Ingolstadt
Die Qual der Wahl

Die Mitarbeiter des Hotels Rappensberger entschieden am Freitag über einen Betriebsrat, im DK reden sie Klartext

16.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:02 Uhr

Gestern schritten sie zur Wahlurne, in drei Tagen konstituiert sich im Hotel Rappensberger der neue Betriebsrat. Die Art und Weise, wie ihnen gekündigt wurde, hat viele schockiert. Ein fröhliches Weihnachtsfest werden sie heuer sicher nicht feiern - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) 72 Prozent! Von so einer Wahlbeteiligung können unsere Politiker nur träumen. Für die Betriebsratswahl im Hotel Rappensberger war es am Freitag aber auch höchste Zeit. Vor wenigen Tagen haben die 53 Mitarbeiter die Kündigung erhalten. Aus dem Rappensberger sollen Studentenwohnungen werden.

Im Restaurant sorgt ein bunt geschmückter Christbaum für vorweihnachtliches Flair. Die Tische sind perfekt eingedeckt, das Servicepersonal – im Restaurant genau so wie an der Rezeption und auf den Zimmern – freundlich wie eh und je. Die Mitarbeiter im Traditionshotel Rappensberger machen ihren Job wie immer. Sie lächeln auch wie immer. Dabei ist ihnen zum Heulen zumute.

Dass irgendetwas im Busch ist, hatten sie geahnt. Dennoch saß der Schock tief, als bekannt wurde, dass der Eigentümer Georg Geberl den Rappensberger tatsächlich verkaufen wird. Ob der Deal mit der Canisiusstiftung schon besiegelt ist, können sie nicht sagen. Im Grunde ist es ihnen aber auch egal.

„Wir wissen nicht, wie die Zukunft des Hauses aussieht. Wir wissen nur, dass unsere Zukunft in dem Haus begrenzt ist“, sagt eine Servicekraft. Ihr Arbeitsverhältnis und das aller anderen Rappensberger-Beschäftigten endet zum 30. Juni 2012. Was die Mitarbeiter vor allem enttäuscht, ist die Art und Weise, wie sie die Kündigung erhalten hatten. „Ich war Küchenchef am Buffet. Wir hatten 120 Gäste im Haus. Ich war gerade am Servieren, als ich die Kündigung bekommen habe“, erzählt Jan (23). Als Geberl ihm den entsprechenden Brief überreichte, stand dessen Lebensgefährtin mit einem Glas Prosecco daneben. „Sie strich auf einer Liste an, wer die Kündigung schon bekommen hatte“, erzählt ein Kollege.

Kaum war die Nachricht vom Verkauf des Rappensbergers in der Zeitung, bekam Jan sechs Angebote. „Das war schon fast Leichenfledderei“, erzählt der junge Mann. Jan, der auch Auslandserfahrung aufweisen kann, wird keines davon annehmen. Er hat Kontakt zu einem Sternerestaurant.

So viel Glück werden nicht alle haben. Eine 35-jährige Servicekraft, die seit neun Jahren beim Rappensberger beschäftigt ist, glaubt zwar auch daran, wieder eine Stelle zu bekommen, aber sie denkt vor allem an die älteren Kollegen und Kolleginnen, die sich auf dem Markt schwer tun werden. Eine Frau im Zimmerservice etwa arbeitet seit 20 Jahren in dem Hotel. Jetzt ist sie ein Jahr vor der Rente. „Eigentlich wollte sie noch zwei Jahre arbeiten“, berichtet eine Kollegin. Als sie von der Kündigung erfahren habe, sei die Frau völlig paralysiert gewesen. „Das hat sie richtig getroffen.“

Eine andere, die 39-Jährige, ist vor lauter Arbeit noch nicht einmal dazu gekommen, Bewerbungen zu schreiben. Das will sie über Weihnachten tun, wenn sie Urlaub hat. Beim Gedanken an das bevorstehende Fest werden ihre Augen feucht. Ein fröhliches Weihnachten wird es sicher nicht.

Die Gäste im Rappensberger werden von den Problemen der Mitarbeiter nichts merken. „Wir ziehen das momentane Geschäft genial durch. Ich habe Respekt vor jeder Kollegin“, sagt eine Frau. Es sei freilich nicht leicht, die Leute zu motivieren, ergänzt Jan. Was ihn am meisten nervt, sind die ständigen Fragen der Gäste nach der Zukunft des Rappensbergers. Auch diese Frage wird freundlich und wahrheitsgemäß beantwortet. „Wir wissen es nicht.“

Sorgen um ihre Zukunft machen sich auch die 14 Auszubildenden. „Es ist Weihnachten, und wir bekommen so ein schönes Geschenk unter den Baum gelegt“, schimpft ein 20-jähriger Restaurantlehrling. Er war gerade beim Eindecken für eine große Gesellschaft, als er die Kündigung erhielt. „Das war wie ein Schlag ins Gesicht.“

Am Freitag wählten die Beschäftigten einen Betriebsrat. Die meisten in der Hotel- und Gastronomiebranche sind nicht organisiert. Wie schnell man die Hilfe der Gewerkschaft brauchen kann, ist den Mitarbeitern des Rappensbergers schmerzhaft bewusst geworden.