Ingolstadt
Eine Familie auf dem Weg zur grünen Null

Die Kießlings erzählen zum Auftakt der "Tage der Nachhaltigkeit", wie sie Mengen von Müll vermeiden

02.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:15 Uhr
Ein voller Saal gleich zum Auftakt: Im Rahmen der Tage der Nachhaltigkeit berichtete die fünfköpfige Familie Kießling (l.) aus dem Landkreis Rosenheim am Samstagvormittag im Bürgerhaus Neuburger Kasten, wie es ihnen ohne allzu großen Aufwand gelingt, nur eine ganz geringe Menge an Müll zu produzieren - und auf diese Weise auch noch Geld zu sparen sowie Zeit zu gewinnen. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Der gute, alte Gelbe Sack.

Oder andernorts die Gelbe Tonne. Vermitteln umweltbewussten Deutschen ein tolles Gefühl. Beflissen sortieren Millionen Bundesbürger (vom Ausland belächelt) ihren Plastikmüll, säubern ihn (gerne auch unter fließendem Wasser) und geben ihn guten Gewissens der Wiederverwertung anheim. Dass - statistisch gesehen - ungefähr die Hälfte eines Sackinhalts verbrannt wird oder jahrhundertelang im Südchinesischen Meer schwimmt, ahnen viele nicht oder blenden es aus.

So weit haben die Kießlings gar nicht gedacht. Daniel Kießling (37) und Stefanie Kießling (39), die mit ihren Kindern Leni (10), Maximilian (7) und Vinzent (3) in Bruckmühl (Kreis Rosenheim) wohnen, dachten nur bis zum nächsten Wertstoffhof - und der war verdammt weit weg. Sie mussten ihn mit ihrem Plastikmüll ansteuern, weil es in ihrem Dorf keine Gelben Tonnen oder Gelben Säcke gibt. "Es hat genervt, den Plastikmüll aufwendig sortieren und dann herumfahren zu müssen. Das war jedes Mal Stress", erzählt Stefanie Kießling am Samstagvormittag zum Auftakt der "Tage der Nachhaltigkeit" (noch bis 9. November) in einem vollbesetzten Saal (mehrere Besucher lauschen im Stehen) des Bürgerhauses Neuburger Kasten. Also beschlossen die Kießlings: Wir wollen weniger Müll produzieren! Deutlich weniger Müll. Am besten null Müll.

Weil ihnen das rasch und ohne übermäßig hohen Aufwand weitgehend gelang, haben es die Fünf als "Zero-Waste-Familie" ("Null-Verbrauch-Familie") zu Bekanntheit gebracht. Obwohl sie das nie angestrebt haben. "Wir wollten nicht die Welt retten, sondern haben ganz praktisch gedacht. " Völlig unideologisch. Und sie können inspirierend davon erzählen.

Vor fünf Jahren begannen die Kießlings, ihren Konsum umzustellen. Sie meiden seither Waren in Plastikverpackungen, bilden Einkaufsgemeinschaften in einem Auto mit Freunden, um säckeweise Reis, Mehl oder andere Lebensmittel einzukaufen. Überhaupt das Einkaufen: Seltener und dafür bewusster loszuziehen, mit einem exakten Plan, was man wirklich braucht, spare viel Zeit und Geld, erzählt Daniel Kießling. Seine Frau ergänzt: "Man muss sich einen Bio-Laden schließlich auch leisten können. " Erst recht mit drei Kindern. Die ordern beim Metzger (die Familie isst Fleisch in Maßen) oder Bäcker die Ware "auf die Hand", also direkt in den Korb oder ein anderes mitgebrachtes Gefäß. Pflegeartikel in Plastik wie Shampoos lassen sich vermeiden, wenn man gute alte Seife mit Zitronensaft versetzt, erfahren die Zuhörer, das ergebe ein hervorragendes Hygieneprodukt. Die Spielsachen der Kinder werden nach einiger Zeit gegen die anderer Kinder getauscht, gerne während einer Feier, anstatt ständig Neues zu kaufen. Das schont Ressourcen.

Schon kurz nach der Umstellung ihres Konsumstils stellte die Familie fest: "Es geht doch, wenn man's mal raus hat! " Und das ohne revolutionäre Veränderungen oder Entbehrungen.

Ein Problem sind nur die geliebten Gummibärchen. "Wir wollen sie den Kindern nicht verbieten, und Gummibärchen zu ersetzen ist nicht möglich", sagt Daniel Kießling. Also werden auch diese Süßigkeiten kiloweise gekauft, um so wenig Verpackungsmaterial wie möglich ins Haus zu bekommen.

Eine 40-Liter-Mülltonne, die kleinste, die es gibt, bringen die Kießlings voll. Ein Mal pro Jahr. Ihre Vision ist die Null. Wobei es nie gelingen könne, gar keinen Abfall zu produzieren, sagt Stefanie Kießling nach der von großem Interesse getragenen Fragerunde. "Das ist in der heutigen Gesellschaft nicht möglich. Aber der Weg ist das Ziel! " Jedes Kilo vermiedenen Mülls sei ein Fortschritt. Entscheidend sei, "dass man sich nie unter Druck setzen lässt und auch nicht mit dem erhobenen Finger auf andere zeigt, sondern dass man immer zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt".

Nach diesem vielbeachteten Auftakt der "Tage der Nachhaltigkeit" (der Wissenschaftler Stefan Raich moderierte) stürzt sich der von der großen Resonanz beseelte Umweltreferent in das folgende Getümmel (siehe den Kasten). Die Kießlings, sagt Rupert Ebner, seien so angenehm undogmatisch. "Kein bisschen fundamentalistisch! "

Christian Silvester