Ingolstadt
Erfolgreiche Bergsteigerin: Die erste Schanzer Schneeleopardin

Die Wahl-Ingolstädterin Esin Handal Arslan bezwingt 7000er

11.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:35 Uhr
Endlich oben: Esin Handal Arslan hat den Pik Pobeda als letzten von fünf Bergen bezwungen. Nicht selten wird es bei Expeditionen wie hinauf auf den Ararat extrem kalt. Lager und Biwaks sind ebenso notwendig wie das Überqueren von Gletscherspalten (unten rechts), um den Triumph über die Gipfel der höchsten Berge feiern zu können. −Foto: Fotos: privat

Ingolstadt - Esin Handal Arslan (42) ist sowohl in der Türkei als auch in Deutschland die erste Frau, die sich den Schneeleopardenorden verdient hat. Die Wahl-Ingolstädterin hat fünf Berge mit über 7000 Metern Höhe auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bezwungen.

Ob Höhen von über 7000 Metern über dem Meeresspiegel nicht angsteinflößend sind? "Bergsteigen ist wie Schokolade: Eigentlich schlecht für den Menschen, aber ich liebe es trotzdem", antwortet Esin Handal Arslan amüsiert darauf. "Außerdem kenne ich die Risiken da oben, ich weiß, wie ich mit allem umgehen muss", fügt sie etwas ernster hinzu. Die 42-jährige Bergsteigerin aus der Türkei wohnt seit über drei Jahren in Ingolstadt und hat 2019 als erste Frau sowohl aus der Türkei als auch aus Deutschland den Schneeleopardenorden bekommen.

Dieser Orden zeichnet Bergsteiger und Bergsteigerinnen für eine besondere Leistung aus: die Besteigung aller fünf Gipfel über 7000 Meter auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die Auszeichnung wird heute unter anderem von Russland, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisistan vergeben. Esin hat von 2015 bis 2019 alle fünf Gipfel bezwungen.

Zu den Bergen gehören der Pik Lenin (7134 Meter), der Pik Korschenewskaja (7105 Meter) und der Ismoil Somoni (7495 Meter) im Pamir-Gebirge sowie der Khan Tengri (7010 Meter) und der Pik Pobeda (7439 Meter) im Tian-Shan-Gebirge. Der Ismoil Somoni ist der höchste Berg Tadschikistans, der Pik Pobeda der höchste Gipfel Kirgisistans. Der Khan Tengri, auf der Grenze zwischen Kasachstan, Kirgisistan und China, gilt sowohl als höchster Berg Kasachstans als auch als nördlichster 7000er der Welt.

"Der Khan Tengri ist der technisch anspruchsvollste der fünf Gipfel", erzählt die Extremsportlerin. "Aber dort gibt es Fixseile, es sind auch viele andere Menschen dort, der ist nicht so gefährlich." Fixseile sind fest installierte Seile, die häufig benutzt werden, um Wege auf Berge hinauf abzusichern. Der riskanteste Gipfel, den die türkische Bergsteigerin bezwingen musste, ist der Pik Pobeda. "Dort gibt es keine Fixseile. Es sind nur wenig Menschen da, keine Bergführer. Das Zeitfenster, um diesen Berg zu machen, ist sehr kurz, nur etwa 20 Tage im Jahr. Und es gehen dort sehr oft Lawinen ab." Esin Handal Arslan berichtet, dass an diesem 7000er oft Bergsteiger in den Tod gerissen werden. "Der Leiter im Basislager hat gesagt: Am Pobeda seid ihr auf euch allein gestellt."

2019 hat sie es dann geschafft, als erste Frau aus ihrer Heimat, der Türkei, diese fünf Gipfel zu besteigen. Auch in Deutschland, wo sie jetzt lebt, ist sie die erste Bergsteigerin, die den Schneeleopardenorden erhalten hat. Laut einer Liste unter russianclimb.com, die alle mit dem Orden ausgezeichneten Bergsteiger aufführt, haben vor ihr nur vier Deutsche alle fünf Gipfel geschafft. Vor 26 Jahren ist die Auszeichnung das erste und bis zu Esin Handal Arslans Erfolg einzige Mal an einen Bergsteiger aus der Türkei vergeben worden. Von allen, die bisher erfolgreich waren, ist sie die 32. Frau und die sechste, die nicht aus der ehemaligen Sowjetunion stammt. Entsprechend einfach erklärt sie auch ihre Motivation dafür, grade diese fünf Gipfel zu machen. "Ich wollte einfach die Erste sein", lacht sie.

Jetzt kann sie sich ihrem nächsten Ziel widmen, das Projekt ihres Lebens vorantreiben. "Eigentlich möchte ich die sieben höchsten Gipfel aller Kontinente besteigen, die Seven Summits." Drei hat sie bereits erklommen, den Elbrus (5642 Meter) im Kaukasus, den Kilimandscharo (5895 Meter) in Afrika und den Aconcagua (6961 Meter) in Südamerika. Somit stehen nach Reinhold Messner noch der Denali (6190 Meter) in Nordamerika, der Mount Vinson (4892 Meter) in der Antarktis, der Mount Everest (8848 Meter) in Asien und die Carstensz-Pyramide (4884 Meter) in Indonesien auf ihrer Liste.

Diesen Sommer wäre eigentlich die Besteigung des Cho Oyu als ersten 8000er geplant gewesen. Doch die Expedition des Türkischen Bergsteigerverbands (Türkiye Dagcilik Federasyonu, kurz TDF) nach China entfiel wegen Corona. Ihr Training setzt die Bergsteigerin natürlich trotzdem fort, um für ihr großes Ziel in Form zu bleiben.

"Ingolstadt ist super zum Sport machen, ich habe hier für den Pobeda trainiert und habe bei der Post als Briefträger gearbeitet, das war gutes Konditionstraining", erzählt Esin Handal Arslan . Sie ist in einer Laufgruppe, mit der sie regelmäßig joggen geht. "Ich fahre auch oft mit dem Fahrrad, zum Beispiel im Altmühltal." Mit ihrem Mann Tuncay Arslan wohnt sie seit über drei Jahren hier. Er ist aus beruflichen Gründen aus Istanbul nach Ingolstadt gekommen. "Das erste Jahr fand ich es hier sehr kalt," erzählt Esin Handal Arslan . "In Istanbul haben wir zum Beispiel gar nicht richtig Winter. Aber jetzt gefällt es mir sehr gut hier".

Die beiden haben sich in großen Höhen kennengelernt, sie hatten das gleiche Ziel: den Gipfel des Kilimandscharo. "Ich habe meinen Mann auf 4700 Metern kennen gelernt. Ich war eine der Bergführerinnen in seiner Gruppe." Tuncay unterstützt Esin bei vielen ihrer Trainingseinheiten, aber auf die extremen Expeditionen kommt er nicht mit, die sind ihm zu schwer. "Manchmal ist es nicht einfach, wenn ich tagelang nichts von meiner Frau höre", erzählt er. Kontakt ist oftmals nur gelegentlich über ein Satellitentelefon möglich.

Esin Handal Arslan ist in der Türkei in vielen Bereichen des Outdoor-Sports unterwegs, auch als Bergführerin beim TDF. "Ich bin seit über 15 Jahren Bergsteigerin. Ich habe erst BWL studiert, dann habe ich eine Ausbildung beim Türkischen Bergsteigerverband gemacht." Neben ihrer Tätigkeit als Bergführerin ist sie außerdem Mitglied des türkischen Nationalkaders im Bergsteigen und Richterin bei Wettkämpfen im Sportklettern. Für ihre Qualifikation hat sie nach drei Jahren Ausbildung noch drei Jahre lang Gipfel mit über 3000 Metern Höhe gesammelt.

Dabei ist sie erst relativ spät zum Bergsport gekommen. "Ich habe vorher Fallschirmspringen und Höhlenexpeditionen gemacht", berichtet sie . Erst mit Mitte 20 hat sie die Höhenluft der Berge für sich entdeckt. "Aber dann, als ich das Bergsteigen gefunden habe, habe ich nichts anderes mehr gemacht!"

Die Liste der Gipfel, die Esin Handal Arslan bestiegen hat, kann sich sehen lassen: Sie war unter anderem schon auf dem Matterhorn, dem Eiger, dem Mont Blanc und natürlich auf der Zugspitze. Auch den Ararat, den höchsten Berg der Türkei, hat sie bereits mehrmals bestiegen.

Bei der Frage, welcher Berg für sie der schönste war, überlegt die Sportlerin kurz und schmunzelt dann. "Das Matterhorn", stellt sie grinsend fest. "Ja das Matterhorn, das war schon immer mein Kindheitstraum. Ich liebe ja auch Schokolade, und der Berg ist auf der Verpackung von Toblerone drauf." Sie erzählt, dass ihr die nicht ganz so hohen Berge lieber sind. "Die 7000er sind immer so kalt, ich hatte schon einmal minus 50 Grad bei einem Aufstieg! Und diese Expeditionen dauern sehr lange, etwa 35 Tage. Deshalb sind mir Berge wie der Eiger oder das Matterhorn lieber, da ist die Höhe angenehmer." Die Bergsteigerin erklärt, dass diese Gipfel zwar mehr technisches Können erfordern, ihr dennoch eher Spaß machen. "Aber diese Höhen über 7000 Meter, die kann ich nicht wirklich genießen." Stolz ist sie natürlich trotzdem auf ihre Leistung, vor allem auf die Erfolge als erste türkische Frau. Höhen von über 7000 Metern zu meistern, extreme Kälte und körperliche Anstrengungen zu bewältigen, das ist einfach etwas ganz Besonderes, dessen ist sich die Bergsteigerin bewusst. Esin Handal Arslan ist zuversichtlich, dass es auch in Zukunft für sie wieder hoch hinaus geht.

DK