Ingolstadt
"Es ist gut, dass wir Bescheid wissen"

Wanderausstellung "Vergissmeinnicht" in der Stadtteilbücherei Südwest erzählt vom Schicksal verfolgter jüdischer Kinder

20.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:23 Uhr
In der Ausstellung "Vergissmeinnicht": Lehrerin Manuela Kürzinger mit Lena Feiner, Isabel Hauner und Johannes Grillhiesl (v.l.). −Foto: sic

Ingolstadt (sic) Ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen blickt ernst in die Kamera.

Sie hält eine Schultüte. Es ist das Jahr 1936. Aggressiver Antisemitismus gehört in Deutschland zum guten Ton. Zehntausende, die sich für gute Deutsche halten, hetzen begeistert mit. Vielleicht ahnt Leni Eckmann aus dem unterfränkischen Lendershausen am Tag ihrer Einschulung schon, was sie dort an Hass erwartet, denn sie kommt aus einer jüdischen Familie, war bereits Anfeindungen ausgesetzt. Doch es wird noch gemeiner. Der Lehrer giftet Leni an: "Solche wie dich brauchen wir hier nicht! "

Nach dem mörderischen Pogrom 1938 bringen die Eltern ihr Kind in Sicherheit. Leni fährt allein nach Brüssel und taucht in einem Waisenhaus unter. 1940 überfallen die Deutschen Belgien. Das Mädchen überlebt den Holocaust - dank des Muts der Belgier, die sie verstecken. 1946 holt ein Onkel Leni nach Kanada, wo sie bis heute lebt.

Ihre Geschichte wird auf einer schön illustrierten Tafel erzählt, die noch bis 29. März in der Stadtteilbücherei Südwest (Apian-Gymnasium) zu sehen ist, als Teil der Ausstellung "Vergissmeinnicht" - ein Werk von Schülern des Friedrich-Rückert-Gymnasiums Ebern, das jetzt viel beachtet durch bayerische Schulen wandert.

Isabel Hauner und Lena Feiner gehen in eine neunte Klasse des Apian-Gymnasiums. Sie haben die Ausstellung über die Schicksale jüdischer Kinder bereits mehrfach besucht. Vor der Tafel der kleinen Leni stehen sie besonders oft, lang - und sehr nachdenklich. "Es ist so traurig, dass sie so früh solchen Rassismus erfahren musste", sagt Isabel. "Sie ist in Belgien immer allein gewesen", ergänzt Lena. "Eine schwere Zeit. Sie hatte niemanden zum Reden. "

Leni Eckmann hat die Verfolgung überlebt. Daher ist die Tafel, die an sie erinnert, grün unterlegt. Diese Farbe bleibt in der Minderzahl. Die meisten dargestellten Schicksale deutscher Kinder künden in Rot vom Massenmord an den Juden. Die Gräuel bekommen hier Gesichter. Etwa das von Therese Rosenthal, geboren 1928 in Haßfurt, 1942 mit der ganzen Familie im Vernichtungslager Sobi-bór ermordet. So wie Margot Grünfeld; sie wurde 16 Jahre alt.

Manuela Kürzinger betrachtet immer und immer wieder das Foto eines Kleinkinds: Erich Neumann. Auch ein Opfer des Rassenwahns der Nazis. "Es ist für mich das Symbol für die hier erzählten Schicksale. Es zeigt, wie schutzlos und unschuldig diese Kinder waren. Sie hatten keine Chance. " Kürzinger unterrichtet am Apian katholische Religionslehre und Latein, zudem ist sie Beratungslehrerin - und führt durch die Schau. "Wir nehmen uns immer Zeit. Wir gehen da nicht bloß durch. " Die Ausstellung verdeutliche einen "Angriff auf die Würde des Kindes", deshalb laute das oberste Lernziel "Menschlichkeit! "

Manuela Kürzinger bestätigt: "Manche Schüler schauen sich nur eine einzige Tafel an. " In ein anderes Leben vertieft. "Einige haben sogar schon Briefe an ermordete Kinder verfasst. " Johannes Grillhiesl aus der 9c hat sich künstlerisch mit dem Holocaust beschäftigt: "Ich habe die Worte ,Nie wieder! ' in mehreren Sprachen gemalt und mit einem Regenbogen hinterlegt. "

Ist irgendwann mal genug, ja zu viel an die Verbrechen erinnert, wie es heute immer unverhohlener (nicht nur) aus AfD-Kreisen tönt? Überhaupt nicht, sagt Isabel Hauner. "Man kann sich gar nicht zu viel über diese Zeit informieren. Es ist gut, dass wir Bescheid wissen! " Lena Feiner fährt fort: "Man sieht an diesen Schicksalen, dass sich so etwas nie wiederholen darf! " Wissen über den Nationalsozialismus sei wichtig, sagt Johannes Grillhiesl. "Damit man früh erkennt, wenn es wieder in diese Richtung geht. " Nie wieder!

Die Ausstellung in der Stadtteilbücherei Südwest ist bis 29. März zu sehen: Montag bis Donnerstag zwischen 10 und 17 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr. Anmeldung für Führungen unter schulberatung@apian. de.