Ingolstadt
Herzogliche Perspektiven

Mauerreste zeugen von einem mächtigen Turm, der einst über Paradeplatz und Ludwigstraße thronte

27.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:51 Uhr
Auf den Resten des Turms sprießt heute Unkraut. Jetzt soll das Areal nach dem Wunsch von Ansgar Reiß (links) zwischen den so genannten Kavaliersgebäuden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. −Foto: Fotos: Hammer

Ingolstadt (DK) Über dem westlichen Graben vor dem Neuen Schloss fällt ein halbrunder Bau auf, der wie ein Balkon oder eine Terrasse aus der Umwehrung ragt. Es sind die Reste eines herzoglichen Prestigebaus aus dem Mittelalter. Jetzt soll der Platz auch dem gemeinen Volk zugänglich werden.

Wer heute vom Paradeplatz oder entlang der Ludwigstraße Richtung Neues Schloss schaut - und den ein oder anderen Bagger ausblendet - der blickt auf eine Lücke in der Reihe der so genannten Kavaliersgebäude, die den Schlosshof umgeben. Fast sieht es so aus, als hätte jemand eine Bresche in die Wehranlage geschlagen. Vor der Lücke wölbt sich im Bogen eine Mauer in den Burggraben.

Vor 550 Jahren sah die Sache noch anders aus. "Das Areal ist der Stumpf eines mächtigen Turmes, der hier früher stand", erklärt Ansgar Reiß, der Leiter des Bayerischen Armeemuseums, das heute im Neuen Schloss untergebracht ist. Dessen Bau geht auf den Ingolstädter Herzog Ludwig VII. von Bayern zurück. Er lebte zunächst im Alten Schloss, dem so genannten Herzogskasten, in dem heute die Stadtbücherei ist. Ludwig verbrachte etliche Jahre in Frankreich. Seine Schwester Isabeau de Bavière war mit dem französischen König Karl VI. verheiratet. Der Pomp am französischen Hof hat wohl einigen Eindruck auf Ludwig gemacht. Als er nach Ingolstadt zurückkam, brachte er neben etlichen Kunstgegenstände auch die französische Barttracht mit nach Bayern, weswegen er fortan "der Gebartete" genannt wurde. Im Vergleich zum königlichen Herrscherhof in Paris erschien Ludwig sein Herzogskasten in Ingolstadt nicht mehr standesgemäß. Er entschied deswegen, sich im Osten der Stadt ein Neues Schloss zu errichten. Die Arbeiten begannen um das Jahr 1417.

Der Turm in der westlichen Häuserreihe dürfte ein paar Jahrzehnte jünger sein. Sicher ist, dass er 1572 stand. In diesem Jahr begann der Drechslermeister Jakob Sandtner die Arbeit an seinem berühmten Modell Ingolstadts. Eine Nachbildung ist im hiesigen Stadtmuseum zu bestaunen. Hier ist der mit Zinnen bewehrte Turm deutlich zu sehen. "Er steht in der Flucht des Feldkirchner Tores", erklärt Reiß. "Man muss von ihm aus einen beeindruckenden Blick in die Ludwigstraße gehabt haben." Aber auch in der Gegenrichtung aus der Sicht der herzoglichen Untertanen war der Anblick sicher eindrücklich. Da der Turm zur Seite der Stadt und nicht nach außen - von wo her man eventuell einen Feind erwarten könnte - gebaut wurde, sollte er wohl in erster Linie repräsentative Aufgaben erfüllen. "Wie das benachbarte Zeughaus, das ja ebenfalls einen Turm hat, sollte er auch dem Machtanspruch des Herzogs auf die Stadt Ausdruck verleihen", erklärt der Museumsleiter.

Heute ist von dieser Pracht nicht mehr viel übrig. Der Turm steht längst nicht mehr, das übrig gebliebenen Plateau ist von der Seite des Schlosshofes her abgesperrt. Unkraut sprießt durch den Kies auf dem Boden. Eine Zeit lang diente der Turmstumpf dem Hausmeister der Schlosses als Garten. Seit es die Wohnung in dem Kavaliersgebäude nicht mehr gibt, ist das Areal ungenutzt.

Das soll sich jetzt ändern. Im Zuge der Umbauten des Schlosses soll die Plattform als Erweiterung des Hofs für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Wohl ab Juli wird ein Bodenpflaster verlegt, eine Balustrade soll die verbliebenen Mauerreste des Turms schützen und verhindern, dass vorwitzige Besucher dem Schlossgraben zu nahe kommen. Vom neu geöffneten Feldkirchner Tor wird ein befestigter Weg auf die Plattform führen von der aus man zumindest erahnen kann, welchen Blick die Ingolstädter Herzöge einst auf ihre Untertanen gehabt haben.

Johannes Hauser