Ingolstadt
"Da hat man wohl Kaffeesatzleserei betrieben"

SPD-Fraktionschef Werner über die Folgen des VW-Skandals und seine Zweifel an der Arbeit des Konsolidierungsrats

09.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:26 Uhr

"Wir hätten uns vom Umweltreferenten mehr politischen Impetus erhofft": Achim Werner, der Vorsitzende der SPD-Rathausfraktion, vor der Kulisse des zweiten Grünrings im Südwesten. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Zu den führenden CSU-Leuten im Rathaus hat Achim Werner (63), langjähriger Chef der SPD-Fraktion, bekanntlich ein gespanntes Verhältnis. Das ging unter OB Alfred Lehmann sogar so weit, dass man vom "Du" zum "Sie" zurückkehrte. Bei all den Differenzen scheint es sich aber nicht nur um rein persönliche Animositäten zwischen dem Sozialdemokraten und den Bürgermeistern der Mehrheitspartei zu handeln. Vor einigen Wochen probten gleich vier Fraktionen des Stadtrats den Aufstand.

Herr Werner, die vier Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen, BGI und ÖDP haben sich kürzlich zu einer gemeinsamen Aktion zusammengetan, um gegen das Verhalten der Stadtspitze zu protestieren. Das ist ungewöhnlich, ja einmalig in der jüngeren Stadtgeschichte. Wie ist es dazu gekommen?

Achim Werner: Das Verhalten der Stadtspitze gegenüber allen Fraktionen und Gruppierungen im Stadtrat, die andere Meinungen haben, wird ja geradezu unerträglich. Man will uns die Bühne dafür nehmen, unsere Anliegen öffentlich zu äußern. Deswegen haben wir uns zusammengefunden, weil wir alle vier gleichermaßen den Eindruck haben, wir nähern uns postdemokratischen Zuständen. Dem muss man unbedingt einen Riegel vorschieben. Das Ziel des Zusammenschlusses ist es ja nicht, den noch besseren Wadlbeißer zu geben und die Stadtspitze nur zu kritisieren. Dass die gegenwärtige Kommunalpolitik schlecht genug ist, wird in der Bevölkerung vielfach wahrgenommen. Wir wollen nicht nur eine schlechte Kommunalpolitik kritisieren, sondern in erster Linie aufzeigen, dass eine bessere Kommunalpolitik möglich ist. Deswegen auch unsere Initiativen für mehr Wohnungsbau, für den Erhalt des zweiten Grünrings und den Erhalt dessen, was Alt-Ingolstadt ausmacht. Man ist ja zurzeit geradezu geschichtsvergessen, und das ist fatal. Wir haben positive Ansätze, und die werden wir forciert vorantreiben.

 

Im Ältestenrat sind die Gegensätze danach ausführlich zur Sprache gekommen. Es kam zur großen Aussprache unter allen Beteiligten. Hat sich dadurch etwas verändert?

Werner: Wir glauben, dass das Signal durchaus verstanden worden ist. Es ist bei den letzten Sitzungen spürbar gewesen, dass die Beleidigungen weniger geworden sind, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich glaube, der gemeinsame Antrag aller Fraktionen zur Unterstützung des Kulturkanals wäre ohne diese Initiative nicht möglich gewesen. Wir sehen schon, dass erste zarte Pflänzchen da sind. Jetzt geht's darum, die weiter zu gießen und zur Blüte zu bringen.

 

Und die jüngsten Vorgänge um den Abriss der historischen Eselbastei haben diesen Pflänzchen nicht geschadet?

Werner: Unsere Hoffnung war jetzt nicht, dass wir die Rathauskoalition von allen unseren Themen gleich inhaltlich überzeugen. Das ist unmöglich. Aber wenn sich das Klima im Stadtrat verbessert, ist das auch ein Wert an sich. Dann kann man sich auch inhaltlich besser auseinandersetzen.

 

Die Grünen sind in der Stadtregierung durch Umweltreferent Rupert Ebner vertreten, die Fraktion gehört zum Oppositionsbündnis. Ein Widerspruch?

Werner: Wir haben uns lange Zeit echte Sorgen gemacht. Aber man muss ja sagen, dass die Grünen in ihrer Fraktion schon sehr viel Kompetenz haben, das scheint sich jetzt langsam durchzusetzen. Diese grün-schwarzen Gedankenspiele, die wir befürchtet haben, kommen nicht mehr so zum Tragen. Die Grünen sind herzlich und höchst willkommen in unserer Vierergemeinschaft.

 

Welche Rolle spielt dabei der Umweltreferent?

Werner: Von den Grünen selber hört man da wenig. Aber wir müssen schon sagen, dass wir enttäuscht sind, weil wir uns von ihm mehr politischen Impetus erhofft hätten. So wie er sich für den Beitritt zum Biostädte-Netzwerk stark gemacht hat, hätten wir uns das auch bei anderen Umweltthemen erwartet, wie zum Beispiel dem Landschaftsschutzgebiet im Südwesten. Da herrscht leider zu oft Funkstille.

 

Nach dem Bekanntwerden des VW-Abgas-Skandals hat der OB einen überparteilichen Krisenstab eingerichtet, Konsolidierungsrat genannt. Davon hört man mittlerweile gar nichts mehr. Ist die städtische Finanzkrise schon vorbei? Oder gab es vielleicht gar keine?

Werner: Ich fand schon diese Bezeichnung Konsolidierungsrat völlig daneben. Wir haben eine schwierige Situation, weil wir von Volkswagen in den nächsten drei Jahren keine Gewerbesteuer zu erwarten haben. Natürlich muss man darauf in irgendeiner Weise reagieren. Aber manche in der Stadtspitze habe ja so getan, als stünden wir kurz vor dem finanziellen Kollaps. Die erwarteten Mindereinnahmen können in den nächsten drei Jahren noch ohne Weiteres gedeckt werden aus den Rücklagen. Interessanterweise erhalten wir in diesem Jahr schon wieder mehr Gewerbesteuer, als der Kämmerer im Haushalt veranschlagt hat. Wahrscheinlich werden die Rücklagen sogar länger als drei Jahre reichen. Da hat man wohl auch etwas Kaffeesatzleserei betrieben und versucht, den Stadtrat unter Druck zu setzen. Trotzdem schadet es nicht, dass eine mit Steuereinnahmen gesegnete Stadt sich ab und zu Gedanken darüber macht, wie das Geld am sinnvollsten ausgegeben wird.

 

Und das passiert offenbar im Konsolidierungsrat?

Werner: Wenn ich keinerlei Bereitschaft der Stadtspitze sehe, die in den letzten Jahren geradezu explodierenden Kosten der Öffentlichkeitsarbeit einzudämmen, stelle ich bei diesem Gremium die Sinnfrage.

 

Wann hat der Konsolidierungsrat zuletzt getagt?

Werner: Vor 14 Tagen. Da haben das Sozialreferat, das Planungsreferat und das Gesundheitsreferat vorgetragen, wie es in ihren Budgets ausschaut. Da haben wir erfahren, dass im Gesundheitsreferat leider überhaupt kein Spielraum für Einsparungen vorhanden ist.

 

Drei Mitglieder der SPD-Fraktion sind bei Audi beschäftigt. Was ist von der VW-Krise im Unternehmen und bei der Stadt tatsächlich angekommen?

Werner: Ich spüre bei vielen Kolleginnen und Kollegen von Audi großen Frust, aber auf der anderen Seite auch Gelassenheit. Die wissen einfach, dass sie tolle Produkte herstellen. Wenn man sich die Verkaufszahlen von Audi in den USA mit weiteren Zuwächsen im Jahr eins nach der Krise anschaut, ist die Zuversicht berechtigt. Aber natürlich wird jede Nachricht von Volkswagen mit größter Aufmerksamkeit und einer gewissen Sorge verfolgt.

 

Die SPD hat sich immer als die Partei der kleinen Leute verstanden. Kleine Leute in Ingolstadt sind diejenigen, die kaum noch ihre Miete bezahlen können. Aber die SPD sitzt nicht einmal mehr im Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft. Was tut sie für die kleinen Leute?

Werner: Wenn man auf uns gehört hätte, wäre das Problem vielleicht nicht gar so dramatisch, wie es sich jetzt darstellt. Wir haben schon vor Jahren auf das Problem hingewiesen und gefordert, dass die Gemeinnützige zusätzliche Wohnungen baut. Das ist abgelehnt worden. Unsere Anträge auf einen Mietspiegel mit preisdämpfender Wirkung sind abgelehnt worden. Wir wollen jetzt mit einer neuen Initiative den genossenschaftlichen Wohnungsbau wiederbeleben.

 

Zu den kleinen Leuten könnte man auch die zählen, die vor den Toren von Audi für deutlich weniger Geld als die Audianer im Güterverkehrszentrum arbeiten. Was sagt dazu der SPD-Fraktionschef und bekennende Audi-Lobbyist Achim Werner?

Werner: Ich halte das für ein großes Ärgernis. Die SPD nimmt diese Entwicklung auch nicht tatenlos hin. Wir haben erst kürzlich eine öffentliche Veranstaltung zu dem Thema gemacht. Das Hauptproblem ist die schlechte Bezahlung. Die Kommunalpolitik ist in der Tat nicht in der Lage, das zu ändern. Im Grunde ist die Tarifpolitik Sache der Gewerkschaften. Die IG Metall hat das Problem seit Jahren erkannt. Sie sieht zu, dass sie im GVZ Mitglieder gewinnt. Auf dieser Basis wird sie versuchen, die Einkommenssituation der Leute zu verbessern.

 

Hat sich zu diesem Thema auch die Audi-Führung in letzter Zeit einmal geäußert?

Werner: Ist mir nicht bekannt.

 

Sie sind als Fraktionschef wiedergewählt worden. Der Dauerhoffnungsträger Jörg Schlagbauer hat keine Lust, die Arbeit der Fraktionsführung zu übernehmen. Weiterhin keine Experimente bei der SPD?

Werner: Dass er keine Lust hat, würde ich nicht sagen. Er bringt sich voll ein in die Fraktionsarbeit und hat viele Ideen, die dann auch in unseren Anträgen zum Ausdruck kommen. Im Moment läuft es so gut in der SPD-Fraktion. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, dass es schon mal so gut gelaufen wäre. Ich verstehe nicht, warum ich mir in dieser Situation eine Personaldiskussion ans Bein binden soll.

 

Das Interview führte

Reimund Herbst.