Ingolstadt
Abschied per E-Mail

Stadträtin Simone Vosswinkel kündigt der ÖDP - deren Fraktionsstatus ist damit erledigt

16.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Mit dem Wechsel von Simone Vosswinkel zu den UDI ist Thomas Thönes neues Amt hinfällig. Er war erst vor Kurzem zum Fraktionsvorsitzenden der ÖDP gewählt worden. Diesen Status erhält eine Partei oder Gruppe im Stadtrat aber erst ab drei Mitgliedern. ‹ŒKarikatur: Martin Erl

Ingolstadt (DK) Das Stühlerücken im Ingolstädter Stadtrat setzt sich fort: Gestern verkündete Simone Vosswinkel, dass sie die ÖDP verlässt und sich der UDI-Fraktion anschließt. Damit verliert die ÖDP ihren Fraktionsstatus. Verantwortlich für ihren Wechsel macht Vosswinkel den erst vor Kurzem gewählten neuen Fraktionsvorsitzenden der ÖDP, Thomas Thöne.

"Politische Arbeit muss für mich auf der Basis einer vertrauensvollen und ehrlichen Situation in einer Fraktion geschehen. Mir ist es wichtig, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu handeln und diesen Grundsatz nicht wegen interner politischer Spielchen aus dem Blick zu verlieren", schrieb Vosswinkel in einer gestern Morgen verschickten Pressemitteilung. Das sei in ihrer bisherigen Fraktion der ÖDP so nicht mehr möglich gewesen.

Ohne seinen Namen zu nennen, bezeichnet die Stadträtin ganz offensichtlich den im Juli 2015 von der SPD zur ÖDP gewechselten Thomas Thöne als die Ursache dieser Entwicklung: Seit ihrem Einzug in den Stadtrat 2008 hätten sie und Franz Hofmaier, der jetzt scheidende ÖDP-Stadtrat und Fraktionsvorsitzende, sich "einen Ruf als sachlich orientierte Stadträte erarbeitet und unsere Entscheidungen an der Nähe zum Menschen orientiert" - diese Arbeitsweise habe sich allerdings in den vergangenen zwei Jahren "leider entscheidend geändert", erklärte Vosswinkel. Seitdem könne sie in der Fraktion nicht mehr ehrlich und offen handeln. Auch auf Anfrage des DK wollte die Stadträtin gestern nichts Konkretes über die von ihr beschriebene Veränderung in der Fraktionsarbeit oder ihr Verhältnis zu Thöne, der in der Pressemitteilung offensichtlich adressiert wird, sagen. "Ich möchte niemanden angreifen", sagte sie. "Details sollten in der Fraktion bleiben."

Auch nach dem Austritt aus Fraktion und Partei will Vosswinkel im Stadtrat bleiben. Aus ihrer Sicht seien der größte Teil ihrer Wählerstimmen bei der Kommunalwahl Persönlichkeitsstimmen gewesen - deswegen sehe sie es als ihre Aufgabe an, ihr Mandat fortzusetzen. Ihre neue Fraktion werden die erst im Sommer von abtrünnigen Freien Wählern und einer CSUlerin gegründeten UDI. In der dann vierköpfigen Fraktion (inklusive Bürgermeister Sepp Mißlbeck) will sich Vosswinkel vor allem dem Umweltschutz, der kommunalen Daseinsvorsorge und der Familienpolitik widmen.

Schon seit einem Jahr habe sie sich mit dem Gedanken getragen, dass sich etwas ändern müsse, erklärte Vosswinkel im Gespräch. Jetzt habe sie sich dann dazu entschieden, zu den UDI zu wechseln. Und "ohne Hintergedanken" hätten ihr die Kollegen, die wie sie Entscheidungen ausgehend von der Frage "Ist das gut für die Stadt" angingen, zugesagt.

Die ÖDP-Fraktion habe sie per E-Mail über ihre Entscheidung informiert. Dass die ÖDP mit ihrem Wechsel den Status als Fraktion verliert, das tue ihr aufrichtig leid, sagte Vosswinkel. "Die ÖDP ist nach wie vor eine gute Partei." Vom Programm her sei sie auf Bundesebene für sie auch immer noch die beste Partei. "Aber ich musste meine Konsequenzen ziehen."

Bei seinem Wechsel von der SPD zur ÖDP nach jahrelangem parteiinternen Zwist bei den Genossen habe er vor zwei Jahren keine schmutzige Wäsche gewaschen, und das wolle er jetzt auch so handhaben, sagte Thomas Thöne auf Anfrage. Die "Spitzen" aus der Pressemitteilung, wie er sie nennt, werde er deswegen nicht kommentieren. "Nach meiner Wahrnehmung haben wir eine gute sachliche und inhaltliche Arbeit gemacht", sagte Thöne. Zu keinem Zeitpunkt habe Vosswinkel in den Fraktionssitzungen aufs Tapet gebracht, dass sie etwas störe. Und dass sie schon länger überlegt habe, sich zu verändern, habe man auch erst jetzt aus den Medien erfahren. Insofern komme die Entscheidung völlig überraschend. Zumal sie auch seine Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vor Kurzem mitgetragen habe. "Da kam keine Gegenstimme."

Franz Hofmaier, der bisherige Fraktionsvorsitzende, sagte auf Anfrage, man könne nur vermuten, dass die Stadträtin gefürchtet habe, bei den anstehenden Besetzungen der Ausschüsse nicht genug berücksichtigt zu werden - aber das sei Spekulation. Er habe gestern versucht, seine Kollegin, mit der er jahrelang sehr gut zusammengearbeitet habe, nach der überraschenden schriftlichen Mitteilung zu erreichen, was ihm aber nicht gelungen sei. Auch aus seiner Sicht hat die ÖDP in den vergangenen beiden Jahren Sachpolitik betrieben, mit Thöne sei er gut zurechtgekommen. Dass nun die ÖDP ihren Fraktionsstatus verliert, sei für ihn "bitter zum Abschied". Hofmaier wollte nach seinem Ausscheiden aus dem Stadtrat als deren Geschäftsführer weiterwirken. Er habe nun schon ein erstes Gespräch mit Karl Ettinger (FDP) geführt, mit dem die ÖDP dann wie bis vor zwei Jahren eine Ausschussgemeinschaft bilden könnte. "Für Franz Hofmaier tut's mir unendlich leid", sagte Thöne. "So einen Abgang hat er nicht verdient." Und Vosswinkel könne er nur eine gute Hand wünschen - "dass sie ihre Wünsche und Träume in einer neuen Fraktion verwirklichen kann".

Kommentar

Bei Thomas Thöne kann man es sich gut vorstellen, dass er mit einem während eines gemütlichen Abendessens auch kontrovers über die Beschaffenheit eines Salzstreuers diskutieren wollte. So anerkannt und engagiert der Stadtrat als Sozialpolitiker ist – ein einfacher Mensch ist er sicher nicht. Das weiß man in der SPD, wo er bis zu seinem Austritt 2015 jahrelang vor allem mit dem Fraktionsvorsitzenden Achim Werner immer wieder aneinander rasselte. Das weiß man wohl auch in der ÖDP. Dort fühlte sich nun Simone Vosswinkel offenbar von ihm so an den Rand gedrängt, dass sie ihrer Partei den Rücken kehrt und damit deren Fraktionsstatus zerstört. Schenkt man den anderen ÖDP-Mitgliedern Glauben, dann tat sie ihre Entscheidung intern nur per E-Mail kund, wenige Minuten bevor sie die Pressemitteilung verschickte – und ohne ihrer Enttäuschung jemals zuvor Luft gemacht zu haben. Obendrein wählte auch sie Thöne mit zum Fraktionsvorsitzenden. Mit Ehrlichkeit und Offenheit, die sie anmahnt, hat das auch wenig zu tun. Thorsten Stark