Im Reich der wilden Filmfreaks

21.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:40 Uhr

Das Herz des Kinos: Vorführer Fabian mit dem Projektor und den rotierenden Filmrollen voller Zelluloid.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DONAUKURIER. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: Von 21 bis 22 Uhr beim Kino-Open-Air im Turm Baur.

Die Bierzeltgarnituren unter den grünen Segeln vor der Kasse und dem Kiosk sind fast alle leer. Ein Blick auf die Uhr: Schon kurz nach 21 Uhr. Kein Wunder – fast alle sitzen schon auf ihren Plätzen, statt sich draußen die Zeit bis zum Filmstart zu vertreiben. Durch das offene Tor des Festungsbaus flackert bereits weißes Licht. Der Projektor aus dem Vorführerhäuschen hoch über der gut gefüllten Zuschauertribüne wirft die ersten Bilder auf die Leinwand.

Vorführer Fabian thront hier über den Dingen. Er steht neben der Filmmaschine und blickt gespannt wie ein Luchs auf die rotierenden Rollen. Die Werbung geht dem Ende entgegen. Jetzt ist der junge Mann gefragt. Sein Handwerk hat er als Schüler im einstigen Roli-Kino gelernt. "Ganz klassisch mit der alten Technik", sagt er. Beim Kino-Open-Air ist vieles einfach gehalten. Die Vorführhütte sind mehrere Planken der Gerüstbauer. Doch der Apparat "ist Stand der Technik", sagt Fabian.

Das Zelluloidband ist in diesem Moment durchgelaufen und schnalzt über der drehenden Rolle. Die Zuschauer draußen bekommen das nicht mit. Für sie ist auf der Leinwand sichtbar, was der Diaapparat aus der Hütte nach außen sendet: "Herzlich willkommen, der Hauptfilm beginnt in Kürze." Drinnen rotiert Fabian. Wie beim Reifenwechsel montiert er geschickt zwei große Rollen auf das Vorführgerät, zieht den Zelluloidstreifen vor die Linse und drückt den grünen Startknopf. Ein letzter Blick. "Jetzt nur noch die Lautstärke checken." Er hält den Kopf aus der Hütte und lauscht. Ein Nicken. Passt.

Der Vorführapparat schnattert monoton vor sich hin. Für Fabian heißt es jetzt entspannen. Er setzt sich zu den anderen Zuschauern. Auf der Leinwand rutscht inzwischen ein junger Eisbär den Schneehügel hinunter, sein Vater robbt auf der Suche nach Essbarem über die schmelzende Eisscholle. So sieht "Unsere Erde" in dem prämierten Naturstreifen aus.

Über dem Turm Baur hat sich in der Zwischenzeit ein kleines Gewitter zusammengebraut. Die nahende Front wiegt bereits die ersten Bäume, deren Silhouette über dem Rand des Festungsbaus zu erkennen ist. Amüsiertes Gekicher aus dem Publikum begleitet die Mandarin-Enten, die sich im Film das erste Mal aus ihrem Baumnest wagen und wie Bomben auf dem Boden einschlagen. In der letzten Reihe der Zuschauer rutscht ein Pärchen ungeduldig hin und her. Die Holzbänke des Kinos verlangen gutes Sitzfleisch. Erfahrene Freiluftkinogänger, wie die Familie rechts von ihnen, haben sich mit Decken und Sitzkissen versorgt. Der Vater schiebt sich Popcorn in den Mund und kaut knirschend. Auf der Leinwand schlägt gerade ein Gepard nach langer Hetzjagd in Zeitlupe eine Gazelle. "Ein zeitloses Ritual: Jäger und Gejagte", hallt die Stimme von Schauspieler Ulrich Tukur, dem Sprecher der Naturdoku, durch das Festungsoval. Einige Besucher drehen irritiert den Kopf zur Seite. Nicht jedem behagt die Realität im Reich der wilden Tiere.

Ein Luchs streift im Film auf der Suche nach Beute hunderte Kilometer umher. Für die Zuschauer ist es nicht so weit bis zum Essen, sie müssen nur raus zum Kiosk. Rote Lampen erhellen den Turm. Pause: Fabian muss die Filmrolle für den zweiten Teil wechseln. Auch Jeannette Mengele, die das Kino-Open-Air seit Jahren mit ihrer Schwester organisiert, hat im Verkaufsstand alle Hände voll zu tun. Sie reicht den durstigen Filmfreaks Getränke. Das Wetter hat die Szenerie am Turm jetzt vollends im Griff. Regentropfen platschen auf den Boden. "Ich bin jedes Mal froh, wenn wir die Leihgebühr für den Film gesichert haben", sagt Mengele. An diesem Abend ist sie trotz des nahenden Regens weit im Plus. Dann läutet Mengele eine Kuhglocke. Pause inklusive Raubtierfütterung ist vorbei. Fabian drückt wieder auf den Startknopf.