Manching
Gefangen im Stasi-Knast

Der Fluchthelfer Karl-Heinz Richter und seine Erlebnisse in der DDR - Klares Bekenntnis zur Demokratie

08.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
Spannender Vortrag: Viele Zuhörer waren gebannt von den fesselnden und sehr ehrlichen Worten von Karl-Heinz Richter. −Foto: Pehl

Manching (DK) So eine Veranstaltung hat es in Manching noch nie gegeben: Ein Vortrag, zu dem alle im Gemeinderat vertretenen Parteien eingeladen haben.

Der frühere Stasi-Häftling Karl-Heinz Richter unternahm mit seinen zahlreichen Zuhörern eine spannende Zeitreise von den Anfängen der DDR bis in die Gegenwart. Die Initiative dazu ging von Gemeinderätin Birgid Neumayr aus, die Richter ins Manchinger Bürgerhaus holte. Kennengelernt hatten sie sich zu Beginn dieses Jahres, als einige Gemeinderäte an einer Führung durch das frühere Stasi-Gefängnis und jetzige Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen teilnahmen, wo Richter Führungen anbietet.

"In Berlin bin ich ein bekannter Pöbler", bekannte der Autor, Publizist und Referent für politische Bildung, eingangs seines sehr bewegenden und tiefgründigen Vortrags. Aber in Bayern halte er sich zurück. Doch angesichts der politischen Lage und der jüngsten Wahlergebnisse fühle sich seine 94-jährige Mutter an das Ende der Weimarer Republik erinnert. "Es heißt nicht umsonst: Wehret den Anfängen", warnte der nach eigenem Bekunden "leidenschaftliche Europäer und Demokrat".

Der Sohn von überzeugten Kommunisten hat früh erfahren, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Die Probleme begannen, als er nicht der FDJ beitrat, der einzigen Jugendorganisation der DDR. Seine kritische Haltung gegenüber dem Regime nahm immer mehr zu, und ohne Abitur oder irgendeine Perspektive stand spätestens nach dem Tod von Peter Fechter Richters Entschluss fest: "Hier will ich nicht mehr leben. " Der 18-jährige Fechter war nach dem Bau der Mauer bei einem Fluchtversuch verblutet, nachdem er, von mehreren Kugeln der DDR-Grenzer getroffen, eine Stunde lang schreiend im Todesstreifen gelegen hatte.

Ein erster Fluchtversuch über einen Friedhof an der Berliner Mauer misslang. Doch dann entdeckte Richter eine Möglichkeit, aus einer Dachluke auf den fahrenden Nachtexpress Moskau-Paris zu springen und so aus der DDR zu entkommen. 17 Freunden verhalf er zur Flucht in den Westen - nur sein eigener Versuch im Jahr 1964 scheiterte, weil er verraten worden war. Dabei brach er sich nach einem Sprung von einer hohen Mauer etliche Knochen - aber behandelt wurde er anfangs nicht. "Die wollten ein Exempel an mir statuieren", hat Richter durch das Studium seiner Stasi-Akten erfahren - immerhin 3500 Seiten. Später kam er dann doch in ein Krankenhaus, wo er in 18 Monaten 15 mal operiert wurde. Dort habe er etliche "mutige Menschen" kennengelernt und einigen von denen später zur Flucht verholfen.

Denn Richter konnte 1975 mit seiner Familie aus der DDR ausreisen, nachdem er ein halbes Jahr im Gefängnis gesessen hatte. In West-Berlin war er als Fluchthelfer tätig, später lebte die Familie Jahre im Ausland, wo ihn die Stasi mehrmals vergeblich entführen wollte.

Die Rückkehr nach Berlin sollte der Familie jedoch kein Glück bringen. Seine Frau, von der Staatssicherheit ebenfalls heftig misshandelt, ist seit Jahren psychisch schwer erkrankt, seine Tochter hat sich von ihm gelöst. "Das ist auch der Grund, warum ich diese Vorträge halte", sagt Richter, der sich auch für Flüchtlinge einsetzt. Doch der 72-Jährige mit seiner unglaublichen Biografie ist auch in Sorge um die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland. "Passt bloß auf unseren Laden auf", rief er den Zuhörern und speziell den Gemeinderäten aller Fraktionen zu, die neben Bürgermeister Herbert Nerb gekommen waren. Doch seien nicht nur die Parteien in der Verantwortung, auch die Zivilgesellschaft sei gefordert, Courage zu zeigen. "Lasst es nicht so weit kommen, dass die Demokratie versagt! "
 

Bernhard Pehl