Ingolstadt
"Weil der Krieg nicht hier war"

Islamwissenschaftler kritisiert beim "Tag der Menschenrechte" in Ingolstadt die Politik des Wegschauens

04.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:57 Uhr

Philosophisch und kritisch gleichermaßen war der Vortrag des Islamwissenschaftlers Milad Karimi (am Rednerpult) beim "Tag der Menschenrechte" im Foyer des Stadttheaters. Er sprach über "Menschenrechte im Angesicht der Flucht". Am Stand der Ingolstädter Ortsgruppe von Amnesty International konnte man sich in einem Brief für die Freilassung der Lehrerin und Frauenrechtlerin Su Changlan in Foshan, der Ingolstädter Partnerstadt, einsetzen (Foto Mitte). "Die farykte Kapelle" (Foto unten) bürgte für die musikalische Begleitung. - Fotos: Eberl

Ingolstadt (DK) Die aktuellen Ereignisse in der Welt machen ihn wichtiger denn je: Zum 19. Mal lud die Ingolstädter Gruppe von Amnesty International (ai) gestern zum "Tag der Menschenrechte" ins Foyer des Stadttheaters. Im Mittelpunkt stand dabei die Rede des Islamwissenschaftlers Milad Karimi.

Im Theaterfoyer herrschte Gedränge. Als nach der einstündigen, zum Teil sehr philosophisch angehauchten Rede des Professors der Universität Münster "Die farykte Kapelle" zum zweiten Set ihrer musikalischen Mischung aus Klezmer, Orient, Balkan, Tango und Swing ansetzte, zog es viele zum Essensstand des Cafés International, das beim "Tag der Menschenrechte" gemischte Teller zu je fünf Euro verkaufte. Unter den rund 400 Besuchern und Ehrengästen waren auch die Vertreter von über 40 Organisationen, die ihre Arbeit im Foyer vorstellten. Darunter etwa das interaktive Fotoprojekt "Hallo, hier bin ich!" von Santiago Engelhardt (Fotograf) und Laura Haber, das Selbstporträts von Asylbewerbern zeigt.

Gudrun Rihl, die stellvertretend für die erkrankte ai-Sprecherin Ayfer Yildrim die Gäste begrüßte, bezeichnete die große Resonanz auf den von ai und dem städtischen Kulturamt veranstalteten "Tag der Menschenrechte" als "Auszeichnung für die Stadt". Vieles, das sich im vergangenen Jahr ereignet habe, zeige, wie kostbar, aber auch wie zerbrechlich das hohe Gut der Menschenrechte ist. Übergriffe auf Flüchtlingseinrichtungen in Deutschland, die Wahlen in den USA, die eine weitere Verschärfung "und keineswegs mehr Frieden" bedeuteten, die Situation in der Türkei, wo seit dem Putsch alles zerschlagen worden sei, was Freiheit und Menschenrechte betrifft, und in Syrien, wo ein Weltkulturerbe in Trümmern liege, machen den Ernst der Lage deutlich. Mit dem "Tag der Menschenrechte" will Amnesty ein Zeichen der Solidarität setzen - auch mit dem jährlichen "Briefmarathon", bei dem Hunderttausende Menschen in allen Teilen der Welt innerhalb weniger Tage Briefe schreiben. In Ingolstadt geht es dabei um das Schicksal der Lehrerin und Frauenrechtlerin Su Changlan aus Foshan, der Ingolstädter Partnerstadt in China. Sie ist seit 3. Dezember 2014 inhaftiert - wegen angeblicher "Anstiftung zum Umsturz", wie ihr vorgeworfen wird. Beim ersten und bislang einzigen Treffen mit ihrem Rechtsbeistand im Mai 2015 schilderte sie die menschenunwürdigen Haftbedingungen in China. Mit dem Briefmarathon bitten auch Ingolstädter um ihre Freilassung.

"Wir sind im Augenblick auf dem Weg in ein unerhörtes Ausmaß an Unmenschlichkeit", betonte Altoberbürgermeister Peter Schnell, der den "Tag der Menschenrechte" seit Jahren unterstützt. Verletzungen der Menschenwürde gebe es "auch bei uns wie selbstverständlich jeden Tag" in Form "massiver Hassausbrüche". Auch Schnell sieht eine "enorme Belastung der Bevölkerung durch die Flucht", mahnt aber zur "Vernunft, einander mit Respekt zu begegnen". Denn nur Respekt stifte Frieden, er sei "Voraussetzung, dass wir erfolgreich miteinander leben können".

Die Überleitung zum Hauptredner der Veranstaltung war damit perfekt. Professor Milad Karimi, Islamwissenschaftler an der Uni Münster, selbst im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern aus dem zerbombten Kabul nach Deutschland geflohen, sprach zum Thema "Menschenrechte im Angesicht der Flucht". In seinem anspruchsvollen Vortrag, der auch eine Gedichtinterpretation von Friedrich Nietzsches "Die Krähen schreien" beinhaltete, stellte er die Begriffe "Flucht" und "Heimat" in den Vordergrund. "Mensch sein heißt, flüchten zu dürfen", sagte er. Der Mensch flüchte "nicht aus der Heimat, sondern aus der Bedrohung". Er selbst würde Afghanistan niemals als seine Heimat ansehen, auch Deutschland, dem er sehr viel zu verdanken habe, nicht. "Heimat, das ist kein Ort." Heimat sei vielmehr, wenn etwas Gutes gelingt. "Wenn ich meiner Frau in die Augen sehen, meinen Sohn tragen kann." Dies sei für ihn "wahre Heimat".

Für seine Worte, und nicht zuletzt auch für seine Kritik an der Europapolitik in der Flüchtlingsfrage und an der CSU, "die ein C im Namen hat", aber eine Flüchtlingsquote einführen möchte, bekam der Redner viel Applaus. "Was ist, wenn die Quote erfüllt ist, und ein Mensch steht vor der Grenze und bittet um Asyl" Man habe bei den politischen Entwicklungen in Krisenstaaten zu lange weggeschaut: Diktatoren wie Assad seien "nicht erst seit zwei Jahren so", meinte er. "Warum haben wir unsere Augen geschlossen" Der Referent hatte darauf auch gleich die Antwort: "Weil der Krieg nicht hier war."