Ingolstadt
Fast acht Jahre Haft und Zwangstherapie

Totschlag an Reichertshofener: 40-Jährige muss jetzt ihr extremes Alkoholproblem behandeln lassen

25.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:09 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: dpa

Ingolstadt/Reichertshofen (DK) Eine tragische Verwicklung im Alkoholikermilieu: Der gewaltsame Tod eines 51-jährigen Reichertshofeners im Mai 2014 ist zweifelsfrei auch der Enthemmung von Täterin und Opfer durch die Volksdroge Nummer eins zuzuschreiben. Die Frau soll dies nun mit maximal sieben Jahren und zehn Monaten Haft wegen Totschlags büßen – wenn sie denn ihre Sucht nicht durch eine Zwangstherapie in den Griff bekommt und so die Haftzeit verkürzen kann.

Die 5. Kammer des Ingolstädter Landgerichts hat die 40-jährige Angeklagte gestern nach sieben Verhandlungstagen (DK berichtete wiederholt) zu dieser Strafe verurteilt. Das Gericht hat aufgrund des rekonstruierten Tatablaufs bei der Frau einen bedingten Tötungsvorsatz erkannt und ist deshalb – anders als die Verteidigung – nicht von einem minderschweren Fall von Totschlag ausgegangen. Allerdings wurde ihr wegen verminderter Steuerungs- und Schuldfähigkeit aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ein reduzierter Strafrahmen zugebilligt.

Das gefundene Strafmaß liegt nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft (neun Jahre Haft) und deutlich über den Vorstellungen der Verteidigung, die fünf Jahre für ausreichend gehalten hatte. Die Tochter des Opfers, die als Nebenklägerin aufgetreten war, zeigte sich dennoch enttäuscht vom Richterspruch. Ihr erscheint das Urteil angesichts des Gewaltexzesses, den ihr Vater erleiden musste (über 80 Spuren stumpfer und scharfer Gewalt, Tod durch Polytrauma mit Ersticken und Verbluten), als zu mild.

Für den Vorsitzenden Richter Thomas Denz zeigt die Tat unzweifelhaft die fatalen Auswirkungen, die maßloser Alkoholkonsum für Menschen haben kann. Täterin und Opfer hatten sich schon seit Jahren exzessivem Genuss hingegeben – für den geschiedenen Mann auch bereits mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden.

In der Tatnacht, so sieht es das Gericht, hat der Reichertshofener die Situation insgesamt, aber auch seine körperlichen Möglichkeiten und die Konstitution seiner Bekannten völlig falsch eingeschätzt. Die Frau ihrerseits habe angesichts der durchaus wahrscheinlichen Annäherungsversuche des Mannes zwar zunächst berechtigte Abwehrsignale gegeben, letztlich aber, als offenbar schon keinerlei Gefahr mehr von dem 51-Jährigen drohte, völlig überreagiert.

„Wenn vier Promille auf drei Promille treffen“, so Denz, sei die falsche Einschätzung von Signalen kaum zu vermeiden. Der Gastgeber habe sich offenbar Hoffnungen auf ein sexuelles Abenteuer mit der Besucherin gemacht, die Aussagen der Frau zu Betätschelungen und verbalen Anspielungen seien durchaus glaubhaft. Allerdings wollte die Kammer anderen Einlassungen der Angeklagten nicht folgen. Einzelheiten des von ihr geschilderten Ablaufs in dieser verhängnisvollen Nacht seien durch Zeugenaussagen und Indizien widerlegt. Die Richter fühlen sich aber laut Thomas Denz nicht belogen, sondern billigen der Frau eine eigene, durch ihre Persönlichkeitsstruktur und ihren Erfahrungshorizont bedingte besondere Wahrnehmung zu, die sich offenbar am Rahmen „sozialer Erwünschtheit“ orientiere. Wenn sie geschildert habe, dass ihr Gastgeber sie mit einem abgeschlagenen Bierglas bedroht habe, sei das aber objektiv nicht haltbar, weil die Spurenlage am Tatort einen solchen Ablauf einfach nicht hergebe.

Grundsätzlich sieht das Gericht in der schwierigen, gestörten Persönlichkeit der vormals auch obdachlosen studierten Kunsthistorikerin den auslösenden Faktor für ihre Überreaktion in der Tatnacht. „Es braucht wenig, um Sie zum Explodieren zu bringen“, hielt Vorsitzender Denz ihr in seiner Urteilsbegründung vor. Der Alkohol sei bei ihr bereits in vielen Situationen der Auslöser für unberechenbare, überzogene Reaktionen gewesen, was durch Aussagen ihrer Bekannten vor Gericht belegt sei. Denz: „Der Wodka ist die Zündschnur; dann braucht es oft nur noch ein kleines Zündholz.“

Die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist der Kammer deshalb unvermeidbar erschienen. Sie hat allerdings einen Vorabvollzug von einem Jahr und zehn Monaten Strafhaft angeordnet, wobei die gut einjährige Untersuchungshaft angerechnet wird.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es besteht die Möglichkeit der Revision beim Bundesgerichtshof. Hierzu gab es gestern keine Erklärungen.