Ingolstadt
Der lange Weg zur Miniatur

Den Arbeitsalltag eines Museums-Modellbauers hätten wir uns doch nicht ganz so kompliziert vorgestellt

02.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:03 Uhr
  −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Es gibt Menschen, die sich für die Welt im Kleinen besonders begeistern können, die von einem Modell oder einem Diorama im Museum oder in einer besonderen Ausstellung nicht nur kurz Notiz nehmen, sondern sich regelrecht hineindenken wollen.

Wie haben die das gemacht, dass es so täuschend echt ausschaut? Wie viele Tage oder gar Wochen und Monate hat da jemand gebastelt, was hat er für Vorlagen gehabt, welches Material ist da verwendet worden?

Fragen über Fragen, die einem tiefer interessierten Laien angesichts einer gut gemachten Miniatur durch den Kopf gehen - vor allem, wenn er mal als Kind oder Jugendlicher den einen oder anderen Plastikbausatz aus dem Spielwarenladen zusammengeklebt und bemalt hat. Damals war man stolz auf ein halbwegs gelungenes Flugzeug im Maßstab 1:72, auf ein Schiffsmodell mit Segeln oder Geschütztürmen zum Drehen und auf einigermaßen knitterfrei angebrachte Abziehbilder. Alles lange her und nie wieder praktiziert, jedoch auch nie vergessen, denn es hat immer Spaß gemacht. Wie wäre es gewesen, wenn man aus so etwas einen Beruf gemacht hätte?

Nun, eines ist sicher: Einen solchen Ausbildungsberuf im strengen Sinne gibt es in Deutschland gar nicht. Wer sich hierzulande als professioneller Modellbauer bezeichnet, der arbeitet meistens als Fachmann für Formgebung in Kooperation mit Designern in der Industrie. Wer hingegen wirkliche Miniaturen, also (womöglich sogar funktionsfähige) Modelle von Fahr- oder Flugzeugen und von technischen Anlagen im weitesten Sinne baut, der tut das in der Regel für ein Museum. Und derlei Stellen gibt es derart selten, dass wohl nicht von einem klar definierten Berufsbild gesprochen werden kann. Wer so etwas macht, der hat wohl meistens ein Handwerk gelernt, aber er muss so vielseitig sein, dass er eigentlich gleich mehrere Gesellenbriefe und womöglich auch noch ein Ingenieursdiplom in der Tasche haben könnte.

In der Werkstatt des Bayerischen Armeemuseums gibt es solch einen Arbeitsplatz, den wir - so viel sei gleich verraten - bei aller Liebe zum Modellbau mit unseren zwei linken Händen, die nach gut 40 Jahren Redaktionsarbeit nicht einmal das zehnfingrige Tippen auf der Schreibtastatur beherrschen, wohl nie hätten bekleiden können. Das ist uns nach einem mehrstündigen Besuch im Werkraum von Konstantin Miethig endlich klar geworden. Die handwerkliche Finesse, Fingerfertigkeit und vor allem auch Geduld, die der Schöpfer solcher technischen Kunstwerke aufbringen muss, hätte unsere Möglichkeiten sicher eher über kurz als über lang überstiegen. Da sind wir recht sicher.

Konstantin Miethig ist gelernter Schreiner, aber er könnte sich nach gut 40 Jahren privater und bald 30 Jahren professioneller Modellbauerfahrung genauso gut als Werkzeugmacher, Schlosser, Dreher oder Metallbauer bezeichnen - so vielschichtig ist das, was sich der bald 54-Jährige im Laufe der Zeit autodidaktisch angeeignet hat und was er auch in der täglichen Praxis beherrschen muss: Ein Modellbauer im Armeemuseum muss sich mit nahezu allen Werkstoffen und Werkzeugen auskennen, die auch die Handwerker in früheren Waffenschmieden und beim Militär genutzt haben. Und er muss auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen können, weil Langzeitprojekte und dringlichere Terminsachen für geplante Präsentationen oder eben aktuell die neuen Dauerausstellungen des Hauses meistens parallel laufen.

"Wenn ich ein Kanonenmodell im gängigen Maßstab 1:6 durchweg selber bauen würde", sagt Konstantin Miethig, "dann würde ich wohl drei Jahre dafür benötigen. " Das wirkt auf den Laien zunächst etwas dick aufgetragen, aber sobald sich der Besucher ausführlicher erklären lässt, was für ein solches Projekt benötigt wird, wächst auch das Verständnis für den Zeitaufwand: Wer die Maße für ein Modell von Originalzeichnungen aus dem Museumsarchiv abnehmen muss, fehlende Details und Materialanforderungen in der Hausbibliothek oder im Internet recherchieren, alle Maße von Zoll auf Millimeter umrechnen und dann praktisch jedes Teil aus den passenden Werkstoffen in Handarbeit fertigen muss, der hat gut zu tun.

Miethig zeigt uns seinen Maschinenpark, der eine kleine Drehbank, eine Fräsmaschine, mehrere elektrische Sägen und Bohrer und eine Unzahl von klassischen Werkzeugen sowie etliche Eigenbauten umfasst, ohne die ein Modellbauer nicht auskommt. Manche Anforderungen sind so speziell, dass sie nur mit Hilfsmitteln bewältigt werden können, die in keinem Baumarkt gekauft, aber auch bei keinem Werkzeugmaschinenhersteller bestellt werden können. Wer sich erst ein Werkzeug bauen muss, um dann im Maßstab 1:6 vielleicht eine Mini-Serie von sechs oder acht Schrauben oder Bolzen herstellen zu können, wie sie 1:1 anno 1850 in der Bayerischen Armee für diese oder jene Geschützlafette verbaut worden sind - ja, der kann über einfache Lösungen von der Stange nur lachen.

Zum Glück ist der dreijährige Kanonenmodellbau nur ein hypothetisches Beispiel, doch der Alltag des Modellbauers fordert immer wieder tage- und auch schon mal wochenlange Beschäftigung mit Stücken aus dem Depot, die zumindest teilweise repariert oder gänzlich restauriert werden müssen. Miethig zeigt als Beispiel das Modell eines bayerischen Feldgeschützes aus dem 18. Jahrhundert, das jetzt in einer Vitrine der neuen Dauerausstellung präsentiert wird und an dem er rund ein halbes Jahr gewerkelt hat, bis Messing wieder wie Messing und Holz wieder wie Holz aussah.

Aktuell hat Miethig in seiner kleinen Werkstatt das 1:6-Modell eines Krans in Arbeit, an dem bayerische Artilleristen vor rund 200 Jahren den Wechsel von (im Original tonnenschweren) Kanonenrohren geübt haben. Die Säuberung der Holzstativbeine und die Entrostung der eisernen Beschläge läuft seit Wochen und wird bis zum Start einer Ausstellung über die vormalige königliche Artillerie im Reduit Tilly gegen Jahresende wohl noch manchen Arbeitstag fordern. Dieweil entsteht auf dem Werktisch nebenan für dieselbe Ausstellung aus Holz das Modell einer Schießscharte aus der früheren Ingolstädter Landesfestung - ein schematischer Schnitt, der ebenfalls maßstabsgetreu anhand alter Bauzeichnungen nachempfunden wird. Im Vergleich zu anderen Arbeiten aus Miethigs Repertoire eher eine leichte Übung. Aber auch das will (nebenbei) gemacht werden.

"Bei dieser Arbeit treffen Technisches, Künstlerisches und auch Ingenieurwissen zusammen, das ist so faszinierend", sagt Modellbauer Miethig, der auch privat seit frühester Jugend (vorwiegend im Modellbahnbau) mit Miniaturwelten vertraut ist. Das habe mitunter sogar etwas Entspannendes, Meditatives, fügt er hinzu. Wir können das ein wenig nachfühlen, haben aber deutlich gemerkt, dass wir uns trotz allen Interesses an der Materie besser nicht zu weit in dieses Feld vorwagen sollten. Wahrscheinlich wird es die Beschäftigung mit der Modellbahn daheim auch tun, deren Stücke jetzt seit Jahren im Keller auf eine Wiederbelebung warten. Der Tag mag kommen. Spätestens im Ruhestand. Hoffen wir einfach mal.

Bernd Heimerl