Großmehring
Angst um den Dorfcharakter

Großmehringer Bürger lehnen Ausmaße der geplanten Seniorenwohnanlage am Zieglerweg ab

22.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:27 Uhr
Auf dieser Wiese am Zieglerweg in Großmehring soll eine neue Seniorenwohnanlage aus fünf Gebäudekomplexen entstehen. Bis vor einigen Jahren standen dort große Lagerhallen – die Anwohner haben deshalb damit gerechnet, dass die Grünfläche eines Tages wieder verschwinden wird. −Foto: Stephan

Großmehring (DK) Gegen die geplante Seniorenwohnanlage am Zieglerweg in Großmehring regt sich Widerstand: Die Anlieger finden das Bauvorhaben grundsätzlich gut, sind mit den geplanten Ausmaßen aber nicht einverstanden.

Eines liegt den Anwohnern am Herzen: „Es geht uns nicht um die Verhinderung des Projekts“, sagt Irmgard Wagner. „Den Bau von Seniorenwohnungen sehen wir positiv, jeder wird einmal älter.“ Eine sachliche Diskussion sei umso wichtiger, damit die Bedenken der Anlieger ernst genommen werden. „Wir bleiben gerne hier wohnen, müssen aber nicht zu allem ,Ja und Amen’ sagen“, ergänzt Helmut Wagner.

Seit 1993 leben die beiden in einem Haus am Zieglerweg. Auf der rund 8000 Quadratmeter großen Fläche gegenüber standen einst Lagerhallen, die vor einigen Jahren abgerissen wurden. Seither genießen die Wagners und ihre Nachbarn den freien Blick über Wiesen und Felder in Richtung Katharinenberg. „Wir waren realistisch, dass dort wieder gebaut wird“, sagt Helmut Wagner. Der Plan für die Seniorenwohnanlage sei bekannt gewesen. „Anhand einer im Januar im DONAUKURIER abgebildeten Simulation (siehe Grafik, Anm. d. Red.) wurde uns aber erst klar, welche Dimensionen das Ganze haben soll.“

„Es geht uns nicht um die Verhinderung des Baus.“

Irmgard und Helmut Wagner, Anwohner

 

Nach den Plänen des Investors, der Deggendorfer Erlbau GmbH & Co. KG, sollen ab Frühjahr 2018 fünf Gebäudekomplexe mit insgesamt 116 Wohneinheiten entstehen (wir berichteten) . Jeweils zwei sind für barrierefreie Wohnungen, zwei für betreutes Wohnen sowie einer für Appartments mit Dachterrasse für Wohnungssuchende – insbesondere Mitarbeiter aus den Gewerbeansiedlungen – gedacht. Wie aus den auf der Homepage der Gemeinde veröffentlichten Plänen zu entnehmen ist, sollen die Gebäude aus drei Vollgeschossen sowie einem zurückgesetzten Staffelgeschoss bestehen – bei einer Höhe von fast 13 Metern.

Viel zu hoch, finden einige der Anwohner ringsum. „Das hier ist ein Wohngebiet mit maximal zweigeschossigen Häusern“, sagt Helmut Wagner. In ganz Großmehring seien die höchsten Gebäude wie das alte Schulhaus oder ein Ärztehaus an der Ingolstädter Straße nur dreigeschossig. „Uns stößt die Art der kasernenartig geplanten Seniorenwohnanlage auf, sie passt nicht zum Charakter des Dorfs.“

In dieser Meinung sehen sich die Anwohner in der ebenfalls durch die Gemeinde im Internet veröffentlichten Begründung des Bauvorhabens bestätigt. Die vier Stockwerke in einer von zweigeschossigen Häusern geprägten Wohnumgebung seien „gerade noch städtebaulich verträglich“, heißt es dort. „Wir finden das schon merkwürdig, scheinbar gelten die Pläne selbst im Gutachten als grenzwertig“, sagt Helmut Wagner.

Abgesehen davon bemängelt das Ehepaar den zu erwartenden Schattenwurf auf das eigene Haus wegen des nur knapp eingehaltenen Mindestabstands der Anlage zur Grundstücksgrenze. Die Wagners befürchten zudem wachsende Lärmbelästigung wegen der Dachterrasse sowie zunehmendes Verkehrsaufkommen am Zieglerweg durch die neuen Nachbarn, Besucher oder Lieferanten. „Verkehrsberuhigende Maßnahmen an der Kreisstraße hat die Gemeinde bisher abgelehnt“, sagt Helmut Wagner.

Alles in allem genug Gründe für die Anwohner, etwas zu unternehmen. Im Februar verfassten sie einen ersten von vielen Anliegern unterzeichneten Brief an die Gemeinde, in dem sie ihre Bedenken darlegten. „Das Schreiben hat Bürgermeister Ludwig Diepold zur Kenntnis genommen, aber nicht an die Räte weitergeleitet“, erzählt Helmut Wagner. Im Juli habe es eine Anliegerversammlung gegeben – zwei Tage, nachdem der Gemeinderat die öffentliche Auslegung des voraussichtlichen Bebauungsplans beschlossen hatte. Laut Diepold (UW), so steht es im Protokoll der Versammlung, sei mit diesem Beschluss keine Entscheidung getroffen, sondern lediglich das mit Bürgerbeteiligung vorgesehene Verfahren eingeleitet worden. Wagner denkt aber, dass die Anwohner keinen Einfluss mehr haben: „Die wichtigsten Beschlüsse sind doch schon gefasst.“

Trotzdem hat der Großmehringer Ende August einen weiteren Brief an die Gemeinde aufgesetzt – wieder unterzeichnet von 20 Parteien, die rund um die Wohnanlage leben werden. „Wir möchten noch einmal Einspruch gegen das geplante Bauvorhaben einlegen“, heißt es dort. Im Anschluss werden erneut Wünsche wie ein maximal dreigeschossiger Ausbau, ein größerer Mindestabstand oder verkehrsberuhigende Maßnahmen aufgezählt. „Wir haben nicht das Gefühl, dass das jemanden interessiert, sie wollen einfach ihr Ding durchziehen“, merkt Irmgard Wagner an.

Vonseiten der Gemeinde wird das nicht bestätigt. „Die Anwohner waren frühzeitig zu einem Gespräch ins Rathaus eingeladen, bei dem sie ihre Bedenken vortragen konnten“, sagt zweiter Bürgermeister Helmut Sielaff (SPD) – der allerdings angibt, die Briefe nie gesehen zu haben. „Wir haben das Projekt erst einmal ins Rollen gebracht und sind glücklich, dass wir den Investor haben.“ Die Realisierung der Wohnanlage geschehe schließlich zum Wohle der Bürger. „Die Gesellschaft wird älter, die Nachfrage in Großmehring ist groß.“

Projektleiter Frank Kühnhauser von Erlbau war für eine Stellungnahme in der vergangenen Woche nicht zu erreichen. Ein Sprecher der Osterhofener Geoplan GmbH, die von der Baufirma mit der umwelt- und geotechnischen Untersuchung des Grundstücks beauftragt worden war, betont aber, „dass im Endeffekt alles passen sollte“, solange die Abstandsflächen eingehalten werden. Zwar liege es am Investor, zu entscheiden, wie hoch die Wohnanlage werden soll. „Wenn die Gemeinde aber findet, dass sie nicht ins Dorfbild passt, kann sie das natürlich ablehnen.“ Generell sei es der guten Nachbarschaft wegen immer besser, Bürger in ein Bauvorhaben einzubeziehen.

Deshalb setzen die Anwohner ihre Hoffnungen nun auf das weitere Verfahren: Bis Freitag, 13. Oktober, liegt der Entwurf des Bebauungsplans im Rathaus aus. Während dieser Frist kann jeder Stellung nehmen. „Wir denken nicht, dass sich noch was tut“, resigniert Helmut Wagner. Es sei höchstens zu hoffen, dass auf die Dachterrasse verzichtet wird. „Abgesehen davon haben wir kaum Kompromissbereitschaft erfahren.“

 

Kommentar von Tanja Stephan

Es ist kein Geheimnis, dass die Gesellschaft älter wird. Auch in einem kleinen Ort wie Großmehring ist der demografische Wandel mittlerweile spürbar. Dies ist vor allem am Aufruhr wegen der geplanten Schließung der Tagespflege durch die Caritas-Sozialstation Kösching deutlich geworden. Dass die Gemeinde nun mit der Genehmigung des Baus einer Seniorenwohnanlage ihren Beitrag für ein möglichst angenehmes Leben im Alter leisten will, ist löblich hervorzuheben. Die Angebote für barrierefreies beziehungsweise betreutes Wohnen werden wohl gerne angenommen. Darüber hinaus dürfen die Anliegen der restlichen Bürger aber nicht vergessen werden. Nicht wenige Groß?mehringer werden schließlich in direkter Nachbarschaft der Anlage leben. Diese begrüßen das Bauvorhaben im Grunde sogar. Umso mehr haben sie es verdient, mit ihren Sorgen ernst genommen zu werden.