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Schmuckkästchen und scheußliche Kisten

Kritisch-nostalgische Altstadttour mit dem Heimatforscher Hans Fegert und Stadtheimatpfleger Tobias Schönauer

03.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:11 Uhr

 

In der Luftgasse ereilen ihn die Kindheitserinnerungen knüppeldick. Erst das Haus mit der Nummer 2. Einst eine Ruine zum Fürchten. Tobias Schönauer, Jahrgang 1976, kam hier früher immer auf dem Weg ins Marienheim vorbei, wo er in den Kindergarten ging. „Das Haus sah schrecklich aus.“ Eine sensible Renovierung verwandelte den Schandfleck in ein sandfarben schimmerndes Schmuckkästchen.

„Das ist wirklich toll geworden!“, sagt Schönauer, der Stadtheimatpfleger der Schanz. Doch nur wenige Meter weiter, an der Ecke zur Dollstraße, treffen ihn die Erinnerungen richtig schmerzhaft. Dort stand das legendäre Roli-Kino, Treffpunkt von Generationen. 2005 musste es einem Apartmenthaus weichen. Schönauer hält den Neubau durchaus für gelungen. Eines aber versteht er nicht: „Warum gerade an dieser Stelle?“ Wer nostalgisch und kritisch zugleich durch die Altstadt spaziert, dürfte sich diese Frage des Öfteren stellen.

Schmuckes und Scheußliches, Gelungenes und Missratenes steht hier nah beieinander. An viele Hässlichkeiten haben sich die Ingolstädter gewöhnt. Über andere – vor allem das Neue Rathaus samt dem Platz davor –, schimpfen sie bis heute mit Inbrunst. Von manch böser Bausünde ist inzwischen nichts mehr bekannt. „Wer weiß denn schon noch, dass dort, wo heute in der Ludwigstraße das Modehaus K & L steht, früher der Ziegelbräu war, ein hochwertiges Gebäude“, sagt Hans Fegert, Jahrgang 1947. Er kennt die Geschichte und erzählt sie gerne. Der Autor zahlreicher Bücher über Ingolstadt und Mehrer einer imposanten Sammlung zur Stadtgeschichte hat historische Bauwerke en masse dokumentiert. Und sämtliche Sünden.

Natürlich kann sich der Sohn eines Abbruchunternehmers in die Nöte der Nachkriegszeit gut hineinversetzen. „Man muss dafür Verständnis haben, dass man damals mit den Mitteln, die man hatte, das Beste gemacht hat. Beim Wohnungsbau hat es besonders pressiert, da war der Mangel groß.“ Allerdings habe man auch später noch ganz ohne Not wunderschöne Gebäude abgerissen und durch moderne Kästen ersetzt. Zum Beispiel den Ziegelbräu. „Den hat man ohne Grund niedergemacht! Aber das Kaufhaus Ema, das 1956 an der Stelle gebaut worden ist, hat sich halt besser vermarkten lassen.“

Solche traurigen Fälle häufen sich entlang der Ludwigstraße. Auch die Nummer 27 ist keine Zierde für die Stadt. Einst stand hier das Geschäftshaus der Familie Bruckmayer. „Das hat viel hergemacht“, sagt Fegert, „obwohl es deutlich kleiner war als das Nachfolgergebäude.“ Das ist kastenförmig (samt Flachdach) und beherbergt heute im Parterre ein Schuhgeschäft. „So was hat man früher einfach so hingeknallt, ohne die nötige Maßstäblichkeit zu bewahren“, erklärt Schönauer. „In einen historischen Straßenzug gehören einfach Giebel“, ergänzt Fegert.

Gleich nebenan steht das für ihn schlimmste Monument einer Baupolitik ohne Herz, Verstand und historisches Bewusstsein: die Nummer 25. Die City-Arcaden. Zuvor das Modehaus Wagner. Erbaut 1968/69 auf den Trümmern des Landratsamts. Fegert kann sich darüber heute noch aufregen. „Da war nichts kaputt. Was für eine Sünde!“ Der Ingolstädter Architekt Josef Elfinger (1911 – 1988) hat hart für die schöne Behörde gekämpft. Nach seiner Niederlage prägte er den bitteren Satz: „Im Krieg verschont, im Frieden zerstört.“

Das gilt für viele Bauten. Xaver Mayrs Modehaus am Schliffelmarkt etwa, das Ende der 50er einem supermodernen Klotz weichen musste, der heute als Beton gewordenes ästhetisches Bewusstsein der 60er Jahre gilt. Oder die Donaustraße 17, bis in die 30er Jahre das Gasthaus Donaumelber. „Da haben sie den Stuck weggehauen und Platten draufgesetzt“, berichtet Fegert. „Da reißt’s mich jedes Mal!“

Schönauer gewinnt bei einigen Neubauten den Eindruck, „dass die auf 30 Jahre angelegt werden – bis sie abbezahlt sind“. Der Historiker kennt aber auch die erfreulichen Wendungen der Geschichte. „In den 60er Jahren hat man die autofreundliche Stadt propagiert, der Fernverkehr lief quer durchs Zentrum.“ Um so mutiger sei in den 70ern Peter Schnells (heftig umstrittene) Initiative gewesen, eine der ersten Fußgängerzonen der Republik anzulegen. „Das hat die Stadt weit vorangebracht!“, sagt Schönauer. Zur selben Zeit begann die Restaurierung des Koboldbräus Am Stein. Er sieht darin ein stilbildendes Beispiel für den Durchbruch des Denkmalschutzes, der seitdem viele Ingolstädter Häuser gerettet hat. Doch Schönauer weiß auch: Der nächste Abriss kommt gewiss.