Ingolstadt
Auf Tuchfühlung mit einem Koloss

Bei einer Fütterung im Wildpark kommt es zu einer unerwartet zärtlichen Begegnung

06.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:00 Uhr
Wer stört denn da? In Habachtstellung beobachtet das Rotwild die Eindringlinge in ihrem Gehege. Zur Fütterungszeit können sie die Wildpark-Mitarbeiter aber kaum erwarten. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Der Wisent steht noch zwei Meter von seiner Futterstelle entfernt und zögert. Er ist wohl irritiert, dass der menschliche Eindringling nicht wie gewohnt schnell seinen Eimer in den Trog leert und sich dann wieder verzieht. Nein, heute hält dieser seinen Arm zwischen den Holzbalken hindurch und wartet. Endlich gibt der Stier seiner Neugierde nach und kommt ganz langsam näher.

Bei einer kleinen Bewegung schrickt der Wisent noch einmal zurück, streckt seinen Kopf dann aber doch schnaubend der Hand entgegen, um zu schnuppern. Es ist fast ein erhabenes Gefühl, als die weiche Schnauze des Kolosses die Hand vorsichtig berührt. Eine beeindruckende Begegnung - und ohne fachmännische Begleitung nicht zum Nachmachen empfohlen!

Auge in Auge mit dem Wisent fühlt sich der Mensch ganz klein. Mehrere Hundert Kilo können ausgewachsene Tiere erreichen. Umso verwunderlicher, dass der "Chef im Gehege", wie Wildpark-Mitarbeiter Harry Zieglmeier sagt, so zurückhaltend auf Menschen reagiert - obwohl dieser doch gerade so selbst dem Drang widersteht, die Hand vor dem vegetarischen Wiederkäuer zurückzuziehen. Die bisherige Erfahrung mit der Pflege von Tieren beschränkt sich schließlich auf Wellensittiche und einen 18 Jahre alten Foxterrier.

Heute sind es neben den vier Wisenten 20 Rotwild- und 28-Damwildtiere, 14 Wildschweine und sieben Mufflons, die um 7.30 Uhr auf ihr Fressen warten. Im 1972 errichteten Wildpark am Baggersee ist es noch still, als es gemeinsam mit Zieglmeier und seinem Kollegen Manfred Kirschner in ihrem nagelneuen grünen Kleinlaster in den Tag geht. Nur ein paar Gassigeher laufen vorbei. "In der Früh kommen immer dieselben Stammgäste", sagt Zieglmeier. "Ein älterer Mann hat sogar mal Kuchen mitgebracht. "

Bevor es zur eigenen Brotzeit geht, haben die Herren über die drei Gehege auf dem rund 14 Hektar großen Wildpark-Gelände und ihre Begleiterin einen straffen Zeitplan. Während das Rotwild und die Wisente jeden Tag Hunger haben, werden die Wildschweine und das Damwild nur dreimal pro Woche gefüttert. "Wir müssen schauen, dass sie nicht zu dick werden", erklärt Zieglmeier. "Das ist wie bei uns. "

Als Erstes geht es mit dem Eimer voll "Müsli", wie Zieglmeier und Kirschner die Mischung aus Hafer, Gerste, Soja und Mais nennen, zum Rotwild. Zwei Krippen voll müssen den Tieren, die in einem Bogen aufgeregt um die Menschen herumlaufen, reichen. Kaum sind sie wieder alleine, stürzen sie sich auf ihr Frühstück - die großen Augen aber stets wachsam in Richtung Tor gerichtet. "Sie merken, dass heute jemand Fremdes da ist", sagt Zieglmeier, während er den Trog der Mufflons, die im selben Gehege leben, aber an anderer Stelle fressen, befüllt.

Zwei, drei Ladungen mit je fünfeinhalb Tonnen Futter werden jährlich geliefert. Im Sommer brauchen die Wildpark-Mitarbeiter aber gar nicht so viel. "Momentan haben wir viele Besucher, die füttern fleißig", erzählt Zieglmeier. Und das trotz der vielen Hinweisschilder, dies im Sinne der Gesundheit der Tiere doch bitte zu unterlassen. "Das ist ein Kampf gegen Windmühlen", seufzt er.

Zum Müsli kommt jede Menge Heu hinzu, das ein Bauer liefert. Heute will er sogar 26 Ballen loswerden. Während sich Zieglmeier überlegt, wohin damit, wird die erste Ladung in einem mit Werkzeug vollgestellten Schupfen schon einmal verarbeitet. Es ist nicht so leicht, das Heu mit der Mistgabel auseinanderzuziehen, aufzuspießen und durch ein Loch im Boden in eine Futterstelle zu werfen. Von dort linsen einem wieder die Wisente entgegen.

Spätestens jetzt ist das T-Shirt ziemlich staubig, aber da warten auch noch das Damwild - und die Wildschweine. Deren Gehege darf nur durch eine Schmutzschleuse betreten werden, zum Schutz der Tiere vor zum Beispiel Schweinepest. Als Kirschner die Gummistiefel wechselt, kommen die Wildschweine schon angelaufen, allen voran die jüngsten Tiere. Die sind noch so klein, dass sie kurzerhand in den Trog hüpfen, um an ihr Müsli zu gelangen. Irgendwie doch auch wie bei den Menschenkindern.
 

Tanja Stephan