Ingolstadt
Erlesene Welten

250 Grundschüler tauchen im Stadttheater und in der Stadtbücherei in fantasievolle Geschichten ein

17.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:04 Uhr

Von der Skizze zum bühnenreifen Kostüm: Doris Hoffmann zeigt den Zweitklässlern bei einer Führung durch das Stadttheater auch die Schneiderei mit ihrem Kostümfundus. - Foto: Stadt Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Was haben ein Buch und ein Theaterbesuch gemeinsam? Beide entführen in fremde Welten - das konnten diese Woche rund 250 Zweitklässler beim Projekt "Die Welt der Geschichten" im Stadttheater und in der Stadtbücherei erleben, gesponsert vom Rotary Club Ingolstadt-Kreuztor.

Bis vor wenigen Minuten hat Theaterpädagogin Nicole Titus noch die Geschichte "An der Arche um Acht" von Ulrich Hub und Jörg Mühle vorgelesen, in der von drei Pinguinen nur zwei ein Ticket für Noahs Schiff bekommen und ihren Freund nicht zurücklassen möchten. Gerade als es spannend wird, hört die Vorleserin auf. Jetzt sind die Kinder der Wilhelm-Ernst-Grundschule gefragt, die auf der Probebühne I des Stadttheaters in einem großen Kreis auf dem Boden sitzen.

"Der dritte Pinguin soll sich verstecken", schlägt eine Zweitklässlerin vor. In einem großen Standbild stellen die Kinder die Lösung nach. "Fehlt noch was", fragt die Theaterpädagogin, als schon fast alle Schüler eine Rolle haben. "Der Rabe", ruft ein Bub im Ringelpulli - und meint damit die Taube, die in der Geschichte natürlich auch vorkommt.

Direkt nach dem Workshop hätten viele Kinder gefragt, wo sie sich das Buch ausleihen könnten, um weiterzulesen, berichtet Kathrin Lehmann, Ingolstädter Theaterpädagogin und Organisatorin des Projekts "Die Welt der Geschichten". Ziel ist es, Kinder zum Lesen zu bringen. "Bücher sind erst einmal schwarze Buchstaben auf weißem Papier", sagt Lehmann. Aber wer lesen könne, halte einen Schlüssel zu Welten in den Händen.

Bei dem Projekt besuchen die Kinder nicht nur den Workshop, der Lust auf Bücher vermitteln soll. Jeweils einen Tag lang sind diese Woche zwölf Klassen von vier Grundschulen rund um das Theater unterwegs. Sie machen eine Führung durch die Kulissen, lernen die Stadtbücherei im nahe gelegenen Herzogskasten kennen und dürfen sich zum Schluss eine Vorstellung von Janoschs "Onkel Popovs wunderbare Abenteuer" ansehen.

Entstanden ist die Idee für das Projekt aus dem Lesewettbewerb, den der Rotary Club Ingolstadt-Kreuztor schon seit acht Jahren veranstaltet. Nachdem dort vor allem Viertklässler mitmachen, habe man mit dem neuen Projekt früher ansetzen wollen, sagt Alexander Gajic, Lesebeauftragter der Ingolstädter Grundschulen. 2000 Euro zahlt der Rotary Club für die Leseförderung, an der sich auch die Theaterpädagogik und die Stadtbücherei beteiligen. "Manche Kinder haben gesagt, das sei der schönste Tag in der Schule, den sie je hatten", berichtet Gajic von den Rückmeldungen an der Christoph-Kolumbus-Grundschule. Das Projekt richte sich bewusst an die vier Schulen in Vierteln mit hohem Migrantenanteil, erklärt Siegfried Bauer, Koordinator vonseiten des Rotary Clubs, und ergänzt: "Gerade Kinder mit Migrationshintergrund haben oft keinen Zugang zum Theater."

Umso tiefer tauchen die Schüler diese Woche in die Bühnenwelt ein. In einer kleinen Kammer drängen sich Kinder aus der Gotthold-Ephraim-Lessing-Grundschule zwischen Regalmetern voll mit Geschirr, Spazierstöcken und Gemüseattrappen. Doris Hoffmann, im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres am Theater, hält ein Spiegelei aus Plastik hoch: "Warum, glaubt ihr, hat man kein echtes Essen auf der Bühne" Ein Junge weiß die Antwort: "Falls das runterfällt." Die Kinder lernen dann aber, dass echte Mahlzeiten zu teuer und aufwendig wären und die Schauspieler manchmal gefärbten Kartoffelbrei statt Schweinebraten essen. Auch die Kostümschneiderei und den Malersaal dürfen die Kinder besichtigen.

Im nächsten Jahr könne das Projekt wieder stattfinden, sind sich die Beteiligten einig. Theaterpädagogin Lehmann zufolge dürfe man den Nutzen der Aktion für die Gesellschaft nicht unterschätzen: "Der größte Kampf ist es, die Fantasie der Kinder am Leben zu erhalten", sagt sie. "Sonst haben wir lauter tote Köpfe."