Ingolstadt
Balladen und der Blues des Südens

Auch bei der 23. Turmschreiberlesung im Festsaal hatte das Publikum wieder viel zu lachen

14.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Volles Haus: Organisatorin Brigitte Fuchs mit den Turmschreibern (von rechts) Georg Eggers, Thomas Grasberger und Helmut Eckl. Martin Ott und sein hervorragendes Orchester begleiteten die Turmschreiberlesung mit bayerischer und sinfonischer Blasmusik. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Launige Moderation, hervorragendes Orchester und drei stilistisch völlig unterschiedliche Autoren: Bei der 23. Turmschreiberlesung war für jeden etwas dabei, das Publikum amüsierte sich prächtig. Außer vielleicht CSU-Landtagskandidat Alfred Grob. . .

Keine Tracht? Das geht in Bayern überhaupt nicht, bei Organisatorin Brigitte Fuchs gleich zweimal nicht und bei der Turmschreiberlesung gar nie nicht. Denn das ist erstens eine Veranstaltung der CSU und zweitens sehr bodenständig und brauchtumsverhaftet. Nicht wenige Gäste waren daher am Freitagabend im voll besetzten Festsaal in Dirndl oder Leserhose erschienen. Das hätte besser auch Alfred Grob machen sollen. Doch stattdessen erschien der CSU-Landtagskandidat in einem wirklich schicken Anzug, mit dem er ohne Probleme im Plenarsaal des Maximilianeums etwas hermachen würde. Nur eben bei der Ingolstädter Turmschreiberlesung nicht. . .

"Was hast na Du da o", wollte Brigitte Fuchs als erstes wissen, nachdem sie Grob auf die Bühne geholt hatte. Der Ingolstädter Kripochef erlebte im Festsaal seine erste "Aktion Rollentausch" und fand sich unversehens in der Rolle des Verhörten wieder. Ausführlich legte er die Gründe seiner Kleiderauswahl dar und vergaß nicht zu betonen, dass seine Frau ihm dazu geraten hatte. Was Brigitte Fuchs so stehen ließ, aber nur um Grobs nächsten Fauxpas genüsslich auszubreiten. Er hatte ihr nämlich auf der Bühne einen Blumenstrauß überreicht - aber ohne Papier unten an den Stielen, was zur Folge hatte, dass die Schürze von Fuchs' Dirndl nass wurde. "Ein Vorgänger von Dir hat mir die Blumen immer im G'schirrdiachl überreicht. Des hob' i dann immer mit hoam gnumma", lautete ihr Ratschlag an den Kandidaten: Lernen fürs Leben mit Brigitte Fuchs.

Die Organisatorin des Abends war diesmal weder von OB Christian Lösel noch vom Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl auf die Bühne geleitet worden. Beide Herren waren beim letzten Neujahrsempfang von Ministerpräsident Horst Seehofer in München. Stattdessen hakte sie sich bei zwei Burschen aus der Oberpfalz unter, Markus und Stefan. Beide sind mittlerweile auch in der Region bekannt als "Säißa Sempft" und spielten im Laufe des Abends ein paarmal recht zünftig auf.

Im Mittelpunkt standen natürlich die Turmschreiber. Helmut Eckl gehört schon seit vielen Jahren der Münchener Vereinigung an und ist in Ingolstadt praktisch fest gebucht. Trotz angeschlagener Stimme präsentierte er den Zuhörern eine Auswahl aus seinen zahlreichen Geschichten, in denen er oft ganz alltägliche Ereignisse humorvoll verpackt. So etwa in der Episode über die vielen Weihnachtspakete, die ab Ende November eintrudeln und die er auch für die anderen Mietparteien im Haus in Empfang nahm. Der mittlerweile 70-Jährige erinnerte sich auch an sein "früheres Leben", als er - noch nicht volljährig - nirgends reinkam. Dagegen könne er jetzt sogar schon auf Ü-70-Partys gehen, wo er überall genau auf die Damen stößt, die ihm kurz nach dem Krieg mit ihren Petticoats und ihren turmhohen Frisuren schöne Augen machten - und die jetzt zu ihm sagen: "Mei, vor 50 Jahr' hätt' ma uns treffa solln."

Eckl ließ die Zuhörer auch teilhaben an seinen Erlebnissen mit dem neuen Fahrrad, mit der Werbung mit den makellosen Körpern in Frauenzeitschriften und wie es ist, wenn der eigene Körper mehr oder weniger freiwillig sanfte Winde einweichen lässt. Auf vielfachen Wunsch der Gäste las er zum Schluss dann noch einen seiner "Klassiker": Die Geschichte spielt in Eckls Stammkneipe und heißt "Viagra". Frei nach dem Motto: "Wenn was passieren sollte, kann Dir gar nichts passieren."

Ganz anders Thomas Grasberger. "Seid's Ihr wirklich alle bei der CSU", wollte er von seinen Zuhörern wissen, um dann über Alexander Dobrindt (Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag) und dessen Verhältnis zu den 68ern zu sinnieren: "Da muas moi irgendwas passiert sei." Das Hauptthema des Neu-Turmschreibers jedoch war der Grant, jene Eigenschaft, die fast zwei Drittel des bairischen Menschen ausmachen soll. "Der Grant, das ist der Blues des Südens", sagt Grasberger, der im Rahmen seiner Geschichte des bairischen Menschen so typische Phänomene wie beispielsweise das Doppelkinn, den Lätschnziaga, den Gschwoischädl oder den Stenz analysierte. Um dann zu resümieren: "Das Schönste am bairischen Mann ist die bairische Frau." Auch die Wortkargheit mancher Bajuwaren floss in seinen Vortrag ein: in Form der Erzählung "Die Werbung" von Oscar Maria Graf.

Ein junger Wilder unter den Turmschreibern und noch dazu ein Preuße ist Georg Eggers. Der Physikprofessor hatte weder ein Buch noch sonst irgendeine Form von Text dabei. Stattdessen trug der 50-Jährige Balladen vor, eine Kunstform, die heutzutage kaum noch einer beherrscht. Doch Eggers trägt keine Gedichte vor, er erinnert in seinen besten Momenten an Heinz Ehrhardt. Der Mann gerät langsam in Fahrt, steigert sich allmählich in einen Rausch hinein, schreit auf der Bühne, bis er fast keine Luft mehr bekommt, und trägt die Handlung mit vollem Körpereinsatz vor. "Dem Buch sein Fluch" lautete der Titel der ersten Ballade, die davon handelt, dass er ein Bücherregal von Ikea aufbaut und bei dem Versuch, das umkippende Regal aufzuhalten, mit einer brennenden Zigarette einen Brand verursacht. Die zweite Ballade handelte von Frührentnern, die mit ihren Laubbläsern die Nachbarn tyrannisieren.