Ingolstadt
Nackt-Interview als Selbsterfahrung

Ein Besuch beim Naturistenbund Ingolstadt

17.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:51 Uhr
Die Hüllen fallen lassen ist auf dem Gelände des Naturistenbundes am Baggersee eine Grundvoraussetzung ? auch beim Interview. −Foto: Foto: privat

Ingolstadt (DK) Wer das Gelände des Naturistenbundes am Baggersee betritt, darf nicht gschamig (prüde) sein. Denn dort laufen alle so herum, wie Gott sie schuf. Ein Nackt-Interview als Selbsterfahrung und ein hüllenloses Kaffeekränzchen.

Zwetschgendatschi kann man auch nackt essen. Gerne mehrere Stücke und zusammen mit anderen Menschen. Denn ob er schmeckt oder nicht, hängt von den Zwetschgen und vom Teig ab. Nicht von der Bekleidung. Und das ist nur eine Erkenntnis nach einem Besuch beim Naturistenbund Ingolstadt. Seien wir ehrlich: Wir sind alle nur Menschen - und im Regelfall neugierig. Deshalb die Antworten auf die am meisten gestellten Fragen gleich am Anfang: Ja, auf dem Gelände des Naturistenbundes sind alle nackt. Grundsätzlich. Auch der Verfasser dieser Zeilen. Natürlich ist das am Anfang ein bisschen eigenartig. Aber weil ja alle unbekleidet sind, entsteht nach einiger Zeit der Eindruck einer gewissen Normalität, ja sogar Freiheit. Und um die Antwort auf die nächste Frage (um die übrigens viele herumdrucksen) gleich vorweg zu nehmen: Beim Naturistenbund Ingolstadt geht es absolut seriös zu. Wer sich da irgendwelche Hoffnungen macht, ist völlig fehl am Platz.

Wer freilich Ruhe und Natürlichkeit sucht, der ist genau richtig auf dem rund zwei Hektar großen Gelände am Baggersee. Beim früheren Fischerheim führt in der Straßenkurve ein kleiner Feldweg in den Wald hinein. NBI steht auf dem Schild, mehr nicht. Nach rund 50 Metern steht man vor einem großen, verschlossenen Eisentor. Rechts und links ein Zaun, der einen kleinen Blick aufs Gelände erlaubt. Was man sieht? Natur, sonst nichts. Man muss schon als Gast geladen sein, um dort hinein zu gelangen. Agathe ist in diesem Fall die Türöffnerin. Sie hat den Besuch eingefädelt. Seit 1990 Mitglied, ist sie für die Finanzen des rund 50 Mitglieder zählenden Vereins verantwortlich. Über einen leicht verschlungenen Weg erreichen wir das Vereinsheim - wo sich Agathe als allererstes komplett auszieht.

Nach wenigen Sekunden hat auch der Besucher die Hüllen fallen lassen, begrüßt die anderen Mitglieder und stellt sich vor. Wie es sich gehört. Nur eben im Adamskostüm. "Wir sind grundsätzlich immer nackt", erklärt Agathe. Außer beim Sport in der Sonne, um einen Sonnenbrand zu vermeiden. Und bei der Weihnachtsfeier und der Jahreshauptversammlung, die der Naturistenbund in einer Gaststätte abhält.

Mit 18 hat Agathe erstmals FKK gemacht, erzählt sie: "Was anderes kommt für mich nicht mehr in Frage." Kleidung war ihr schon immer lästig, am liebsten hat sie nichts an. "Ich mag nichts an mir." Auf dem weitläufigen Gelände am Baggersee kann sie genauso wie die anderen Mitglieder diese Vorstellung eines ungezwungenen Lebens verwirklichen. Es gibt einen Volleyball- und einen Indiaca-Platz, Spielmöglichkeiten für Kinder, zwei Freiluft-Duschen und sogar einen Weiher mit eigener kühlen Quelle, eine herrliche Erfrischung an den heißen Tagen. Beim angeregten Plaudern beim textilfreien Spaziergang stößt man immer wieder auf schattige Plätzchen, wo Mitglieder lesen, sich ausruhen oder ein Nickerchen halten. "Das ist für uns wie Urlaub", sagt ein älteres Ehepaar, das im Sommer jeden Tag auf dem Gelände verbringt. "Wir haben alles dabei, es fehlt uns an nichts." Höchstens das Zwitschern der Vögel unterbricht die Stille in dieser von außen nicht einsehbaren "Oase der Ruhe", wo jeder für sich sein kann, wenn er will.

Nach einer Stunde auf dem Areal hat sich eine gewisse Art der Normalität breit gemacht. Als Besucher registriert man natürlich noch, dass keiner was anhat - aber man denkt sich nichts dabei. Keiner glotzt einen an, niemand wird anzüglich, nichts, was unangenehm wäre. Auch nicht bei Kaffee und Kuchen, wo sich fast alle treffen und der Neuling noch mehr erfährt. Ob er den Unterschied zwischen FKK und Naturisten kenne? "Naturisten schützen die Natur und genießen das Naturerlebnis", sagt ein 80-Jähriger. Doch der Ansatz geht noch viel weiter. "Naturisten zeigen, dass alle Menschen gleich sind, weil sie keine Kleidung anhaben", sagt einer. Unter den Mitgliedern sind schlanke, weniger schlanke und vollschlanke. "Aber Aussehen und Gewicht sind kein Thema. Wir müssen nichts mit Kleidung kaschieren", sagt Agathe. Für sie ist das ein Ausdruck von Toleranz und Freiheit. "Was ist an mir, wofür ich mich schämen müsste? Wenn ich mich ausziehe, lege ich die Gesellschaft ab." Konventionen, Druck, Wettbewerb oder Jugendwahn - das gibt es bei den Naturisten nicht.

Mit ihrer Zugehörigkeit gehen die Mitglieder ganz verschieden um. Manche sind ziemlich offen, wie etwa Agathe: "Mit dem Vornamen wissen die Leute sowieso, wer ich bin", sagt sie und lacht. Einige erzählen es nur im engsten Freundeskreis. "Ja, es gibt schon noch Vorbehalte", heißt es von mehreren Seiten. Manchmal werden sie darauf angesprochen, dass sie im Sommer erkennbar überall braun sind. Komisch finden sie Leute, die im Urlaub in Kroation FKK machen, aber das zu Hause nie tun würden. Aber noch seltsamer ist, wenn Naturisten andere Naturisten bekleidet in der Stadt sehen: "Da stutzt man richtig."

Doch der 1972 gegründete Verein mit seinem schönen, aber arbeitsintensiven Gelände hat auch Sorgen. Der Nachwuchs bleibt aus. "Die Leute werden offenbar immer gschamiger", lautet der übereinstimmende Tenor. Manche Zeitgenossen würden sich vielleicht ganz gern den Naturisten anschließen, trauen sich aber nicht. "Es gibt aber auch Leute, die haben in ihrer Fantasie so gewisse Vorstellungen", sagt Agathe vieldeutig. Nach einem Besuch wären diese Menschen eines Besseren belehrt. Denn der Naturistenbund Ingolstadt ist im Grunde ein ganz normaler Verein zur Freizeitgestaltung - die darin besteht, unbekleidet zu sein.