Zum Tode Reinald Atzerodts
"Er war für viele Menschen ein Vorbild"

Der ehemalige Vorsitzende des Konzertvereins Ingolstadt, Reinald Atzerodt, ist tot

15.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:27 Uhr
Eine Ingolstädter Institution: Reinald Atzerodt leitete den Konzertverein, war Musiklehrer, Musiker und Förderer von Talenten. −Foto: Hauser

Ingolstadt - In seinen letzten Jahren hat Reinald Atzerodt seine Arbeit ziemlich nüchtern und ein wenig augenzwinkernd beurteilt: Vom Vorsitzenden des Konzertvereins Ingolstadts habe er sich zum "Mädchen für alles entwickelt", sagte er unserer Zeitung und spielte dabei auf seine nach wie vor intensive Tätigkeit für den Konzertveranstalter an.

Das klingt bescheiden, und es entsprach dem Wesen des gebürtigen Ingolstädters. Es hat ihm nie etwas bedeutet, im Mittelpunkt zu stehen. Seinen Platz sah er im Hintergrund.

Aber diese Einschätzung entsprach nicht der Realität. Denn es gab in den vergangenen Jahrzehnten kaum eine Persönlichkeit, die für die Ingolstädter Musikszene derart bedeutsam und einflussreich war wie er. Nun ist Reinald Atzerodt am vergangenen Dienstag im Alter von 86 Jahren gestorben.

Bis zuletzt hat der ehemalige Musiklehrer am Reuchlin-Gymnasium sich mit den Dingen beschäftigt, die ihm sein Leben lang wichtig waren: Mit der Förderung des Musiklebens der Stadt. Diese Aufgabe nahm er in unterschiedlicher Weise wahr - als Musiker und Sänger, als Leiter des Konzertvereins und als Gründer des Fördervereins für junge musikalische Talente, aus dem zahlreiche hervorragende professionelle Musiker hervorgegangen sind. Dabei war er bis ins hohe Alter hellwach, engagiert und leidenschaftlich. Für sein Engagement wurde er 1989 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Atzerodt kam am 30. Juni 1934 in Ingolstadt zur Welt. Geburtshelfer war ausgerechnet Sanitätsrat Ludwig Liebl, der auch den Konzertverein gegründet hat, den Reinald Atzerodt später 23 Jahre lang als erster Vorsitzender leiten sollte. Bereits früh musizierte er auf dem Klavier und der Geige. Nach dem Abitur studierte Atzerodt an der Münchner Musikhochschule, wurde Gymnasiallehrer und unterrichtete zunächst in München, Bad Reichenhall, Günzburg und Amberg, bevor er 1963 in seine Heimatstadt zurückkehrte, um Lehrer am Reuchlin-Gymnasium zu werden. Eigentlich jedoch wäre Atzerodt gerne Sänger geworden, erzählt seine Tochter. Er habe diesen Wunsch allerdings aufgegeben, um als Lehrer ein Leben mit größerer wirtschaftlicher Sicherheit führen zu können. Dennoch verfolgte er seine Leidenschaft weiter, war als Bariton Mitglied verschiedener Ingolstädter Chöre, etwa dem Moritzchor oder dem Motettenchor, und er trat häufig in Oratorien auch solistisch auf. Er war zudem Mitglied des Ingolstädter Kammerorchesters. "Wir Kinder liebten es, wenn er sich zu Hause auf seine Auftritte vorbereitete und sich dabei selber am Klavier begleitete", erzählt Eva-Maria Atzerodt. "Er hatte eine unglaublich schöne, weiche Stimme. "

Seine beruflichen Aufgaben und Passionen verfolgte Reinald Atzerodt mit großer Intensität. Seine Tochter schildert sehr anschaulich seinen Tagesablauf, als er noch als Lehrer arbeitete: "Bereits um 6 Uhr früh verließ er das Haus, versorgte seine Mutter, mit der er zusammen frühstückte und die Zeitung las. Alle wichtigen Arbeiten hat er in der Schule verrichtet, abends nahm er am Ingolstädter Kulturleben teil oder engagierte sich für Vereine. In der Woche haben wir Kinder ihn kaum gesehen. " Atzerodt vermittelte wie nur wenige seinem Umfeld die Liebe zur Musik. Seinen beiden Kindern Eva-Maria und Christiane gab er Klavierunterricht, und ehemalige Schüler am Reuchlin-Gymnasium beschreiben ihn als absolut charismatischen Lehrer, der selbst Unmusikalische für Musik begeistern konnte.

Ab 1977 war Atzerodt Organisator des Wettbewerbs "Jugend musiziert" und gleichzeitig Erster Vorsitzender des Konzertvereins Ingolstadt, den er grundlegend erneuerte. Bei beiden Tätigkeiten unterstützte ihn sehr tatkräftig seine Frau Isolde. Nun wurde verstärkt auch Musik des 20. Jahrhunderts gespielt. Atzerodt war ein Musikkenner wie nur wenige. Er verstand es immer wieder, große Künstler in die Stadt zu holen, oft lange bevor sie zu Stars wurden - etwa Nikolaus Harnoncourt oder Yuja Wang und David Garrett.

Wichtig war Atzerodt auch für eine ganze Generation junger Ingolstädter Musiker, die er in dem Verein zur Förderung junger Musiktalente unterstützte. Roland Glassl etwa, der heute Professor für Bratsche in München ist, beschreibt ihn als einen Menschen, der die Fähigkeit hatte, Talente zu entdecken. "Er hat generell in Menschen sehr viel Gutes gesehen", erklärt Glassl. Kennengelernt habe er ihn als Siebenjähriger. Atzerodt gab ihm Klavierunterricht und half ihm dabei, einen guten Geigenlehrer zu finden. So unterrichtete ihn der damalige erste Konzertmeister des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. "Reinald Atzerodt gehört zu den zwei wichtigsten Personen, die mich als Musiker weitergebracht haben. Er war für viele Menschen ein Vorbild. " Nachdem er 2000 den Vorsitz beim Konzertverein an seine Tochter weitergegeben hatte, konnte Atzerodt sich verstärkt seinen Hobbys und anderen Leidenschaften hingeben. Schon immer war er ein begeisterter Spaziergänger. So sah man ihn bis vor wenigen Jahren immer wieder in der Stadt die Gegend erkunden.

Kulturreferent Gabriel Engert, der Atzerodt als Experten für klassische Musik und Jazz sehr schätzte und immer wieder seinen Rat einholte, erzählt, dass er ihm regelmäßig auf der Straße begegnete und so Gelegenheit hatte, mit ihm zu plaudern. Begeistert ging Atzerodt zudem auf Reisen, immer den Führer unter dem Arm und mit enormem kulturhistorischen Interesse. Und er war ein ambitionierter Bücherfreund, der sich vorgenommen hatte, sämtliche Fischer-Taschenbücher zu lesen.

In den letzten Monaten bekümmerte ihn jedoch am meisten, dass durch die Corona-Seuche so viele Konzerte ausfallen mussten und dass er viele spannende Künstler nicht mehr im Festsaal würde hören können.

DK

Jesko Schulze-Reimpell