Großmehring
Holzperlen statt Zuckerrüben

Bärbel Freitag wohnt mit ihrer Familie im alten Theißinger Bahnhof und hat dort ein Atelier eingerichtet

21.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:09 Uhr
"Kreativwerkstatt Pinselreich" heißt das Atelier, das Bärbel Freitag im ehemaligen Güterstadel des alten Theißinger Bahnhofs eingerichtet hat. Das Konzept ihrer mittlerweile vier Bücher sieht große Bilder und wenig Text vor. −Foto: Stephan

Großmehring (DK) Kindergärtnerin, Autorin, Fortbildungsreferentin und Künstlerin - Bärbel Freitags Alltag ist durch kreatives Schaffen geprägt. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt die 51-Jährige im alten Theißinger Bahnhof, wo sie im ehemaligen Güterstadel ein Atelier eingerichtet hat.

Zwischen hohen Bäumen lugt das Gebäude des einstigen Bahnhofs inmitten eines großen Gartens hervor. Die Fassade ist - wie vor der Stilllegung der Bahnstrecke in den 1990er-Jahren - dunkelrosa gestrichen, die Fensterrahmen blau. Hinter dem Haus verläuft der Schambachtalbahn-Radweg, dort, wo auf den Gleisen zwischen Ingolstadt und Riedenburg einmal Zuckerrüben transportiert wurden. Die nächsten Nachbarn leben Hunderte Meter entfernt. "Wir wohnen hier sehr ruhig", stellt Bärbel Freitag fest.

Die in Kasing aufgewachsene 51-Jährige empfängt ihren Besuch mit grüner Schürze auf einer Terrasse, von wo aus es in den hölzernen Anbau des Hauptgebäudes geht: der ehemalige Stadel, durch den die Güter angeliefert wurden. Sogar die schweren Türen sind original. Überhaupt versuchten Freitag und ihr Mann, ein Architekt, den Charme des Bahnhofs nahe des Canisiushofs zu erhalten, nachdem sie ihn 1998 erworben hatten. "Wir haben alles entkernt, aber bewusst mit Holz und ohne Beton gearbeitet", sagt Freitag. Was ihr gefällt: "Der Bahnhof wurde 1902 gebaut, 2002 sind wir eingezogen."

Im Güterstadel sieht es nun gar nicht mehr nach Bahnhof aus. Nachdem dort zwischendurch "das kleinste Kino der Welt" mit Polsterstühlen des Ingolstädter Roli-Kinos Platz gefunden hatte, betreibt Freitag nun seit vielen Jahren ihre Kreativwerkstatt "Pinselreich". An den weißen Wänden finden sich Schubladen und Kartons mit Werkzeug sowie Bastelmaterial und eine Werkbank. In einer Vitrine, ein Erbstück, stehen Gläser mit Holzperlen, Knöpfen und Nussschalen. Werke wie das von der Decke hängende Mobile zeigen, dass Freitag mit einfachen Materialien arbeitet: "Man kann mit wenig Geld, Dingen aus der Natur und Schachteln oder Wollresten einfache Sachen machen."

Diese Einstellung hat sich in Freitags Kindheit entwickelt. "Ich habe immer gern gebastelt und dekoriert", sagt sie. Weil es kaum Bastelangebote für Kinder gab, nutzte sie eben das, was ihr zur Verfügung stand. So behielt sie es später als Erzieherin bei. Eindruck hinterließ während ihrer Ausbildung an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Eichstätt ein Lehrer, der ihr zeigte, wie sie kreativ mit Kindern arbeiten kann. "Bei ihm wurde mir klar, dass sie sich nicht mit Schablonen entwickeln", sagt Freitag. "Stattdessen wollte ich alles anbieten, was ins Handwerkliche geht."

Seit 16 Jahren arbeitet sie - mittlerweile in Teilzeit, um ihre Projekte zeitlich unterzukriegen - im Kasinger Kindergarten. "Ein Haus, in dem Kreativität einen hohen Stellenwert hat", freut sich die 51-Jährige. Bei ihr dürfen die Kinder auch an die Bohrmaschine. Am wichtigsten ist ihr, dass sich ihre Schützlinge selbst ausprobieren: "Das Ziel ist anfangs nicht klar, so muss man sich konzentrieren, nachdenken und mal Enttäuschungen akzeptieren."

In ihren rund drei Jahrzehnten als Erzieherin hatte Freitag mit diesem Prinzip stets Erfolg. So kam es, dass nach vielen Stationen - sie hält bis heute Fortbildungen für Kindergartenteams - schließlich die Erwachsenen auf die 51-Jährige aufmerksam wurden. "Ich wurde von Eltern angesprochen, dass sie gerne mit mir arbeiten würden", erinnert sie sich. So entwickelten sich Aktionen wie die Sommerwerkstatt oder Atelierabende zum "gemeinsamen Gestalten". Mittlerweile hat Freitag eine richtige Stammkundschaft. Von der positiven Resonanz zeugen bunte Zettel an der Tür. "Es war schön, ein Tag wie Urlaub", steht da zum Beispiel. Kein Wunder, denn Freitags "Pinselreich", ist eine handyfreie Zone. "Das ist aber kein Verbot, sondern eine Chance."

Weil das alles nicht genug ist, ist Freitag auch unter die Autoren gegangen. "2009 habe ich überlegt, ein Buch zu konzipieren, das Vorschläge zum Basteln gibt und trotzdem offen ist", beschreibt Freitag ihre Idee, aus der ein Buch mit großen Fotos, aber ohne genaue Beschreibungen entstand: "Man soll sich nur zu Materialien und Techniken inspiriert fühlen." Viele Verlage waren aber der Meinung, dass Menschen sehr wohl detaillierte Anweisungen brauchen. Erst nach langer Suche kam Freitag beim Wolnzacher Medienhaus Kastner unter. "Ich war selig, als ich die fertigen Exemplare in der Hand hielt", sagt sie. 2000 Stück hatte die erste Auflage von "Meine Kreativwerkstatt". Es dauerte, bis diese verkauft waren, denn die Buchhandlungen dachten wie die Verlage. "Ich glaube, ich habe bayernweit jede Buchhandlung angerufen."

Diese Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: Mittlerweile ist Freitags erstes Werk in der vierten Auflage erschienen, das zweite Buch "Meine Fantasiewerkstatt" ist entstanden, zudem hat sich der Herder-Verlag gemeldet. "Das ist der Pädagogenverlag schlechthin", sagt Freitag. Sie wirkt immer noch erstaunt, wie gut "Blume, Sonne, Herz und Stern" sowie ihr jüngstes Buch "Pappe, Wolle, Holz und Stoff" ankommen - mit mehr Anleitung, trotzdem bildlastig. "Da sind Sachen drin, bei denen Fotos nicht ausreichen", sagt die 51-Jährige und zeigt ihre Sockenherzen.

In den Büchern finden sich ausschließlich Freitags eigene "Ideen, die ich mit Kindern oder Jugendlichen ausprobiert habe". Ihre wichtigsten Testpersonen sind ihre Töchter Mona (18) und Hannah (20). Viele Buchseiten zieren sogar Hannahs Zeichnungen zur Erläuterung der Basteltechniken. Bärbel Freitag erfüllt das sichtlich mit Stolz: "Die beiden haben mir schon ein Leben lang geholfen."

Wer Bärbel Freitag persönlich kennenlernen möchte, kann sie an diesem Sonntag bei der Jubiläumsfeier am Schönstattzentrum an ihrer Werkstatt treffen. Am Samstag, 29. September, leitet sie außerdem einen Workshop bei Hugendubel im Westpark.

Tanja Stephan