Ingolstadt
Als die Berge ihre Unschuld verloren

Ab dem 17. September zeigt das Armeemuseum seine Sonderausstellung zum Alpenkrieg

08.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:16 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Das Meer hatte der Mensch längst seinen kriegerischen Zielen unterworfen, das Gebirge war ihm hingegen lange zu unwirtlich für Scharmützel und Schlachten. Das sollte sich im Ersten Weltkrieg ändern. Das Bayerische Armeemuseum erinnert in Kürze an den Alpenkrieg ab 1915.

Die Deutschen waren spät dran mit ihren Gebirgsjägern. Als Franzosen (Chasseurs alpins, ab 1888) und Italiener (Alpini, sogar bereits ab 1872) längst für Einsätze in den Bergen spezialisierte und mit Winterausrüstung ausgestattete Truppen aufgestellt hatten, galt den preußischen, württembergischen und sogar den bayerischen Feldherren ein Kampf um Gipfel und Pässe noch als unwahrscheinlich. Nur in den südwestlichen Garnisonen im (seit 1871 deutschen) Elsass waren vereinzelt Experimente mit Bergausrüstung für den Einsatz im Mittelgebirge (Vogesen) gemacht worden. Zudem waren die Italiener bis in die ersten Monate des 1914 losgebrochenen großen Krieges noch vermeintliche Bündnispartner der Mittelmächte; eine Alpenfront hatten die deutschen und österreichischen Stäbe deshalb praktisch gar nicht in Betracht gezogen.

Das änderte sich mit dem Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente im Mai 1915 schlagartig. Plötzlich drohte Deutschland eine offene Flanke im Süden – die Alpen, gerade erst ein wenig touristisch erschlossen, wurden mit einem Mal strategisch interessant.

Und genau hier setzt das Bayerische Armeemuseum mit seiner neuen Sonderausstellung ein, die ab dem 17. September in bisherigen Lagerräumen im Erdgeschoss des Reduit Tilly zu sehen sein wird. Historiker Thomas Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums, hat lange auf diese Präsentation hingearbeitet und sich dazu nicht nur durch die Magazine seines Hauses gewühlt, sondern auch Leihgaben aus anderen einschlägigen Museen und aus Privatbesitz besorgt. Gegenwärtig feilt er mit Handwerkern am Aufbau der Sonderschau, die ein Jahr lang gezeigt werden soll.

Die Ausstellungsmacher arbeiten mit großen Fotowänden, die dem Besucher den Schauplatz des Geschehens zunächst so friedlich erscheinen lassen, wie er ihn womöglich zigfach als Freizeitregion aus eigener Anschauung kennt. „Die Berge waren vor Kriegsausbruch bereits teilweise Urlaubsgebiet; Wohlhabendere konnten sich das leisten“, erklärt Thomas Müller.

Doch die Idylle weicht schnell. In der Ausstellung wird alsbald der graue Frontalltag beleuchtet, wie er sich den ersten deutschen Gebirgsjägern darstellte, die die österreichischen Waffenbrüder unterstützten. Die zunächst noch arg provisorische Ausrüstung der neuen Truppe wird mit zahlreichen Schaustücken dargestellt – vom zum Entfernungsmesser umgebauten Scherenfernrohr bis zur ersten Gebirgshaubitze: kleine Geschütze, die, zerlegt in Einzelteile, mit Maultieren und oft genug mit menschlicher Muskelkraft über steile Hänge und Trampelpfade geschafft werden mussten. Beleuchtet wird auch die Geschichte des mittlerweile unverwechselbaren Symbols deutscher Gebirgstruppen: Das Edelweiß war von Beginn an ein Erkennungsmerkmal. Allerdings war es zunächst nur als Auszeichnung für wenige besonders verdiente Kämpfer gedacht. Bis die Bergblume es ans Revers jedes Gebirgsjägers schaffte, mussten schon einige bürokratische Hürden genommen werden.

Breiter Raum wird dem ersten Kommandeur des vom kaiserlichen Generalstab ins Leben gerufenen Alpenkorps, Konrad Krafft von Dellmensingen (1862–1953), gewidmet. Er residierte zunächst im noch heute renommierten Hotel „Elephant“ im seinerzeit noch österreichischen Brixen. Historiker Müller hat eigens Porzellan aus dem kleinen Hotelmuseum beschafft und zeigt in der Ausstellung nun ein Gedeck, wie es auch der Generalleutnant einst im Speiseraum vorgefunden hat.

Thomas Müller ist diese Figur besonders wichtig – nicht nur, weil er bereits ausgiebig über Leben und Militärlaufbahn Kraffts von Dellmensingen geforscht und sogar eine Biografie über ihn veröffentlicht hat. Tatsächlich spiegeln sich in der Person des Kommandeurs auch die Eitelkeiten, Intrigen und Ränkespiele innerhalb des deutschen Oberkommandos. Der General war vor seiner Berufung an die Spitze des neuen Alpenkorps Generalstabschef unter dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht gewesen. In den Reibereien zwischen Rupprecht und dem preußischen Generalstabschef Erich von Falkenhayn war Krafft schließlich so etwas wie ein Bauernopfer. Er wurde mit einer Beförderung quasi aus der Umgebung des Kronprinzen weggelobt.

Obschon eigens für die neue Alpenfront aufgestellt, war die deutsche Gebirgstruppe doch nur relativ kurz im Hochgebirge eingesetzt. Schon im April 1916 zog das Oberkommando die Gebirgsjäger aus den Bergen ab und verlegte sie nach Verdun, wo sich die Materialschlacht um die französische Festung mehr und mehr zum Desaster für beide Seiten entwickelte. Später waren Siebenbürgen und die Wallachei weitere Einsatzgebiete. Die Ausstellung des Armeemuseums beschränkt sich jedoch auf die reine Zeit im Hochgebirge, wo die seinerzeit in den Dolomiten von den Deutschen ausgebauten Felsenstellungen noch heute für geübte Bergwanderer zu sehen sind.

Die Hauptlast der Kämpfe im Hochgebirge trugen ab 1916 die Österreicher, die sich mit ihren italienischen Gegnern ein zähes, entbehrungsreiches Ringen um alle möglichen Gipfel und Grate lieferten. Der Alpenkrieg geriet zu einem militärgeschichtlichen Unikum: Nie zuvor und danach ist je ein weiteres Mal mit solchem Aufwand und unter solchen Verlusten in solchen Höhen Krieg geführt worden.