Ingolstadt
Haftstrafe für "Reichsbürger"

Amtsgericht verurteilt 52-Jährigen in denkwürdigem Prozess wegen versuchter Nötigung und Erpressung

02.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:25 Uhr
Für "Reichsbürger" existiert die Bundesrepublik Deutschland nicht, sie gehen von den Grenzen des Deutschen Reichs im Jahr 1937 aus und präsentieren die Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot. Auch der Angeklagte Andreas P. hat eine solche Flagge an seinem Haus im Landkreis Eichstätt. −Foto: Symbolbild/dpa

Ingolstadt (DK) Der "Allschöpfer" ist sein Zeuge.

Es ist "der erste Tag des zweiten Monats zweitausendfünfzehn", an dem er "Mensch und beseeltes Wesen" seine Existenz beurkundet. Und zwar in einer "Lebenderklärung", die drei Zeugen am 1. Februar 2015 mit Namen, Unterschriften und Daumenabdruck besiegeln. Wie auch Andreas P. selbst, so heißt der Mann aus dem Landkreis Eichstätt mit bürgerlichem Namen, der sich hier seines Lebens versichert. Doch den Namen aus seinem Personalausweis weist er zurück. Diese Person gebe es nicht. Er sei der "Mensch Andreas". Und statt einer Geburtsurkunde zeigt er eben, wann immer es nötig ist, die Lebenderklärung vor. Sie dokumentiert seine Existenz, weil es das andere Dokument nach seiner Auffassung nicht kann; erstellt von einem Staat, an dessen Existenz er aus vielerlei Gründen nicht glaubt, sie sogar leugnet, wie das für "Reichsbürger" typisch ist. Und dazu gehört der 52-Jährige zweifellos.

Dass man den Staat eigenmächtig für tot erklären kann, ist eine Sache. Umgekehrt ist das kaum zu erwarten. Und so prallen und prallten die Welten auch auf dem bescheidenen Fleckchen Eichstätter Landkreiserde aufeinander. Da kann der bei einem großen Unternehmen in der Region beschäftigte Mann noch so viele Schilder "Deutsches Reich - Stopp - BRD GmbH" um sein Haus aufstellen. Die Bundesrepublik, die eben nicht nur die von Verschwörungstheoretikern belegte "Firma" ist, verlangt auch von ihm Steuern, GEZ-Gebühren oder Zugang für den Kaminkehrer mit hoheitlichen Aufgaben. Und die staatlichen Behörden setzen diese Regelungen durch; je mehr anfällt, um so repressiver. P. s Lohn wird für Steuerzahlungen gepfändet. Das Auto wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sichergestellt. Auch wenn das alles natürlich nicht in sein Weltbild passt.

Andreas P. reagierte auf die Repressalien, wie er es aus dem Internet und entsprechenden Videos und Blogs gelernt hat: Auf Zahlungsaufforderungen oder andere behördliche Maßnahmen hin schickte er eigene Schreiben, in denen er nicht nur seinen Unmut äußerte, da ihm Unrecht getan worden sei. Er stellte seinerseits Forderungen und Ultimaten auf: Die ranghohen Adressaten würden ihm eine bestimmte Menge Silberunzen schulden, zahlbar bis zum Soundsovielten. Andernfalls würden maltesische Mahnbescheide vollstreckt. Bei deutschen Behördenleitern, wie Leitende Oberstaatsanwälte oder dem Chef eines Hauptzollamtes, beißt man da natürlich auf Granit. Die Verstehen hier keinen Spaß, wobei aus Sicht P. s oder anderer "Reichsbürger" alles ernst gemeint war und ist. Früher oder später musste er also mit der Justiz zusammenrücken und letztlich zwangsläufig vor Gericht landen, wie jetzt in diesen Tagen dem Amtsgericht in Ingolstadt.

Für Richter Michael Fein war es einer der ungewöhnlichsten Prozesse in vielen Berufsjahren. Als versuchte Nötigung und versuchte Erpressung wertete die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Forderungsschreiben des "Reichsbürgers". Zudem lag der Vorwurf eines Verstoßes gegen das Waffengesetz auf dem Tisch. Nach dem Polizistenmord von Georgensgmünd (Oktober 2016) waren Staatsbedienstete bei mutmaßlichen "Reichsbürgern" für Razzien aufgetaucht. Auch bei Andreas P. , da dieser angeblich Waffen hortete, um sie in einem in die Anarchie verfallenden Deutschland dann einzusetzen. Die Polizei stieß auf eine große Zahl von Messern, Gaspistolen und andere Waffen, die aber alle legal sind. Eine aufgefundene Zwistel (Schleuder) war es nicht.

Wie also läuft ein Prozess gegen jemanden ab, der die Rechtsordnung und damit auch den Richter nicht anerkennt? P. musste von Polizisten in den Sitzungssaal getragen werden, er zeigte bis dahin keine Regung, war scheinbar ohne Leben, beschreibt Fein die Situation. Schlagartig sei der Angeklagte aber dann auf seinem Sitz erwacht, habe sofort "umgeschaltet": P. verfiel in einen Redeschwall, in dem er "die Staatsleugnung eindrucksvoll unter Beweis gestellt habe", so der Richter. Der "Reichsbürger" verknüpfte in scheinbar wilder Folge vatikanisches Recht, die zehn Gebote, Strafrechtsparagrafen, Seerecht und vieles mehr. Am Ende war immer die Aussage erkennbar: Das hier sei nur "ein Scheingericht". Er kenne die Wahrheit.

Das angebliche "Scheingericht", das aber tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes fußt, reagierte mit der Strafprozessordnung: Wegen Missachtung verhängte Richter Fein eine Woche Ordnungshaft gegen den fast ununterbrochen redenden Angeklagten, der aus dem Sitzungssaal entfernt wurde. In seiner Abwesenheit lief die Verhandlung weiter. Am Ende stand erwartungsgemäß eine Verurteilung. Nicht seine erste, aber diese hat es in sich: Ein Jahr und vier Monate soll P. ins Gefängnis und erhält keine Bewährungschance. Einbezogen ist dabei auch ein Urteil (fünf Monate Haft) aus Augsburg wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Einen gültigen Führerschein der BRD lehnt P. natürlich ab.

Ist jemand, der sich so verhält, überhaupt zurechnungsfähig? P. schon, er sei sogar voll schuldfähig, bestätigte der Landgerichtsarzt Peter Obergrießer dem Richter. Alleine das punktgenaue Umschalten von einem scheinbar leblosen Zustand in einen Redeschwall belege doch, dass P. sehr genau seine Umgebung wahrnehme, ist auch das Gericht in dem denkwürdigen Prozess überzeugt. Es dürfte nicht der letzte gegen Andreas P. gewesen sein.

Christian Rehberger