Stammham
Hüter der Grenzen

Internationaler Tag des Ehrenamts: Vier Feldgeschworene wachen in Stammham über die Abmarkungen

04.12.2020 | Stand 23.09.2023, 15:50 Uhr
Der rote Ziegelstein markiert die Position des als Grenzpunkt dienenden Tonrohrs. Feldgeschworener Bernd Walter (Mitte) hat ihn mithilfe eines Erdlochaushebers ausgegraben. Er unterstützt damit Thomas Stark vom Vermessungsamt (links). Obmann Georg Wolfsmüller begleitet Walter bei seinem ersten Einsatz. −Foto: Stephan

Appertshofen - Der Tag des Ehrenamts wird an diesem Samstag weltweit gefeiert. Wenig bekannt ist das älteste kommunale Ehrenamt in Bayern: Die Feldgeschworenen gelten wohl seit dem 13. Jahrhundert als Hüter der Grenzen in den Gemeinden. In Stammham ist einer davon seit Kurzem Bernd Walter.

Holzpfosten markieren auf einem Grundstück am Weinberg im Ortsteil Appertshofen, wie die künftige Raumaufteilung des Hauses aussehen soll. Gebaut wird zwar erst kommendes Jahr, informiert der junge Besitzer. Bereits jetzt will er die Grundstücksgrenzen überprüfen. "Wir haben schon mal Probleme mit einem Schuppen gehabt, den mussten wir versetzen", erzählt er. "Hier wollen wir auf Nummer sicher gehen, weil man eine Garage nicht einfach versetzen kann." Und weil Garagen in der Regel direkt auf die Grenze gebaut werden, muss hier alles seine Richtigkeit haben.

Das Problem: Zwei Grenzsteine sind nicht mehr auffindbar, berichtet Georg Wolfsmüller. Er ist seit rund 14 Jahren Feldgeschworener in Stammham, seit etwa drei Jahren Obmann. Wenn er von der Gemeinde Aufträge erhält, koordiniert er die Termine mit seinen drei Kameraden. "Unsere Aufgabe ist es vor allem, Löcher zu graben, wenn Grenzsteine gesucht werden oder gesetzt werden sollen." Neu im Amt ist Bernd Walter, den Wolfsmüller nun zu seinem ersten Abmarkungseinsatz begleitet.

Seit rund 40 Jahren lebt Walter in der Region. "Höchste Zeit, sich im angehenden Ruhestand noch einmal zu engagieren und den Wissenshorizont zu erweitern", meint der ehemalige Vorsitzende der örtlichen Feuerwehr. "Ich mag es gar nicht, faul auf dem Sofa zu sitzen und zu warten, dass die Zeit vergeht." Seit Längerem beschäftigt er sich mit dem Feldgeschworenenwesen. "Es ist interessant, weil es das älteste kommunale Amt in Bayern ist (siehe unten)", betont Walter. Auch die enge Verbindung zur Kommune reizt ihn.

Die Feldgeschworenen unterstützen mit ihrer Tätigkeit das Vermessungsamt. Während sie mit Thomas Stark also das Grundstück abgehen, arbeitet dessen Kollegin Bettina Goß mit dem sogenannten Tachymeter, einem elektronischen Distanzmessgerät. "Es werden verschiedene Punkte angemessen", erklärt die Vermessungsingenieurin. Zur Orientierung verwendet sie Papierpläne, die die Entwicklung der Grundstücke über die Jahre anzeigen. Diese Feldrisse geben einen Überblick über die Messdaten des Katasteramts und werden aktuell digitalisiert.

Goß holt aus einer Mappe einen Riss aus dem Jahr 1999 hervor und deutet auf den Punkt, an dem auf dem Grundstück in Appertshofen ein tönernes Rohr in 80 Zentimetern Tiefe vergraben sein müsste. Das dient nicht als Grenzstein, sondern vielmehr "als unterirdischer Orientierungspunkt", erläutert Goß. "Es ist so tief vergraben, damit ihm im Gegensatz zum Grenzstein nichts passieren kann." Besonders in früheren Zeiten haben Letztere "oft Füße gekriegt", ergänzt Wolfsmüller schmunzelnd im Hinblick auf Schummeleien bei der Festlegung von Grenzen.

Das Tonrohr liegt vermutlich unter einem kleinen Apfelbaum. Walter holt aus seinem Kofferraum das nötige Werkzeug. Mit einem Erdlochausheber - eine Art scherenförmiger Spaten mit zwei Schaufelblättern - hebt er nach und nach Erde aus einem Loch über dem vermuteten Orientierungspunkt. Das dauert: Erst nach zehn Minuten stößt Walter auf einen roten Ziegelstein, der als zusätzliche Markierung dient. "Wenn der kommt, dann weißt du, dass das Rohr da ist", erklärt Stark. "Der kommt später auch wieder drauf."

Während den Umherstehenden die Morgenkälte in die Finger kriecht, gräbt Walter noch einige Zeit weiter. Bis aus der feuchten Erde endlich ein unscheinbares Tonrohr hervorlugt. "Eine Premiere für mich", freut sich Walter. "Schön, dass das gleich so eine Herausforderung war." Und schon schaufelt er das Loch wieder zu, während Stark seiner Kollegin Goß den Vermessungspunkt bestätigt. "Für die nächsten 100 Jahre ist das jetzt wieder begraben", vermutet Walter.

Zuletzt soll zur Straße hin für künftige Überprüfungen einer der fehlenden Grenzpunkte wieder hergestellt werden. "Der Grenzstein ist wahrscheinlich beim Zaunbau rausgekommen", vermutet Goß, während Stark ein Loch in den Beton bohrt und einen Eisenpflock mit dem Hammer hineinhaut. Der Pflock wird sichtbar bleiben - insbesondere, weil Walter ihm abschließend einen roten Deckel aufsetzt. "Eine typische Aufgabe der Feldgeschworenen."

EHRENAMT AUS DEM 13. JAHRHUNDERT

Feldgeschworene wachen über Gemeindegrenzen. Sie üben das älteste kommunale Ehrenamt im Freistaat aus - die Wurzeln gehen wohl bis ins 13. Jahrhundert zurück. Es entstand aus Mark- und Feldgerichten, die hohes Ansehen genossen. In Grenzangelegenheiten fällten sie Schiedssprüche, sodass Feldgeschworene zu Hütern der Grenzen und Abmarkungen wurden. Dafür sind heute grundsätzlich staatliche Vermessungsbehörden verantwortlich. Die Feldgeschworenen unterstützen beim Setzen und Entfernen von Grenzsteinen.

Um Schummeleien bei Grenzfestlegungen vorzubeugen, kennzeichneten die Feldgeschworenen einst die Lage der Grenzpunkte mit geheimen Zeichen. Diese sogenannten Siebenerzeichen - meist aus gebranntem Ton, Glas, Porzellan oder Metall - wurden nahe des Grenzsteins in einer nur den Feldgeschworenen bekannten Anordnung ausgelegt. An Form und Lage der Zeichen erkannten diese, ob der Stein unrechtmäßig verändert wurde. Die Tradition des Siebenergeheimnisses wird trotz moderner Vermessungstechnik vielerorts bis heute fortgesetzt.

Die Feldgeschworenen sind nach wie vor zur gewissenhaften und unparteiischen Tätigkeit sowie zur Verschwiegenheit durch Eidesform auf Lebenszeit verpflichtet. Das Ehrenamt gilt als lebendige Kulturform und wurde 2016 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Aktuell sind etwa 27.000 Feldgeschworene in Bayern tätig.

DK

Tanja Stephan