Ingolstadt
Ein Philosoph der Farben

Vor 25 Jahren starb der Künstler Alois Schölß – sein Nachlass birgt noch immer unbekannte Schätze

18.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:09 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Er war einer der bedeutendsten und beliebtesten Künstler der Stadt: Alois Schölß. Am Sonntag jährt sich sein Todestag zum 25. Mal. Sein Sohn Michael und dessen Frau Barbara, ebenfalls bekannte Künstler, pflegen den opulenten Nachlass, der bis heute immer noch so manche Überraschung birgt.

Sein künstlerischer Kosmos war komplex, vielschichtig, von Außenstehenden nur schwer zu durchschauen. Und doch passte er auf das kleinste Blatt. Zum Beispiel auf die Wand einer Zigarettenschachtel der Dresdner Marke Yenidze. 1939 zeichnete der studierte Kunstmaler Alois Schölß, damals 34 Jahre alt, ein streng geometrisches Kugelensemble samt Farbstern auf die Pappe, ausgefüllt mit Schwarz, Weiß und Braun in eindringlichen Mischungen. Das Lebensthema des Künstlers.

Bis heute, 25 Jahre nach Alois Schölß’ Tod, entdecken sein Sohn Michael und dessen Frau Barbara im Atelier der Familie Zeugnisse dieser Faszination für die Geometrie: auf Blättern und Zetteln, in Heften, Blöcken und Büchern. Kreise, Kegel oder Zylinder, die komplexe perspektivische Räume entstehen lassen. Und auch sie begegnen den Betrachtern meist weiß, braun und schwarz, in unendlichen Schattierungen. „In all diesen Skizzen drückt sich eine Suche meines Vaters aus“, erzählt Michael Schölß. Die Suche nach, so muss man vereinfachend sagen, den verborgenen Kräften des Farbspektrums und dessen Wirkung auf geometrische Körper. „Er hat seine Farbenlehre mit philosophischem Denken verbunden.“

Doch seine Liebe fürs Theoretische pflegte Schölß im Privatissimum, maximal noch im kleinen Kreis Eingeweihter, die seinen Gedanken zu folgen vermochten. „Wir haben ihn immer wieder gebeten: Stell’ doch auch mal deine geometrischen Arbeiten aus!“, erzählt Barbara Schölß. „Aber er hat da nur gesagt: ,Des is doch nix für d’Leit.’“ Eher für Goethe. Der Weimarer Schöngeist hielt – ganz im Ernst! – sein Werk „Zur Farbenlehre“ für sein bedeutendstes. Schölß erkannte hier den Ursprung seiner Suche. Die Schwiegertochter erinnert sich: „Er hat mal gemeint: ,Mei, wenn der Goethe zu mir kumma dad – der dad so schnell nimmer hoam geh!’“

Wie gesagt: Der künstlerische Kosmos des Alois Schölß war komplex. Doch sein opulentes Oeuvre zeigt noch viele andere, lebensnahe Seiten. Die Ingolstädter Kunstfreunde schätzten – und schätzen – Schölß vor allem als Schöpfer reizvoller Naturgemälde, die er gern auf Radtouren skizzierte. Das Lieblingsbild des Sohnes zeigt den Steinbruch zu Demling. „Das hab ich vor Jahren im Atelier ausgegraben. Mein erster Gedanke war: ,Wahnsinn, is des schnittig!’ Das Gemälde folgt der Formensprache des Blauen Reiters. Er hat klare Flächen geliebt.“

Auch mit präzisen Stadtansichten hat sich der Vater einen Namen gemacht. Die Favoriten des Ehepaars Schölß sind „Blick auf die Donau“, entstanden 1935 („Mit einer autofreien Schlosslände, wie sie die Freien Wähler wünschen“), und ein Blick aus Schölß’ erstem Atelier in der Donaukaserne an der Tränktorstraße. Dort, wo heute das Museum für Konkrete Kunst residiert. In den dreißiger Jahren und bald wieder nach dem Krieg hatte er darin auch eine Zeichenschule betrieben. Später baute er mit dem Architekten Josef Elfinger, einem guten Freund, ein Atelier neben dem Elternhaus am Grasweg. Die mit Künstleratmosphäre reich gesegnete Werkstatt ist bis heute fast unverändert geblieben, obgleich sie rege genutzt wird. Denn Barbara und Michael Schölß, beide lang Kunstlehrer im Gnadenthal und seit kurzem im Ruhestand, gehen hier ebenfalls zu Werke.

Derzeit jedoch überwiegend theoretisch. Denn das Paar verbringt viel Zeit damit, den voluminösen Nachlass zu ordnen und zu werten. Sie ahnen: „Das ist eine Lebensaufgabe.“

Beide Töchter folgen der Familientradition: Juliane Schölß (34) hat heuer den Danner-Preis für Kunsthandwerk gewonnen. Poster mit ihrem „Frühstücksbouquet“ zierten die Münchner U-Bahnhöfe. Anna Schölß (28) stellt auch schon mit Erfolg aus.

Alle eint die Erinnerung an einen „wunderbaren, gütigen und liebevollen Mann“. Bescheiden war der Vater, „kein Klinkenputzer“. Doch über ein wenig mehr Anerkennung von Seiten seiner Heimatstadt hätte er sich schon gefreut, deutet sein Sohn an. Kein Ingolstädter Museum besitzt ein Bild von Alois Schölß. Aber vielleicht, wer weiß, taucht im Atelier ja noch ein Schatz auf.