Fleißige Handwerker auf luftiger Baustelle

08.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:42 Uhr
Brotzeit um 10 Uhr: In einem kargen Nebenraum, in dem ausrangierte Waschbecken lagern, stärken sich die drei schlesischen Bauarbeiter, die schon vier Stunden Schufterei hinter sich haben. −Foto: Stadik

Ingoldstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute ist von 10 bis 11 Uhr die Baustelle im Theater dran.

In der Ecke des fast leeren Raumes lagern alte Waschbecken, die während der Sanierung ausgebaut wurden. Gemütlich ist der Pausenraum nicht, aber nahe bei dem Arbeitsplatz auf dem Theaterdach. Eine halbe Stunde können sich die Bauarbeiter nun ausruhen. Dann geht ihr Knochenjob weiter.

„Ja, die Arbeit ist schwer“, bestätigt Bernhard. Nur kurz stellt er die Schaufel zur Seite, dann kratzt der 38-jährige, polnische Zimmermann wieder die alte Dachpappe und die Dampfsperre vom Boden. Es riecht durchdringend nach faulen Eiern. Der Staub steigt in kleinen Wölkchen zum Gerüst empor. Die Temperaturen liegen hier oben bereits am Vormittag weit über Hitzefrei, denn als luftdichter Staubschutz decken zweilagige Plastikplanen in luftiger Höhe die gesamte Baustelle ab. Bernhard und der Kranführer Roland haben sich einen Mundschutz angelegt. Jörg arbeitet ohne, denn er verträgt das Atmen durch den Filter nicht. „Das alte Material ist nicht giftig“, betont Bauleiter Klaus Hiltl jedoch mehrmals.

  Der Oberpfälzer ist studierter Bauingenieur und sehr erfahren auf komplizierten Baustellen. Zum Beispiel sorgte er bei der Sanierung der Ingolstädter Maul-Klinik für einen reibungslosen Ablauf – während im OP die Patienten unter dem Chirurgenmesser lagen. Hiltl schwört bei solchen Herausforderungen auf sein eingespieltes Team: „Auf meine Mitarbeiter kann ich mich total verlassen“, bekräftigt der Bauleiter. „Die machen keinen Blödsinn.“ In der Tat gehen die Arbeiten im dritten von vier Bauabschnitten der Dachsanierung problemlos weiter. Mitte Juli wurde das komplizierte Gerüst in wenigen Tagen fachgerecht auf das Theater gesetzt. Bis Anfang September sollen die Arbeiten zunächst abgeschlossen sein.

Dafür sorgt auch Günter Bauer, der leitende Ingenieur von Zilch und Müller (ZMI), der von der Bestandsaufnahme des denkmalgeschützten Gebäudes über die Planung bis zur Endabnahme für das gesamte Projekt verantwortlich ist. Mehrmals pro Woche schaut Bauer auf dem Dach nach dem Rechten. Mit dem Bauleiter Hiltl ist er täglich immer wieder telefonisch in Kontakt. Alle zwei Wochen treffen sich die Angestellten der ausführenden Ingolstädter Firma Bacher, die Theaterverantwortlichen, die Experten vom Bauamt und der leitende Ingenieur zum „Jour Fix“, bei dem über den Sanierungsfortschritt und möglicherweise auftretende Probleme berichtet wird. „Es gibt zwar Pläne vom Dach“, erläutert Günter Bauer, „aber erst während der Arbeiten können wir genau erkennen, wie wir vorgehen müssen.“

  Die seitliche Verkleidung der Dachwände zum Beispiel ist ein Sicherheitsproblem. In den Hohlräumen kann der gefürchtete Kamineffekt entstehen, der bei Arbeiten mit offener Flamme zu einer Katastrophe führen kann. Doch die Ingolstädter Bauexperten gehen auf Nummer Sicher: Alle Schweißarbeiten werden eine halbe Stunde vor Feierabend beendet. Regelmäßige Kontrollen und Rundgänge tags und abends sind vorgeschrieben. Klaus Hiltl garantiert für die Sicherheit auf der Baustelle. Sein Augenmerk gilt aber auch den fleißigen Handwerkern. „Ich habe so meine kleinen Tricks“, verrät der Oberpfälzer lachend, wie er seinen Männern die schwere Arbeit erleichtert: Auf die Schaufel eines Minibaggers hat der erfindungsreiche Ingenieur ein Schwert aus Stahl geschweißt, damit die alte Dachabdeckung nicht nur mit der Hand weg gekratzt werden kann.

Auch das lanzenartige, pressluftbetriebene Gerät, mit dem Bernhard dem Dach zu Leibe rückt, ist eine Erfindung von Hiltl. Zudem hat die Firma Bacher in Frankreich bereits einen speziellen Minibagger bestellt, der die Tragkraft von 350 Kilogramm des Flachdaches nicht überschreitet und bei schweren Aufräumarbeiten zum Einsatz kommt. Trotzdem steht und fällt hier oben alles mit den schlesischen Handwerkern, die vom Maurern bis zu Holz- und Betonarbeiten jeden Job auf einer Baustelle ausführen können. „Solche Leute sterben aus,“ befürchtet Hiltl mit Blick auf die schwindende Zahl deutscher Facharbeiter.

Bernhard, der unverheiratete Zimmermann, hat am heutigen Freitag indes nur ein Ziel vor Augen: Alle 14 Tage fahren die Arbeiter übers Wochenende von Ingolstadt heim nach Polen. Daher werden sie heute auch nicht wie sonst bis 19 Uhr werkeln, sondern früher aufbrechen, um dem Urlaubsreiseverkehr zu entgehen. Sechs Stunden dauert ihre Heimfahrt ohne Staus. „Wir fahren Express“, kündigt Bernhard an. Und dann packt er mit seinen Kollegen wieder kräftig an, denn es ist soeben erst 11 Uhr vormittags geworden.