Ingolstadt
Göttliche Invasion

Manche Baumarten profitieren vom Klimawandel und bereiten gerade deswegen Probleme

11.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:37 Uhr
Der Götterbaum ist ein Profiteur des Klimawandels. In Ingolstadt breitet sich die aus China stammende Art großflächig aus. Wie Baumexperte Rudolf Wittmann erklärt, werden die Samen des Baumes vom Wind verteilt. Die Saat geht auch an unwirtlichen Stellen wie in einem Lichtschacht oder einem Spalt im Asphalt auf. Da der Baum extrem schnell wächst, verdrängt er andere Arten. Vor allem, wenn sie an den veränderten klimatischen Bedingungen leiden, die dem Götterbaum besonders behagen. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Wer an die Folgen des Klimawandels denkt, dem kommen meist Bilder von schmelzenden Eisbergen, Überschwemmungskatastrophen, Dürren oder Wirbelstürmen in den Kopf. Wer weiß, wohin er schauen muss, kann die Folgen der Erderwärmung aber auch bei einem Spaziergang durch Ingolstadt sehen.

Vor allem, wenn er einen Führer wie Rudolf Wittmann an der Seite hat. Der Baumsachverständige lenkt den Blick exemplarisch auf einen mächtigen Baum in der kleinen Grünfläche an der Ecke Goethestraße/Nürnberger Straße - ein rund 50 Jahre alter, so genannter Götterbaum. Anhand seiner gefiederten Blätter und der spiralförmig gedrehten Samen ist die Art leicht zu erkennen. Wer den Götterbaum einmal bewusst gesehen hat, entdeckt ihn beim Weg durch die Stadt überall. Rund um große Altbäume sprießen die Nachkommen aus dem Unterholz, wachsen aus Betonritzen, Spalten im Asphalt und aus Lichtschächten. Nichts scheint sie aufzuhalten. Experten sprechen von einer "invasiven Art". Vor allem, weil der Baum so schnell wächst - in einem Jahr bis zu zwei Meter - verdrängt der Götterbaum in Konkurrenz um Licht und Nährstoffe heimische Arten. Wo er abgemäht wird, schlägt er schnell wieder aus.

"Ursprünglich kommt der Götterbaum aus China", erklärt Wittmann. Vor einigen Jahrzehnten ist er in Deutschland gerne als Stadtbaum gepflanzt worden. Ein früherer Leiter des Ingolstädter Gartenamtes hatte offenbar ein besonderes Faible für die Art, weswegen laut Wittmann in der Stadt ganz besonders viele Götterbäume stehen. Damals waren allerdings die Winter kälter und viele Sprösslinge gingen ein, da sie erst ab einem bestimmten Alter "winterhart" werden.

Mit dem Klimawandel überleben immer mehr junge Bäume und breiten sich aus. Der Götterbaum ist außerdem auf trockene und heiße Standorte spezialisiert und profitiert demnach von Bedingungen, die andere Bäume vor existenzielle Probleme stellen. Der zu Ende gegangene Sommer war für Götterbäume ideal. Alleine der Baum an der Goethestraße wird in diesem Jahr weit über eine Million neuer Samen in die Umgebung abgeben. Wittmann befürchtet, dass sich die Götterbäume in den Auwald ausbreiten könnten und dort zum Beispiel ökologisch wertvolle freie Flächen überwuchern.

Ulrich Linder, der Leiter des Gartenamtes, weiß freilich um die Invasion des Götterbaumes. Schon länger werden in Ingolstadt keine mehr nachgepflanzt. Vor dem Arbeitsamt, wo zuletzt eine Linde gefällt werden musste, werden zum Beispiel als Ersatz eine Zerreiche, zwei Magnolien und eine Esskastanie gesetzt, erklärt er. "Das sind ebenfalls so genannte Klimabäume, mit denen wir auf die veränderten Bedingungen reagieren." Wie sich die Situation weiter verändert, ist freilich nicht absehbar. Es ist nicht auszuschließen, dass eine der Baumarten, auf die Stadtgärtner derzeit setzen, in ein paar Jahren ebenfalls Probleme machen. Oder den Bedingungen doch nicht gewachsen sind. "Wir sind hier tatsächlich ein bisschen auf Versuch und Irrtum angewiesen", so der Gartenamtsleiter.

Beide Experten sind sich jedenfalls einig, dass es nicht darum gehen kann, alle Götterbäume in Ingolstadt zu fällen. "Ich bin um jeden großen Baum froh, den wir in der Stadt haben", sagt Linder. Er befürchtet, dass solch mächtige Gewächse im Zuge des Klimawandels überall seltener werden. Nicht nur der Wald, auch das Aussehen der Städte wird sich im Zuge der globalen Erwärmung deswegen weiter deutlich verändern. Das wird immer häufiger nicht nur für Experten sichtbar sein.

Johannes Hauser