Gaimersheim
"Es gibt viele Sachen, die stören"

Erster Betriebsrat des Entwicklungsdienstleisters Bertrandt in Gaimersheim gewählt

18.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:26 Uhr
Am Gaimersheimer Sitz des Entwicklungsdienstleisters Bertrandt haben die Mitarbeiter am Dienstag einen Betriebsrat mit 15 Mitgliedern gewählt. −Foto: Stephan

Gaimersheim (DK) Die Mitarbeiter des Entwicklungsdienstleisters Bertrandt am Standort in Gaimersheim haben gestern zum ersten Mal einen Betriebsrat gewählt. Für die Angestellten durchaus ein bedeutender Schritt - ist Ber trandt mit knapp 1300 Beschäftigten doch einer der größten Dienstleister in der Region.

Fast ein Jahr Vorlauf haben sich die Initiatoren genommen - und das nicht nur aus organisatorischem Anlass. "Es gibt einen Grund, warum so ein großer Konzern seit Jahrzehnten ohne Betriebsratsstrukturen agiert", sagt Karl Musiol, der die Angestellten als politischer Sekretär der IG-Metall-Geschäftsstelle in Ingolstadt begleitet. Als eine Gruppe von Beschäftigten mit dem Plan, einen Betriebsrat zu gründen, auf ihn zukam, verwies er auf den Kölner Sitz, wo dieses Ansinnen seitens des Unternehmens "aktiv verhindert" worden sei.

Die Befürchtung, dies könnte auch am 1982 etablierten Standort in Gaimersheim geschehen, ist nicht unbegründet. Das nicht nur, weil es hier in der Vergangenheit schon mehrere erfolglose Versuche zur Betriebsratsgründung gab, wie es aus Mitarbeiterkreisen heißt. Auch diesmal startete das Unternehmen offenbar eine Gegenkampagne und schlug ein sogenanntes Mitarbeiterkomitee vor. "Ein Betriebsrat ohne verbriefte Rechte", sagt Musiol.

Das wollten die Beschäftigten nicht hinnehmen. Zu lange besteht der Wunsch nach einer anständigen Mitarbeitervertretung. "Das fehlt uns seit Jahren", sagt ein Angestellter aus dem Team B33. Der Mann möchte namentlich nicht genannt werden, da er selbst auf einer der fünf wählbaren Listen mit insgesamt 82 Kandidaten stand und sich Chancen auf einen der 15 Betriebsratsposten - drei davon in Vollzeit - ausrechnete. "Es gibt viele Sachen, die stören", sagt er und zählt Ziele wie Altersteilzeit, bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung oder Gleichheit der Gehälter auf. Entscheidender Auslöser vor einem Jahr sei aber eine Arbeitnehmerüberlassung gewesen, im Zuge derer viele Kollegen Kurzarbeit mit weniger Gehalt hinnehmen mussten. "In Firmen ohne Betriebsrat sind das nur 60 Prozent, mit Betriebsrat sind bis zu 90 Prozent drin", sagt er. "Je nachdem, was das Gremium aushandelt."

Dass das am Gaimersheimer Bertrandt-Standort künftig möglich sein wird, begründet der Mann mit einer guten Vorbereitung der Organisatoren der Wahl. IG-Metall-Vertreter Musiol sieht das ähnlich. Alle Beteiligten seien "sehr vorsichtig" vorgegangen, um dem Arbeitgeber stets "einen Schritt voraus" zu sein. Der politische Sekretär berichtet von einem langsamen Aufbau von Strukturen - und der Kontaktaufnahme zum Standort Tappenbeck bei Wolfsburg, wo die Mitarbeiter mit hoher Wahlbeteiligung bereits in der vergangenen Woche einen Betriebsrat bestimmt haben. "Wenn gleich an zwei großen VW-Standorten etwas losgetreten wird, hat es der Arbeitgeber schwerer, das zu verhindern."

Bereits der Tag der Bestimmung des Wahlvorstands im September zeigte die Brisanz des Themas Betriebsrat bei Bertrandt, merken sowohl der Beschäftigte als auch Musiol an. 800 der etwa 1000 wahlberechtigten Mitarbeiter kamen in die "proppenvolle" Eventhalle. "Das dauert normalerweise 20 Minuten", sagt Musiol. Am Ende waren über drei Stunden vergangen, bis die fünf Mitglieder des Wahlvorstands feststanden. Denn: Eine etwa 30-köpfige Gruppe versuchte offenbar, das Zustandekommen des Gremiums zu verhindern. Nicht nur durch ihr lautstarkes Auftreten, sondern unter anderem auch durch die gezielte Auslösung des Feueralarms über ein Megafon.

Ob das von der Geschäftsführung ausging, kann Musiol nicht bestätigen. Für eine Stellungnahme war bei Bertrandt gestern niemand zu erreichen. Mittlerweile habe sich die Geschäftsführung aber mit dem künftigen Betriebsrat abgefunden, meint der Mann aus Team B33. Die Organisatoren erhielten ihm zufolge sogar Unterstützung bei der Abwicklung der Wahl. "Die Geschäftsführung weiß ja auch nicht genau, was da auf sie zukommt. Das wird sich schon einspielen."

Nach "hartnäckigem Wahlkampf", wie der Mitarbeiter sagt, ging die Abstimmung gestern nun über die Bühne - und das mit großer Wahlbeteiligung. Sowohl Musiol als auch der Angestellte haben hohe Erwartungen. "Wenn das jetzt gut läuft, werden andere Standorte vielleicht nachziehen, und irgendwann gibt es einen Gesamt-Betriebsrat", sagt Letzterer. Auch der Vertreter der IG Metall - die übrigens die Liste mit den Hauptorganisatoren unterstützte, die am Ende auch die meisten Stimmen gewann -, hegt "keinen Zweifel, dass andere nachziehen", wie Musiol betont. "Die Erfahrung zeigt, wenn Beschäftigte sich einen Betriebsrat erst einmal in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen sie das auch durch."

Der Angestellte fordert seine Kollegen indes auf, "nicht gleich zu fordern", sondern dem Betriebsrat mit Mitgliedern aus ganz verschiedenen Bereichen des Unternehmens erst einmal eine Findungsphase zu gewähren. "Wir fangen schließlich bei Null an."

Tanja Stephan