Ingolstadt
Ein Mann für schwierige Genossen

19.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:14 Uhr

Ingolstadt (sic) Er war der Raubauz der sozialen Gerechtigkeit, der rhetorische Grobmotoriker der Bonner Republik – jedenfalls wirkte Herbert Wehner nach außen so. Fritz Böhm, der dem Deutschen Bundestag von 1965 bis 1972 angehörte, hat den legendären Fraktionsvorsitzenden der SPD anders erlebt. "Wehner hat sich rührend um alle gekümmert, er ist nächtelang durchgefahren, um kranken Kollegen beizustehen", erzählt Böhm. "Wer Wehner näher kannte, konnte ihn eigentlich nur ins Herz schließen."

Überhaupt war der Abgeordnete aus Ingolstadt der Mann für schwierige Genossen. Mit Willy Brandt, dem depressiven Charmeur, verbanden ihn lange, persönliche Gespräche. "Er war im Exil gewesen und wollte daher genau wissen, wie es im Krieg war, wie es ist, auf Menschen schießen zu müssen, und wie wir die Gefangenschaft ertragen haben." Brandt erzählte dafür von seiner Zeit in Norwegen "und von seinen Frauengeschichten dort". Da soll es eine Menge zu berichten gegeben haben. Böhm muss grinsen, als er sich daran erinnert.

Helmut Schmidt ist ein ganz anderer Typ. Hanseatisch-distanziert, stets kontrolliert, sehr diszipliniert und überaus ungeduldig – so beschreibt Böhm den Kanzler der Jahre 1974 bis 1982. "Gespräche mit Schmidt waren sehr anstrengend, weil er so schnell kapiert. Er war schon bei der Schlussfolgerung, bevor ich überhaupt was gesagt hatte." Doch sukzessive fanden sie zueinander. Schmidt suchte in Arbeitnehmerfragen oft den Rat des Ingolstädter Genossen. "Ich war im Bundestag schließlich der einzige Betriebsratschef aus einem großen Unternehmen."

Schmidt konnte auch gut nerven. "Lange hat er mich angemotzt, weil wir bei Audi Überstunden machten, aber keine neuen Leute eingestellt haben." Böhm erklärte die Hintergründe geduldig; spätestens da begann die Freundschaft. "Schmidt hat mich sogar einmal vor VW-Vorständen umarmt." Böhm beteuert, dass dem wirklich so war.

Mit Wehner verbindet er eine Anekdote, die auch eine Art von Zuneigung ausdrückt: 1969 mussten alle SPD-Abgeordneten zum Fotografieren für die Wahlplakate. Als Böhm seinen Fraktionschef fragte, ob es möglich sei, dass sie beide den Termin tauschten, raunzte Wehner nur: "In Ordnung, so lang Dein Quadratschädel dann nicht über meinem Namen steht!"