Ingolstadt
Elsässer Barock

Vor 25 Jahren erklang in St. Matthäus erstmals die Kern-Orgel - Am Sonntag blickte die Gemeinde auf ein großes Werk zurück

01.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:43 Uhr
Jubiläumskonzert: Kirchenmusikdirektor Reinhold Meiser spielte gestern in St. Matthäus Cesar Francks "Choral E-Dur". Die Orgel des Elsässers Gaston Kern erklang vor 25 Jahren das erste Mal. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Es war wohl kein Wink Gottes (überzeugte Lutherische glauben an so was eh nicht), aber doch ein deutliches Zeichen: Eines festlichen Gottesdiensts Ende der 1980er-Jahre - der Bach-Chor sang auf der Empore der Matthäuskirche, mitten unter ihnen saß Kantor Reinhold Meiser an der Eisenbarth-Orgel - schepperte es plötzlich.

Eine Pfeife der 1963 eingebauten, elektro-pneumatischen und auch sonst eher mittelmajestätischen Orgel fiel herunter und landete vor den Sängerinnen und Sängern.

Das Signal war klar: St. Matthäus bedarf dringend einer neuen Königin der Instrumente. Denn die alte war reif für die Abdankung, sie pfiff aus dem letzten Loch, quäkte und näselt geradezu unchristlich.

Helga Gröschler erinnert sich an die abstürzende Orgelpfeife. Sie hat damals auf der Empore mitgesungen. Es blieb nicht das einzige Malheur: "Einmal hing ein Ton einen ganzen Gottesdienst lang. Es hörte nicht mehr auf. " Noch deutlicher war nicht mehr zu vernehmen, dass die von Dekan Johannes Simon für sparsame 40000 Mark angeschaffte Eisenbarth-Orgel eine Fehlinvestition gewesen ist.

In diesen akustisch mageren Jahren in St. Matthäus besuchten Ulrich Müller und Reinhold von Großmann ein Konzert des Kantors. "Herr Meiser hat sich bestens bemüht, aber die Orgel hat sich grausam angehört. Da haben wir beschlossen: Es muss eine neue her. " Von Großmann und Müller packten an, gründeten einen Förderverein, unterstützt von weiteren engagierten Kräften: Helga Gröschler, Christian Dittmar, Dietmar Tank, Peter Gottschalk (ein Architekt, der 40 Kirchen saniert hat) und viele mehr. Die Kirchengemeinde gab alles. Im November 1994 war es vollbracht: Die neue Orgel, ein Werk des Elsässer Meisters Gaston Kern, erklang das erste Mal. Gestern wurde der 25. Jahrestag gefeiert.

Die Elsässer Orgel in St. Matthäus fand in Bayern große Beachtung. Ihre Struktur im Geist des barocken französischen Orgelbaus kannte man hier noch nicht. 2614 Pfeifen, 37 Register, drei Manuale- die klangmächtigste Orgel, die Kern bis dahin geschaffen hatte. "Er wollte unbedingt eine große Orgel in Deutschland bauen, deshalb ist er uns beim Preis entgegengekommen", erzählen von Großmann und Gottschalk, die sich an die schwierige Finanzierung und jedes finstere Tal bis zum Ziel gut erinnern. 900000 Mark hat die tonnenschwere Königin der Instrumente gekostet; für sie musste der Boden der Empore verstärkt werden. 225000 Mark brachte der Förderverein auf. Großen Anteil daran hatten die regelmäßigen Orgelbasare vor der Kirche, erzählte Helga Gröschler. "Es war immer ein fröhliches Treiben! Es waren uns viele behilflich, weil uns die Orgel einfach wichtig war. " Die Ingolstädter Protestanten reisten in einem Bus durch Frankreich, lauschten einer Orgel nach der anderen. 1990 fiel die Entscheidung für den Elsässer.

Kirchenmusikdirektor Reinhold Meiser, seit 1983 Kantor in St. Matthäus, ist von der Kern-Orgel begeistert. "Man kann sie stundenlang spielen, ohne dass einem die Ohren dröhnen. Ihr Klang ist kernig und deutlich, aber gleichwohl weich, prononciert und sehr variabel. " Er sei erst nicht für eine Orgel französischen Typs gewesen, erzählte er bei der Jubiläumsfeier im Luther-Saal. "Ich habe in Essen studiert, und das ganze Ruhrgebiet war voll von diesen fürchterlichen neobarocken Orgeln. " Er habe sich gesagt: Sollte er je in die Lage kommen, an einem Orgelbau mitzuwirken, "dann auf keinen Fall so eine". Doch der elegante, barocke Klang der Kern-Orgel habe es ihm schnell angetan. Meiser spielte gestern am Ende des Gottesdiensts Cesar Francks "Choral E-Dur", ein Werk "wie für die Kern-Orgel geschrieben", sagte er. Auch der junge Organist Micha Haupt zeigte sein großes Talent.

Zum Abschluss sangen die Gemeindemitglieder mit erhobenem Sektglas auf die Melodie von "Geh aus, mein Herz, und suche Freud" einen Text, den Pfarrer Martin Michaelis eigens verfasst hat. Der mündet in ei-nem Wunsch: "Uns're Orgel soll noch hundert Jahre leben! "

Dafür müssen aber ihre Pfeifen und die Mechanik gereinigt werden. Das geschieht ab Januar. Die Gottesdienste finden in dieser Zeit bis zum Eröffnungskonzert nach der Reinigung am 4. April im Luther-Saal statt.

Christian Silvester