Ingolstadt
"Fleißer kann die Jungen berühren"

Marieluise-Fleißer-Haus offiziell eröffnet - ab Dienstag öffentlich zugänglich

04.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:33 Uhr
Mit einem Rundgang durch das Marieluise-Fleißer-Haus endete die offzielle Eröffnung des neuen interaktiven Museums, zu der Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll (links) die schweizer Literaturwissenschaftlerin Sabine Barben (rechts) begrüßt hatte. −Foto: Stadt Ingolstadt/Rössle

Ingolstadt - Im Jahr 2000 hat die Stadt Ingolstadt die Dokumentationsstätte Marieluise Fleißer in der Kupferstraße 18 eröffnet.

20 Jahre später und nach der denkmalgerechten Sanierung des Gebäudes wurde am Sonntag das Marieluise- Fleißer-Haus offiziell eröffnet - platzbedingt im Spiegelsaal des Kolpinghauses und nur mit geladenen Gästen. Ab diesem Dienstag, 6. Oktober, ist das neue Museum für die Öffentlichkeit zugänglich.

"Diese Frau ist ein Besitz", mit diesem Zitat von Alfred Kerr eröffnete Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll den Festakt im Kolpinghaus an der Johannesstraße, nur einen Steinwurf vom Geburtshaus Marieluise Fleißers entfernt. Seit über 40 Jahren verfüge die Stadt nun über deren dinglichen Besitz und stelle ihn der Forschung zur Verfügung. Das Marieluise-Fleißer-Haus, so Deneke-Stoll, bringe die berühmteste Tochter der Stadt nun einem breiten Publikum näher.

Besonders begrüßt hatte die Bürgermeisterin den Besitzer des Hauses und Neffen Fleißers, Hermann Widmann und seine Frau Brigitte, die das Denkmal sanieren ließen, Sylvia Weber und eine Arbeitsgruppe der Fleißer-Gesellschaft, die das Konzept erarbeitet haben, sowie Klaus Gültig, Nachlassverwalter von Marieluise Fleißer, sowie das Duo Kozue Sato (Flöte) und Ihor Kordiuk (Gitarre).

"Brauchen wir in diesen Zeiten ein neues Museum? " Dieser Frage ging Kulturreferent Gabriel Engert nach - und er kam zu einem deutlichen Ja. Nicht nur weil Marieluise Fleißer Ingolstadts Beitrag zur Erneuerung der deutschen Literaturgeschichte sei, sondern auch, weil das Haus nach der Sanierung durch die Familie Wittmann - ein außerordentlicher Glücksfall, wie Engert meinte - ein Bürgerhaus im Wandel der Zeit erlebbar mache.

Die Marieluise-Fleißer-Gesellschaft strebe schon laut Satzung die Einrichtung einer Gedenkstätte an, sagte deren Vorsitzender Andreas Betz und freute sich, dass nun ein mehrjähriger Prozess zu einem guten Ende gekommen sei. Eine Arbeitsgruppe des Vereins habe mit professioneller Unterstützung die Sprache Fleißers für Besucher interaktiv erlebbar gemacht. Wer in einem Ratespiel originale Redewendungen der Dichterin versteht, kann es tatsächlich bis zum "Fleißer-Profi" bringen.

Als ein solcher Profi erwies sich ohnehin Sabine Barben von der Universität Bern, die den Festvortrag hielt. Und das, nachdem die junge Literaturwissenschaftlerin nicht nur mit ihrer Jugend und ihrem Schweizer Akzent sondern auch damit kokettiert hatte, dass sie bis vor drei Jahren kaum etwas über Ingolstadt und nichts über eine Autorin namens Marieluise Fleißer gewusst habe.

Ihre Bachelorarbeit hatte Barben dem Vergleich des einzigen Romans Fleißers, "Mehlreisende Frieda Geier" von 1931, mit dessen zweiter Version gewidmet, die unter dem Titel "Eine Zierde für den Verein" bekannt ist. Die Referentin erläuterte, wie Fleißer ihren Roman mit vielen kleinen Nuancen grundlegend veränderte. Sie kam zu diesem Ergebnis: "Würde ich meine These übertrieben steil formulieren wollen, würde ich nämlich behaupten, Fleißer habe nicht nur einen, sondern in gewissem Sinne eben doch zwei Romane geschrieben. "

Als Zeugin dafür, dass Fleißer den Roman bewusst für ihre neue Leserschaft verändert habe, führte sie die Autorin selbst an, die in den 1970er erklärt habe: "Es ist natürlich heute eine völlig veränderte Zeit, und die Jungen können die Voraussetzungen meiner damaligen Zeit nicht immer begreifen. " Für sich selbst kam Barben zu dem Ergebnis: "Fleißer kann die Jungen immer noch berühren. " Insofern sei sie, obwohl rund 100 Jahre jünger als die Autorin, wohl doch die richtige Referentin. Was der große Applaus für den erfrischenden Vortrag auch bestätigte.

Klaus Gültig erinnerte schließlich daran, dass er den Nachlass unter drei Bedingungen an die Stadt Ingolstadt gegeben habe. Die Stadt solle weiter sammeln, einen Fleißer-Preis stiften und eine Gedenkstätte einrichten. "Dass das in so großartiger Form erfolgt, war damals nicht abzusehen. "

DK

Sebastian Kügel