbewerbs im vergangenen Winter die Köpfe über den Bewerbungsunterlagen von Arculus zusammensteckten, war die Firma Wirtschaftsjournalisten im ganzen Lande aufgefallen - wohl auch deshalb, weil sie einen starken Mentor hat: Die Audi AG und namentlich ihr Produktionsvorstand Hubert Waltl machen kein Geheimnis daraus, dass sie sich von dem Start-up große Taten erhoffen: Die vom vormaligen Audianer Fabian Rusitschka geführte Firma, erst im Mai 2016 (mit Audi-Beteiligung) gegründet, soll dem Automobilhersteller den Weg von der traditionellen Band- zur modularen Inselfertigung weisen. Gut möglich, dass dadurch in vielen Firmen Fließbänder Geschichte werden.

Auch der DONAUKURIER hat im Wirtschaftsteil schon über Arculus berichtet. Die Idee, die hier verfolgt wird, ist so revolutionär, dass die wunderbar zu dem passt, was gemeinhin als Industrie 4.0 bezeichnet wird: die digitale Durchdringung aller Unternehmensprozesse, die sogenannte Smart Factory. Ihr gehört überall dort die Zukunft, wo Produktion flexibel sein muss. Und das ist in immer mehr Wirtschaftszweigen der Fall - zuallererst wohl in der Autoindustrie, wo zumindest im Pkw-Bereich bald kein Fahrzeug mehr so ausgestattet ist wie sein Seriennachbar.

Weil Kunden sich ihr Neufahrzeug längst daheim auf der Couch am Tablet aus einem beständig üppigeren Angebotskatalog individuell zurechtschneidern können, müssen an den Bändern in den Autofabriken immer aufwendigere Logistikwege beschritten werden, ist die Fertigung in Serie kompliziert wie nie.

Da kam bei Audi die Idee auf, es zunächst auf dem Simulationsfeld mal mit einem anderen Ansatz zu versuchen: Wenn jeder Neuwagen bei seiner Fertigstellung nur noch die Stationen durchläuft, die auf seinem Bauplan stehen, könnte die Autofabrik der Zukunft aus einer Vielzahl von Montageplätzen bestehen, an denen unablässig genau die Arbeit geleistet wird, die laut Kundenwunsch auch wirklich nötig ist. Diese Plätze müssten von jedem im Entstehen begriffenen Wagen möglichst automatisch auf dem schnellsten Wege angesteuert werden - und hier nun kommt Arculus ins Spiel.

Geschäftsführer Fabian Rusitschka und seine drei Mitgründer Witold Kopytynski, Frank Hempel und Marius Leffler sind dabei, einem Montagewagen, auf dem das entstehende Werkstück - in diesem Fall eine Karosserie - ruht, die selbstständige Orientierung und Steuerung in einer Fabrikhalle mit beliebig vielen Montageplätzen (und jeder Menge Montage- und Logistikverkehr) beizubringen - kein Hexenwerk, sondern eifrige Programmierarbeit unter Berücksichtigung einer umfassenden Bewegungssensorik. Das ist schon so weit gelungen, dass Audi in seinem Motorenwerk in Györ bereits die Fertigung von Elektromotoren nach dem neuen Prinzip aufgenommen hat.

Ziel von Produktionsvorstand Waltl ist es, nach diesem Modus beizeiten in allen Audi-Werken zu einer Ablösung der Bandfertigung durch die Modularbauweise zu kommen und so Kosten und Zeit zu sparen. Diese Technologie werde "schneller Einzug halten, als wir heute glauben", sagte er schon Ende 2016 einem Wirtschaftsfachblatt. Und überall dort, wo Hersteller mit der Individualisierung ihrer Produkte zu kämpfen haben, werden die neuen Ansätze aus Ingolstadt gespannt verfolgt.

Kein Wunder, dass Arculus-Chef Rusitschka und sein inzwischen 14-köpfiges Team schon Anfragen anderer Technologieunternehmen haben, die die Modularfertigung inzwischen für genauso zukunftsträchtig halten, wie man das bei Audi längst tut. Doch vorerst liegt der Fokus beim örtlichen Start-up auf Automobilfertigung. Es sei schon beruhigend, sagt der 33-jährige Geschäftsführer, mit Audi als A-Kunden im Rücken forschen und tüfteln zu können.

Rusitschka und seine Gründerkollegen haben ihr Team durch Netzwerken zusammengeführt - durchweg junge Ingenieure und Informatiker, die Spaß an der Freiheit haben, durch Brainstorming und Experimentieren etwas ganz Neues zu schaffen - Pionierarbeit für die Industrie der Zukunft. Weil man Platz für die Fahrversuche mit den Roboterplattformen braucht, war es ein Glücksfall, dass Arculus zu attraktiven Konditionen eine frühere Bäumler-Halle nahe der Lessingstraße mieten konnte. Der heutige Besitzer hatte Verständnis dafür, dass ein Jungunternehmen nicht die Quadratmeterpreise zahlen kann, die der Ingolstädter Immobilienmarkt eigentlich hergeben würde. Auch keine Selbstverständlichkeit.

Gestartet war Rusitschka übrigens so klassisch, wie man als Gründer nur starten kann: in der eigenen Garage, wo die ersten Versuche mit selbstfahrenden, programmierten Staubsaugern über die Bühne gingen. Lange ging das allerdings nicht gut: "Nach sechs Wochen hat uns meine Freundin rausgeschmissen", erzählt er heute lachend. Wenn er eines Tages als großer Erneuerer der industriellen Fertigung gefeiert werden sollte, macht sich diese Geschichte sicher immer noch gut als Bonmot bei Ehrungen und Empfängen.
 

Blick auf die Preisträger

Fünf junge Unternehmen aus der Region sind kürzlich mit dem Ingolstädter Gründerpreis ausgezeichnet worden. Weil in unserer Berichterstattung über die Prämierung nur wenig Platz für eine ausgiebigere Würdigung der jeweiligen Ideen oder der bereits erfolgreichen Umsetzung im Markt war, stellt der DONAUKURIER die Sieger des jüngsten Wettbewerbs jetzt in einer kleinen Reihe vor – heute die Firma Arculus aus Ingolstadt. Wer sich bei der nächsten Runde des Gründerpreises bewerben möchte, kann sich bereits jetzt unter der Netzadresse gruenderpreis-in.de informieren. Die heiße Phase startet im Herbst. hl