Ingolstadt
Der Künstler als Musiker und Mensch

09.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:51 Uhr

Konzentration auf beiden Seiten: Gebannt lauschten die Mitglieder des Schulorchesters am Reuchlin-Gymnasium dem Spiel von Vardan Mamikonian. Danach beantwortete der Pianist freimütig die Fragen nach seinem Leben als Künstler und Privatmensch. - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Berührungsängste abbauen und junge Leute zur klassischen Musik "verführen" – dieses ehrgeizige Ziel verfolgt der Konzertverein. Gestern kam das Schulorchester des Reuchlin-Gymnasiums in den Genuss eines Gesprächskonzerts mit dem Pianisten Vardan Mamikonian.

Beide hören gerne Bach. "Bei seiner Musik spielt mein 19 Monate alter Sohn besonders ruhig." Als der gebürtige Armenier Vardan Mamikonian die Frage nach seinem Lieblingskomponisten beantwortet, hat er die rund 25 Jugendlichen des Reuchlin-Orchesters, die sich im Musiksaal um den Steinway-Flügel versammelt haben, längst für sich gewonnen. Unter dem Titel "Das Klavier – ein Chamäleon" zeigte ihnen der Vierzigjährige mit einigen Stücken die Wandlungsfähigkeit und Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments, erklärte die Musikstile und ging mit viel Humor auf die Fragen der Schüler ein.

Den Anfang macht Mamikonian, den Eva-Maria Atzerodt als "international anerkannten und gefeierten Pianisten" vorstellt, mit dem Italienischen Konzert für Cembalo von Johann Sebastian Bach. Hoch konzentriert spielt er die drei Sätze. Anschließend erarbeitet er gemeinsam mit seinen jungen Zuhörern, dass der Komponist in diesem Werk für ein Instrument Orchester-, Solo- und Tutti-Elemente vereint hat. Als Orchesterkonzert wurde es nie geschrieben.

Mit zwei Stücken aus dem Zyklus "Lieder ohne Worte" von Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigt Mamikonian, der seit 1991 in Frankreich lebt, dass das Klavier Gesang und dessen Begleitung gleichzeitig zum Ausdruck bringen kann. Zu einem an die Wand projizierten Gemälde von Claude Monet stellt er mit "Garten im Regen" von Claude Debussy das Klavier als impressionistisches Instrument vor. "Musik, die man beim Hören sehen kann", zitiert Mamikonian einen Kritiker.

Spätestens hier hat er die Schüler gefangen genommen. "Als ob man die Tropfen auf dem Kopf spüren könnte." "Die Stelle klingt wie Blitz und Donner." "Und am Schluss gibt es einen Regenbogen." Die Entdeckungen sprudeln nur so aus den Jungs und Mädels heraus. Auch sie sind voll konzentriert, hören aufmerksam zu und verfolgen gespannt die Hände des Pianisten.

Den Flügel zum Beben und den Musiksaal schier zum Bersten bringt Mamikonian mit Franz Liszts "Spanische Rhapsodie", die neben äußerst kraftvollen auch ganz zarte, ja sogar fast schmalzige Passagen enthält. Instrumente wie Harfe oder Kastagnetten sind herauszuhören, Bilder des Landes und seiner Kultur erstehen vor dem inneren Auge. "Mich erinnert das an ,Karneval der Tiere‘ von Camille Saint-Saëns", wirft ein Schüler ein. Das findet Mamikonian völlig in Ordnung: "Alles ist möglich, wenn man Fantasie hat. Jeder entdeckt ein Stück für sich. Es ist immer wieder neu."

Und dann prasseln die Fragen auf ihn nieder. Dass er seit 33 Jahren Klavier spielt, gibt er zur Antwort, dass er ein wenig Lampenfieber und Adrenalin braucht, um gut zu spielen, dass er täglich zwei bis vier Stunden übt, in den kommenden Monaten viel auf Reisen sein wird, dass die Konzerte auf Jahre im voraus von der Agentur geplant werden, dass er zwei Kinder hat, die sechsjährige Tochter auch schon Klavier spielt, er mit einer gebürtigen Ingolstädterin verheiratet ist und deshalb fast mehr in Deutschland als in Frankreich lebt . . .

Das vor zwei Jahren angelaufene Projekt des Konzertvereins "Meet the Artist – Schüler treffen Künstler" ist auf fruchtbaren Boden gefallen. "Wir müssen nächstes Jahr ins Konzert, wenn Vardan Mamikonian nach Ingolstadt kommt", sind sich die Orchestermitglieder einig.