Ingolstadt
Der Mörder kam am letzten Arbeitstag

17.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

Phantombild: So soll Deindls Mörder ausgesehen haben.

Ingolstadt (DK) Mord verjährt nie. Darauf ruhen die Hoffnungen im Fall des Postbeamten Manfred Deindl. Der Köschinger war im Dienst erdrosselt worden. Am morgigen Sonntag jährt sich dieses Gewaltverbrechen zum 14. Mal. Der Täter entkam unerkannt. Für die Kripo ist die Sache aber längst nicht abgehakt.

Der gewaltsame Tod des damals 46-Jährigen im Lentinger Postamt hatte für Fassungslosigkeit und Entsetzen gesorgt, weit über den beschaulichen Ort vor den Toren Ingolstadts hinaus. Die eigene Ehefrau hatte den Toten gefunden, nachdem Beschwerden eingegangen waren, weil die Poststelle nach der Mittagspause nicht mehr geöffnet hatte. Die Witwe hat den Anblick bis heute nicht verwunden. "Das war das Allerschlimmste!" Die Zeit heilt die Wunden, heißt es gemeinhin. In diesem Fall jedoch nicht. Über Jahre hinweg hatte die Familie des Mordopfers mit den psychischen Folgen der Tat zu kämpfen. Mit der quälenden Frage, wer den korrekten, dienstbeflissenen Beamten, als der Manfred Deindl bei den Kollegen stets galt, so kaltblütig umgebracht hat.

Das wüssten auch gerne Polizei und Staatsanwaltschaft. Es waren recht ungünstige Voraussetzungen, unter denen die Ermittlungen am 19. September 1996 begonnen hatten. Nachdem die Ehefrau und Kollegen den 46-Jährigen in der Poststelle an der Ernst-Rauwald-Straße entdeckt hatten, war der verständigte Notarzt zunächst von einem Blutsturz ausgegangen. Der Mediziner war sich letztlich aber doch nicht ganz sicher, ob ein natürlicher Tod vorlag. Als endlich jemand die Kripo verständigte, hatten schon zahlreiche Neugierige und Postbedienstete den Tatort betreten, Spuren verwischt und selber etliche gelegt. Welche stammten nun vom Täter und welche nicht?

Trotz der widrigen Umstände zum Auftakt der Ermittlungen bekam die Polizei schon bald ein relativ klares Bild. Manfred Deindl hatte an jenem Donnerstag seinen letzten Arbeitstag im Lentinger Postamt verbracht. Weil er am Montag darauf nach Oberhaunstadt versetzt werden sollte, wollte der 46-Jährige – gewissenhaft wie er war – seinen bisherigen Posten geordnet hinterlassen. "Mein Mann war immer sowas von akkurat", beschreibt seine Witwe den Köschinger. Mittags war er zum Essen schnell zur Familie gefahren, um dann gegen 13 Uhr – etwa eine halbe Stunde eher als sonst – wieder aufzubrechen. "Er hat noch Geld abheben wollen, weil er nach der Arbeit mit mir einkaufen fahren wollte", erzählt seine Frau. Sie ahnte damals nicht, dass sie ihn das letzte Mal lebend gesehen haben sollte. Um 15 Uhr riefen dann Kollegen an, weil das Postamt noch immer geschlossen war. "Was soll ich da als Ehefrau tun? Warum schauen sie nicht selber nach", fragt sie sich noch heute. So macht die Köschingerin die grausige Entdeckung, die sie bis zum heutigen Tag verfolgt.

Es muss ein heftiger Todeskampf gewesen sein, der da stattgefunden hatte. Ein Unbekannter hatte eine Paketschnur um den Hals seines Opfers gelegt und mit aller Kraft zugezogen. Manfred Deindl bringt noch eine Hand dazwischen, stemmt sich dagegen, die Schnur schneidet ins Fleisch. "Er hat keine Chance gehabt", sagt Erster Kriminalhauptkommissar Stefan Hagen, der damals die Ermittlungen der Kripo leitete. "Bei der Obduktion ist ein riesiges Hämatom am Rücken des Toten festgestellt worden. Wahrscheinlich hat der Mörder mit dem Knie dagegen gedrückt, als er den Mann erdrosselt hat."

Der Mörder. Wer ist er? Vielleicht ein Kollege, mit dem es Streit gab? Jemand aus dem privaten Umfeld des Opfers? Oder der große Unbekannte? Fest steht zumindest, dass knapp 11 000 Euro aus dem Tresor fehlten. Fest steht weiter, dass Deindl als überaus vorsichtig galt. Nie hätte er jemanden außer der Reihe ins Postamt gelassen. Hat sich der Mörder also gewaltsam Zutritt verschafft? Schon bald haben die Ermittler einen Ansatz: Ein mysteriöser Kunde, damals etwa 35 Jahre alt, hatte das Postamt etwa fünf Mal vor dem Verbrechen aufgesucht. Aufgefallen war er, weil er immer wieder nach Kontaktlinsen fragte – ob er nun auf eine Sendung wartete oder sie in der Post verloren haben wollte, ließ sich nie klären. Wahrscheinlicher ist, dass der Unbekannte die Örtlichkeit nur ausspionierte, was auch Manfred Deindl nicht verborgen blieb: "Überfall. 2. Versuch", schrieb er einmal in böser Vorahnung auf einen Zettel. "Du, das ist so komisch", erzählt er später daheim seiner Frau. "Er hat das auch mindestens zwei Mal im Hauptpostamt Ingolstadt gemeldet", erinnert sie sich aus heutiger Sicht.

Die Witwe ist überzeugt: "Das war eine lange vorbereitete Aktion!" Von dem Mann, der sich Dieter Grasser nannte, gibt es bis heute nicht viel mehr als ein Phantombild, angefertigt nach den Angaben einer Putzfrau. In seiner Begleitung hatten Zeugen noch einen zweiten Unbekannten mit nackenlangen Haaren gesehen, der bei dem Verbrechen Schmiere gestanden sein soll. "Ich glaube, es hat 1996 keinen Langhaarigen in der Region gegeben, den wir nicht auf die Dienststelle geladen haben", berichtete Ermittler Hagen 2002, als der Fall Deindl erneut aufgerollt worden war – ohne Erfolg. Selbst eine Fahndung über die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" bringt die Polizei nicht weiter. Auch nicht ein nahezu identischer Überfall auf ein Postamt im württembergischen Mainhardt, bei dem das Opfer, eine 38-jährige Postangestellte, im Juni 1999 nur mit viel Glück überlebt. Vieles deutet darauf hin, dass der Täter derselbe Mann ist wie der Mörder von Manfred Deindl. Die Überfallene kann aber nicht viel zu seinem Aussehen sagen. Aber es gibt eine DNA-Spur, wie auch ein Handabdruck vom Lentinger Tatort existiert.

Dinge wie diese nähren die Hoffnung bei den Ermittlern. "Ein solcher Fall lässt einem keine Ruhe, auch nach Jahren nicht", sagt Oberstaatsanwalt Christian Veh. "Den will man aufklären." Also hofft er, wie die Polizei, auf einen weiteren Hinweis oder eine neue Spur, die den Stein wieder ins Rollen bringt. "Dann greifen wir das sofort wieder auf." Vielleicht hilft auch die 5000-Mark-Belohnung, die damals ausgesetzt war. "So etwas gilt unbefristet", erklärt Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium, nur dass der Betrag heute in Euro umgerechnet würde.

Möglich auch, dass jemand ohne die Aussicht auf Geld ein Bedürfnis verspürt, den entscheidenden Tipp zu geben. Ein Mitwisser vielleicht, der eine Last abschütteln möchte. Und gleichzeitig dazu beiträgt, den Hinterbliebenen den Seelenfrieden nach 14 Jahren einigermaßen zurückzugeben.