Ingolstadt
Auf Kurs

Eine Schnupperstunde beim Segelclub offenbart die Herausforderungen, aber auch die Schönheit dieses Sports

03.09.2018 | Stand 23.09.2023, 3:58 Uhr
Die Schoten in der Hand und immer den Blick in RIchtung Verklicker - dem kleinen Windrichtungsanzeiger auf dem Mast - gerichtet: Im Segelkurs auf dem Stausee sitzen die Vokabeln schnell, die Praxis allerdings ist komplizierter als gedacht. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Von Wind getrieben übers Wasser gleiten, ohne Motor ein tonnenschweres Boot beschleunigen, die Nase in den Wind halten, dabei umgeben von nichts als Wasser und ein paar kreischenden Möwen: Segeln strahlt für viele Eleganz aus und bedeutet Freiheit.

Eine Schnupperstunde beim Segel- und Tennisclub Rot-Weiß Ingolstadt zeigt aber: Wer ruhig und anmutig über die Wellen gleiten will, braucht Wissen, Geschick, Leidenschaft und Kraft. Dabei beinhaltet diese Lehrstunde nicht nur die Kapitel Winde lesen und Segel setzen, sondern zeigt auch, welcher Moment beim Segeln der schönste ist, und was das das alles eigentlich mit Skifahren zu tun hat - auch, wenn im Laufe des Unterrichts manchmal weniger als eine Hand breit Wasser unter dem Kiel bleibt. Zumindest empfindet das der ängstliche Segelschüler so.

Die erste Lektion auf dem Steg vor dem Segelheim: Dass die Unterrichtsstunde gleich auf das größte aller Boote führt, ist kein Zeichen von Vertrauen in den Segelschüler, sondern schlicht Vernunft. Mucke, ein hochseefestes Rigattaboot, bringt ein Gewicht von 1,3 Tonnen auf die Waage und markiert damit die Obergrenze dessen, was auf der Donau so kreuzt. Die Winde drehen auf dem Fluss - im Gegensatz zum offenen Meer - zu oft, und Muckes Tiefgang ist zu groß, als dass sie ordentlich Geschwindigkeit aufbauen könnte. Schneller wäre man mit einem kleineren Boot wie einem Laser erklärt Segellehrer Frank Musigk. Der mittlerweile etwas nervöse Segelschüler auf dem schwankenden Steg ist ganz froh, dass es heute gemütlicher bleibt. Vor allem, als er sieht, wie nah man auf den kleinen Booten dem Wasser kommt, wenn der Wind dreht und das Boot Fahrt aufnimmt. Es wird nicht lange dauern, bis sich aber auch Mucke sehr weit über die Wasseroberfläche lehnen wird.

Weil das Boot so schwer ist, muss sie Musigk mit einem kleinen Motor von der Anlegestelle auf das Wasser hinaus manövrieren. Das Festland - beziehungsweise der wacklige Steg - entfernen sich immer weiter. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Wie naiv der Segelneuling an diese Sache herangegangen ist, merkt er das erste Mal, als Mucke nur wenige Sekunden später in bedrohliche Schieflage gerät, als der sogenannte Halbwind seitlich heranweht und die meterhohen eindrucksvollen weißen Segel aufweht. Während der Neuling fest davon überzeugt ist, dass das ganze Ding hier gleich im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fällt, bleibt Musigk gelassen. Leicht panisch wendet der Schüler eine der ersten Lektionen an, die er noch an Land gelernt hat. Neigt sich das Boot auf die eine Seite, setzt man sich auf die andere. Mucke neigt sich wieder. Wenn doch nur alle Aufgaben so leicht wären wie diese.

Plötzlich wird es still auf dem Wasser, Musigk hat den Motor ausgemacht, ab jetzt vetraut man nur noch auf die Winde. "Das ist der schönste Moment beim Segeln", sagt Musigk, dessen Bewegungen an Bord so routiniert aussehen, als wäre er als Steuermann geboren worden. Er hat als Vetriebsangestellter für Nutzfahrzeuge oft Stress, auch auf dem Boot ist Handy samt Freisprecheinrichtung im Ohr dabei. Doch draußen, sagt er, zwischen Tauen und Wellen, da habe er nicht viel Zeit, an Arbeit zu denken. Hier bestimmen die Winde das Geschehen.

Apropos, mittlerweile haben die Mucke schon ordentlich Antrieb gegeben. Nur über die Fahrtrichtung wundert sich der Segelschüler. Es hieß doch, man steuert Richtung Bergheim, von der Staustufe weg? Jetzt gerade kommt das gegenüberliegende Donauufer immer näher. Doch der Wind will es so, Mucke muss sich kreuzend über die Donau bewegen. Für den Schüler bedeutet das: Kurven üben. "Wende einleiten! ", lautet Musigks Kommando. Der Segelneuling hat die Aufgabe des Vorschoters bekommen, hat also die Leinen - im Segelsprech Schoten - für das vordere Segel in der Hand. In jeder Kurve muss das Seil, das das Segel auf eine Seite spannt, gelöst werden. Die andere Schote sollte fast gleichzeitig angezogen, das Segel in Stellung gebracht und das Seil wieder eingeklemmt werden. So weit die Theorie.

"Auf Regattas wie unseren Vereinsmeisterschaften geht es um jede Sekunde, bei eingespielten Steuermännern und Vorschotern verliert das Boot in der Wende keine Geschwindigkeit", sagt Musigk, während der Segelschüler merkt: Er hat Mucke mit "seiner" Wende gerade den ganzen Wind aus den Segeln genommen, man schleicht über das Wasser. Da fehlen also noch ein paar Schnupperstunden. Später flammt der Wind genau in dem Moment auf, als der Neuling versucht, das Seil wieder festzuklemmen. Spätestens, als der Schüler sich mit seiner ganzen Kraft in das Seil hängen muss, als das Segel sich aufspannt, wird klar, wie viel Kraft hier eigentlich wirkt. In guten Momenten schafft Mucke heute vier bis fünf Knoten - also etwa zehn Kilometer pro Stunde.

Während über immer mehr Wenden immer mehr Abstand zwischen das Segelheim und Musigk mit seinem Schüler kommt, entsteht es irgendwann, das Gefühl von windiger Freiheit, auch wenn die Frisur durch den Fahrtwind hinüber und der Stift für etwaige Notizen sich anscheinend entweder ins Wasser oder in die Kabine verabschiedet hat. Minuten später, nach einer weiteren Kurve, drängen sich dem Neuling irgendwann die Parallen von Segelwenden und den ersten zaghaften Kurvenversuchen auf Skiern auf - als man als Skischüler die ganze Breite der Piste brauchte, um in Schrittgeschwindigkeit eine Kurve zu schaffen. Mehr war damals auch nicht drin, spätestens beim zweiten Versuch folgte dann unweigerlich der Sturz in den Schnee. Also diesen Gedanken schnell wieder vergessen, denn ins Wasser zu fallen gehört heute nicht zum Plan. Später an Land erzählt Musigk, dass er für alle Fälle immer eine zweite Montur Klamotten im Schrank hat, sollte er doch mal vom Boot stürzen. Gut, dass das der Segelschüler nicht schon vorher wusste.
 

Sophie Schmidt